Der Weihnachtsbaum hielt sehr spät in Böhmen Einzug, denn die deutsche Tradition setzte sich nur langsam durch. Den ersten geschmückten Weihnachtsbaum gab es in Prag im Jahr 1812, dem Jahr, in dem Napoleon seinen großen Russlandfeldzug startete, in Moskau einmarschierte und vom russischen Winter vernichtend geschlagen wurde. Bei einer privaten Weihnachtsfeier für seine Freunde ließ der Deutsche Johannes Karl Liebich (1773–1816), Direktor des Ständetheaters in Prag, einen geschmückten Baum mit darunter liegenden Geschenken für alle Gäste aufstellen. Nachlesen bzw. hören kann man die Geschichte beim Radio Prag.
Dieser Baum kam gut an, aber der deutsche Brauch konnte sich in den böhmischen Ländern, in denen gerade das tschechische Nationalbewusstsein erwachte, nicht leicht durchsetzen. Zunächst sollen ihn nur reiche deutsche Familien in ihren Wohnstuben aufgestellt haben. Weite Verbreitung außerhalb des Kreises wohlhabender Bürgerfamilien fand der Weihnachtsbaum wohl erst nach dem Ersten Weltkrieg.
Nüsse und Perlen am Weihnachtsbaum
Geschmückt wurde der Baum traditionell mit selbstgefertigten Dekorationen aus den verschiedensten Materialien: Stroh, Watte, Textilien, Holz, Teigwaren oder Papier, um nur einige zu nennen. Die Grundlage der Schmückung bildeten Nüsse. Goldgefärbt galten sie als Symbol des Reichtums. Ebenso beliebt waren Äpfel, Trockenfrüchte und sogar Kartoffeln, die in verschiedene Formen geschnitzt, auf der Ofenplatte gebacken und mit Zwirn befestigt wurden. Die Materialien variieren nach den Erzeugnissen, die in der entsprechenden Region angebaut wurden. So galten in den bekannten Glashüttenstätten, wie dem Riesengebirgsvorland oder dem Böhmerwald, Perlenketten als beliebter Schmuck. Den Perlenschmuck für den im böhmischen Stil geschmückten Baum in der diesjährigen Weihnachtsausstellung des Museums fertigten übrigens Mitarbeiter des Kinder- und Jugendheims der Kinderarche Sachsen in filigraner Handarbeit.Am Heiligen Abend wurde jeder reich beschenkt – auch die Tiere
Die tschechische Nationalschriftstellerin Božena Němcová, Autorin des Kunstmärchens „Aschenputtel“, wuchs als Tochter eines Kutschers und einer Wäscherin in Ratibořice nahe dem Schloss der Herzogin Wilhelmine von Sagan, Tochter der Löbichaer Salondame Anna Dorothea von Kurland, auf. Němcová schildert in ihrem Klassiker „Die Großmutter“ anschaulich die weihnachtlichen Bräuche ihrer Kindheit:„Am Heiligen Abend wurde jeder reich beschenkt, selbst das Geflügel und das Vieh bekamen ihren Weihnachtsstollen, und nach dem Abendessen nahm die Großmutter je ein Stück von allen Speisen, die auf dem Tisch gekommen waren, warf die Hälfte davon in den Bach, damit das Wasser rein und gesund bleibe, die andere Hälfte aber vergrub sie im Garten unter einem Baum, damit die Erde fruchtbar sei. Alle Brosamen sammelte sie sorgfältig und warf sie ins Feuer, „damit es keinen Schaden anrichte.“
[…] Da trat auch schon die Mutter ins Zimmer und sagte zu den Kindern, das Christkind habe seine Gaben in Großmutters Stube gebracht.
War das ein Rennen, war das eine Freude, als sie den strahlenden, geschmückten Christbaum und darunter die schönen Geschenke sahen!
Die Großmutter hatte zwar früher diese Sitte nicht gekannt, unter dem einfachen Volk war sie nicht üblich, aber sie gefiel ihr; schon lange vor Weihnachten hatte sie selbst an den Baum gedacht und dann ihrer Tochter beim Schmücken des Christbaums geholfen.“
Aus: Božena Němcová: Die Großmutter. Bilder aus dem ländlichen Leben, Prag 1978, S. 151-153.
Die Sonderausstellung „Weihnachten mit Aschenputtel – Böhmische Weihnachtskrippen“ ist noch bis 8. Januar 2017 zu sehen.
Von Marlene Hofmann / Museum Burg Posterstein