Welche Gesetze der Postersteiner Dorfordnung von 1672 gibt es heute noch? Im Film „Peinliche Befragung“ analysieren die Historikerin Franziska Huberty aus dem Museum Burg Posterstein und Rechtsanwalt Frank Wunderlich, was von alten Postersteiner Gesetzen in unserer heutigen Gesetzgebung noch übrig ist.
Das Gespräch entstand im Rahmen der Sonderschau „Schlag um Schlag – Die Burg als Gerichtsort“ im Jahr 2024. Nach Ausstellungsende verbleibt der historische Gerichtsraum in neuer Gestaltung.
Die Burg als Gerichtsort
Viele Burgen waren früher Orte, an denen auch Gericht gehalten wurde. Dann war der Burgherr der Richter und urteilte über die Vergehen der Bewohner der Burg und der umliegenden Dörfer.
Dabei entschied der Burgherr nicht willkürlich. Über kleinere Anliegen wie Beleidigung, Diebstahl, Fällen von Vormundschaft und Erbrecht (die niedere Gerichtsbarkeit betreffend) entschied das Burggericht selbst. Bei schwerwiegenderen Fällen wie Gewalt und Mord (höhere Gerichtsbarkeit) wurde sich Rat von Rechtsgelehrten (zum Beispiel der Universität Jena) geholt.
Die Dorfordnung sicherte das friedliche Zusammenleben im Dorf. Hielt sich jemand nicht an die Regeln, dann musste das Burg-Gericht einschreiten und Strafen verhängen oder den Streit schlichten.
Wir wollten untersuchen, wie sich einzelne Gesetze der Dorfordnung von Posterstein und der Postersteiner Rügegerichtsordnung von heutigem Recht unterscheiden.
Dazu befragte Franziska Huberty den Rechtsanwalt Frank Wunderlich aus Nöbdenitz. Extra für uns hat er sich sechs historische Regelungen angesehen und recherchiert, ob es heute noch vergleichbare Gesetze gibt.
Regel 1: Nach der Schlägerei gibt es Freibier
Wir starten mit einer Regel aus der Dorfordnung zu Posterstein aus dem Jahr 1672, die da lautet:
Wenn die Gemeinde beysammen ist und ein Gemeinde Bier trinket,
und sich einer unterstehet zu schwören, Schlägerey anzurichten,
oder schmähet einer den andern daß Uneinigkeit daraus entstehet,
der soll so er überführet wird,
der Gemeinde einen Eymer bey der Herrschaft zum Austrinken füllen lassen.
Einer, der das Zusammensein der Dorfgemeinde mit Flüchen, Beleidigungen oder Schlägerei störte, der musste als Strafe also Freibier für alle spendieren.
Gibt es heute noch ähnliche Regeln?
Die Kurzantwort des Anwalts lautet: Heute sind solche Fälle im Strafgesetzbuch als Körperverletzung gemäß § 223 ff. StGB, eventuell als Landfriedensbruch gemäß §125 StGB und/oder Hausfriedensbruch gemäß § 123 StGB sowie als Beleidigung gemäß § 185 StGB und/oder Verleumdung gemäß § 187 StGB geregelt.
Zivilgerichtlich sind das alles rechtswidrige unerlaubte Handlungen gemäß § 823 ff BGB, die Ansprüche auf Schadenersatz und Unterlassung begründen.
Dazu gibt es den Täter-Opfer-Ausgleich, der gegebenenfalls vor einer Schiedsstelle oder auch beim Jugendamt stattfinden kann.
In örtlichen Satzungen gibt es dazu meist keine besonderen Regelungen.
Regel 2: Wenn der Nachbar den Zaun verrückt
Die folgende Regel stammt ebenfalls aus der Dorfordnung zu Posterstein aus dem Jahr 1672 und besagt:
Freytag vor Martini werden […] die Zäune angesehen
und so einer oder der andere den Zaun eines Schuhs breit in der Gemeinde gerücket,
soll er einen Groschen zur Buße geben, […] und also balden den Zaun hineinrücken.
Am 11. November (dem Freitag vor Martini) wurden also alle Zäune und Grenzen kontrolliert. Hatte im Lauf des Jahres jemand seinen Zaun aufs Nachbargrundstück verschoben, dann musste er diesen zurück verschieben und ein Bußgeld zahlen.
Wie gehen wir heute mit einer solchen Tat um?
