Wolfgang Stöcker sendet uns seinen Beitrag zur Blogparade #SalonEuropa. Mitmachen könnt ihr bis 23. Oktober 2018. Wer keinen eigenen Blog hat, dessen Artikel veröffentlichen wir gern wie diesen hier als Gastbeitrag hier im Blog.
Zwischen 1784 und 1785 bereisten Herzog Peter von Kurland und seine Frau Anna Dorothea Italien. Ihr Weg führte sie nach Venedig, Verona, Neapel und Florenz. In Rom malte Angelika Kauffmann (1741–1807) ein Porträt der Herzogin von Kurland und ein Bildnis der noch kleinen Tochter Wilhelmine. 1785 kehren Herzog Peter und seine Frau Dorothea nach Friedrichsfelde (Berlin) zurück.
2018 begab sich Wolfgang Stöcker, Gründer des „Deutschen Staubarchivs“, auf die Spuren der Herzogin. Aus Rom sendet er seinen Beitrag zur Blogparade #SalonEuropa.
Für mich ist Europa ein Glücksfall
Zunächst: Ich bin Europäer. Für mich persönlich ist Europa ein Glücksfall. Ich darf in diesem reichen und friedlichen Erdenwinkel leben! Aktuell ist unsere europäische Gemeinschaft demokratisch organisierter Staaten aber latent bedroht von äußeren Mächten wie auch von inneren Konflikten zerrissen. Trotzdem erscheint mir eine Drohkulisse gleich welcher Art fast gänzlich absurd, denn ich, Jahrgang 1969, kenne nur ein „Europa des Friedens“, ein Europa in dem der Wohlstand fast überall ständig wuchs, Grenzen fielen, die Wiedervereinigung Deutschlands möglich wurde. Obgleich es Rückschläge (etwa der Krieg auf dem Balkan) gegeben hat, erlebte Europa nach 1945 auf vielen Ebenen viele Verbesserungen. Sogar der Ost West Konflikt schien in der Ära Gorbatschow überwindbar.
Was läuft seit einigen Jahren falsch? Ich bin nahe der belgischen und niederländischen Grenze aufgewachsen. Bis in die 1980er Jahre gab es dort noch Grenzkontrollen. Auch an den kleinen Übergängen auf den Landstraßen war ein Stopp nötig, Ausweiskontrolle. Kommt dies nun alles wieder? Vielleicht sind die Europäer mit ihrem eigenen Glück der letzten Jahrzehnte überfordert und suchen Lösungen für aktuelle Probleme im Rückzug auf alte Grenzen?
In Europa existiert eine große Varietät an Sprachen und Kulturen. Sie sind alle verschieden und doch ähnlich. Wir Europäer besitzen soziokulturelle Klebstoffe, die uns allen bekannt sind! Unter vielen anderen: Antike, Renaissance, Judentum und Christentum, Monarchie, Demokratie, Gotik, Barock, Aufklärung, Französische Revolution, Marx und Engels, ebenso der Kapitalismus!
Für Europa waren diese Bindemittel leider auch wiederholt Sprengmittel. Bis 1945 war Europa ein Kontinent ständiger Kriege und totaler Katastrophen. Mehr noch, die Europäer exportierten ihre Ideen über Jahrhunderte mal friedlich mal kriegerisch in alle Welt. Viele europäische Nationen installierten listenreich und sehr brutal koloniale Systeme auf anderen Kontinenten und dieser Kolonialismus ist noch gar nicht überwunden. Nicht verwundern darf es, wenn wir Europäer durch die außereuropäische Brille vielleicht auch danach beurteilt werden, ob sie ihre Werte denn auch leben. Alleine die Waffenexporte Europas in die Welt machen unsere „Werte“ angreifbar.
Die Wertediskussion ist anstrengend und doppelbödig. Wir sind nicht besser und nicht schlechter als alle anderen. Europa hat jahrhundertelang im Namen seiner Werte weltweit Unheil verbreitet und ist dabei oft genug unter die eigenen Räder geraten. Außerhalb Europas existieren ebenso Werte, die ebenso in der Lage sein mögen Dinge zum Guten zu wenden.
Es mag naiv sein, wenn ich als „nach 1945“ geborener Mensch lange das Gefühl hatte: Menschen können aus ihrer Geschichte lernen. Menschen können eine bessere Welt bauen. Aber bis in die 1990er sah es in Europa wirklich so aus.
Momentan scheinen viele (fast) tot geglaubte Geister zurück zu kommen. Ich hoffe, dass es sich hier um temporäre Reflexe von Unsicherheit handelt und das Europa zu sich selbst und zu allen anderen Bewohnern dieser Erde ein freundliches, offenes und friedliches Verhältnis findet. Die angesprochenen Bindemittel gehören wohl auf den Prüfstand und müssen auch mit außereuropäischen Bindemitteln neu gemischt werden. Es bleibt zu hoffen, dass Verbesserungen über Europa hinaus möglich werden. Isoliert, eurozentrisch ist nichts erreichbar.
von Wolfgang Stöcker zum Projekt #SalonEuropa
Wolfgang Stöcker ist Gründer des „Deutschen Staubarchivs“. Er arbeitet derzeit intensiv daran, aus in der Burg Posterstein gesammelten Stäuben und aus Wachsspenden aus der Region Skulpturen zu fertigen. Als studierter Historiker dokumentiert er dabei jeden Handgriff genau. Im Sommer 2019 wird seine „Staub-Kunst“ auf Burg Posterstein zu sehen sein.
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