Die Kurzantwort des Anwalts lautet: Das ist auch heute ab und an ein Problem. In Ortssatzungen ist dazu heute normalerweise nichts mehr geregelt. Es gibt aber Regelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) zu Besitz und Eigentum.
Wenn Grundstücksgrenzen nicht bestimmt sind oder die früher erfolgten Grenzfeststellungen nicht mehr erkennbar sind, weil Marksteine beseitigt oder nicht mehr vorhanden sind, dann ist das vorsätzliche Beseitigen von Marksteinen eine Ordnungswidrigkeit, die mit einem Bußgeld geahndet werden kann. Es besteht dann ein Anspruch auf Grenzwiederherstellung als Schadenersatzanspruch und/oder Beräumung und Herausgabe einer eventuell rechtswidrig in Besitz genommenen Fläche.
Dazu gibt es Regelungen im BGB zum sogenannten „Überbau“, wenn also eine Baulichkeit bis über die Grundstücksgrenze hinweg bis auf das Nachbargrundstück errichtet worden ist.
Im Thüringer Straßengesetz gibt es dazu noch Regelungen zur öffentlichen Straße bzw. zum öffentlichen Weg. Der Träger der Straßenbaulast (z.B. die Gemeinde oder Stadt, der Landkreis, das Bundesland oder der Bund) hat da ein weitgehendes Nutzungsrecht. Er kann den rechtswidrigen Nutzer auf Räumung und Herausgabe verklagen.
Regel 3: Bußgeld bei Nichterscheinen zu Beerdigungen
Eine Regel aus der Dorfordnung zu Posterstein aus dem Jahr 1672 behandelt den Besuch von Beerdigungen. Der Originaltext lautet:
Bey begräbnissen soll es alßo gehalten werden, ist ein Haußwirth oder eine Haußwirthin gestorben, sollen aus jeden Hauße zwey Personen, ist es aber ein Kind oder Gesinde nur einer der Leiche folgen, so dieses […] unterbleibet, soll zweene groschen buße entrichtet werden.
Es gab also eine Pflicht, dass zumindest einige Personen eines Hausstands bei Begräbnissen von Nachbarn zu erscheinen hatten. Interessant ist, dass dabei unterschieden wurde, ob ein erwachsener Hausbesitzer starb oder ob es sich bei dem Verstorbenen um ein Kind oder einen Angestellten handelte.
Gibt es heute noch vergleichbare Regeln?
Die Kurzantwort des Anwalts lautet: Dazu gibt es heute keine Regelungen mehr. Es ist jedem selbst überlassen, ob er oder sie nach dem Ableben eines Mitbürgers oder auch eines Bürgermeisters, Gemeinderats, Firmenchefs oder eines armen Bauern zu dessen Trauerfeier geht oder nicht.
Am ehesten gibt es heute moralische Verpflichtungen oder auch Sitten und Gewohnheiten, wonach es sich gehören könnte zur Trauerfeier eines Nachbarn, Bekannten, Verwandten, Vereinskumpels etc. zu gehen oder dies zu unterlassen. Rechtliche Verpflichtungen, die mit Zwang durchsetzbar sind, gibt es nicht mehr.
Regel 4: Fürs Schimpfen an den Pranger
In der Postersteiner Rüge-Gerichtsordnung von 1650 steht folgende Regelung:
Sollen sie sich alles fluchens, Gottes-lästerns undt unnöthigen schwerens enthaltten, […]
Wer aber hierwieder handelt, der soll das erste mahl an den Sonn- und Predigt-tagen,
öffentlich an pranger gestellet, undt da er weiter fortfähret, inn denen Gerichten ferner nicht geduldet […] auch sonst, nach anweisung der Rechte, gestraffet werden […]
Diese Gesetzgebung fordert also ein gottgefälliges Leben zu führen ohne Fluchen und Jammern. Bei Zuwiderhandeln drohte das öffentliche An-den-Pranger-Stellen an Sonn- und Predigttagen. Was entspricht dem in unserem heutigen Recht am Ehesten?
Die Kurzantwort des Anwalts lautet: Früher gab es diesbezüglich die Strafe des „an den Pranger stellens“ und andere Strafen wie die Pflicht zur Zahlung einer Geldstrafe, u.a. auch an den „Verfluchten“ oder an die Gemeinde bzw. die Kirchgemeinde.
Heute gibt es dazu in örtlichen Satzungen meist keine Regelungen. Nach den heutigen Satzungen soll man mit dem eigenen Verhalten keine andere Person beeinträchtigen oder dieser schaden. Es gilt das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme.
Heute spielen i Bezug auf die Bloßstellung einer Person die sozialen Medien eine große Rolle, die eine viel größere Reichweite haben als der dörfliche Pranger.
Regel 5: Ein Fass Wasser für den Brandfall
Zum Schutz vor Feuer gab es in der Postersteiner Rüge-Gerichtsordnung von 1650 diesen Passus:
Undt darmit ferner Schade, sonderlich Sommerzeit bey großer Hitze undt Dörrung […]
könne verhütet werden, So soll ein Jeder inn seinem Hauße undt vor seinem Hoffe ein ziemlich Faß mit Waßer angefüllet haben, deßen mann sich, wenn Gott eine Feuersbrunst verhengen sollte, alßobalden gebrauchen könne.
Es sollte also jeder vorsorglich ein Fass Wasser vor seinem Haus und seinem Hof stehen haben, das im Brandfall jeder gebrauchen durfte.
Die Kurzantwort des Anwalts lautet: Heute gibt es Regelungen zum Brandschutz, zum Teil auch in örtlichen Ordnungssatzungen. Das betrifft zum Beispiel Brandwände und was in welchen Mengen im Haus gelagert werden darf. Darunter fällt die Pflicht, Feuermelder zu installieren und das Verbot in bestimmten Städten und Gemeinden Silvesterknaller zu zünden. Aber auch, dass Dächer nicht aus Holz, sondern aus Steinen zu errichten sind, dass Zufahrtsmöglichkeiten für die Feuerwehr zu gewährleisten sind und Wasserbehälter oder Teiche erhalten werden müssen, um Löschwasser zu haben. Oder die Pflicht der Bürger, bei Personalmangel die Feuerwehr zu unterstützen. Zudem muss die Funktionstüchtigkeit von Sirenen gewährleistet werden und vieles mehr.
Regel 6: Sonntags nichts Hochprozentiges
Eine letzte Regelung aus der Postersteiner Rüge-Gerichtsordnung von 1650 möchten wir noch besprechen. Darin geht es um den Ausschank von Brandwein. Im Originaltext klingt das so:
Es wirdt auch Brantwein-schank des Sontags undt unter denen Predigten,
hiermit gäntzlichen verbothen, Würde aber jemandt darwieder handeln, undt zu bemelter Zeit schenken oder Gäste setzen, so soll der Wirth umb 1 aßo [Altschock = 60 alte Groschen]
der Gast aber umb 30 g. gestraffet werden.
Sonntage und Predigttage waren also besonders wichtige Tage, an denen kein Alkohol ausgeschenkt werden durfte. Bei Zuwiderhandeln wurden sowohl der Wirt als auch seine Gäste bestraft.
Die Kurzantwort des Anwalts lautet: Heute gibt es immer noch ein Ladenschlussgesetz, wonach die Geschäfte an Sonn- und Feiertagen normalerweise nicht geöffnet werden dürfen. Damit wird der alten Regelung immer noch Rechnung getragen, aber nicht konsequent, denn in Urlaubsorten und in Tankstellen kann man sonntags und Sonntagvormittag während der Predigt in der Kirche kaufen, was einem beliebt, auch Alkohol.
Moral und Empathie
Wir haben gesehen, es gibt einige Regeln, die es früher gab, auch heute noch. Andere sind unwichtig geworden. Aber auch heute noch sind allgemeingültige Gesetze und eine ordentliche Portion Moral und Empathie wichtig für ein gutes Miteinander.
Wir bedanken uns herzlich bei Rechtsanwalt Frank Wunderlich dafür, dass er sich die Mühe gemacht hat, in unseren historischen Gesetzestexten nach heutigen Entsprechungen zu suchen. Weitere Informationen zur Gerichtsbarkeit in früheren Zeiten gibt es in der ständigen Ausstellung auf Burg Posterstein. Dort sind ausgewählte Postersteiner Kriminalfälle von den Laiendarstellern des Traditionsvereins Altenburger Prinzenraub auch filmisch dargestellt.
Von Franziska Huberty und Marlene Hofmann, Recherche und Kurzantworten: Frank Wunderlich