Das Museum Burg Posterstein erhielt am Samstag, 21. September 2024, Besuch einer Reisegruppe aus lettischen Museen, allen voran aus dem Schloss Rundāle. Der Palast der Herzöge von Kurland wird auch als „Versailles des Nordens“ bezeichnet. Anlässlich des 300. Geburtstags des Herzogs Peter von Biron fand dort in diesem Jahr nicht nur eine wissenschaftliche Tagung statt, sondern auch eine umfangreiche Bildungsfahrt durch Deutschland, Polen und Tschechien. Im Mittelpunkt standen dabei die Orte, an denen der Herzog und seine Frau Anna Dorothea sowie deren Töchtern und Nachkommen gelebt und gewirkt haben.
Historischer Exkurs – Ein Herzog mit Geschäftssinn: Herzog Peter von Kurland erlebte alle Höhen und Tiefen, die sich in einem Leben unter der Allmacht der russischen Herrscher ergeben können: Auf eine glanzvolle Jugend folgten eine Zeit der Verbannung mit seinem Vater und 1795 seine durch die russische Krone erzwungene Abdankung und Aufgabe des Herzogtums Kurland. Seit 1769 war er Herzog von Kurland. Zwei Ehen wurden kinderlos geschieden. Erben erhoffte er sich von seiner 1779 geschlossenen Ehe mit Anna Dorothea von Medem. Sein Verhältnis zum kurländischen Adel war geprägt von fortlaufenden Auseinander-setzungen. Durch den Herzogtitel erhielt er Zugang zu den wichtigsten europäischen Adelshäusern, besonders zum Königshof in Berlin. Der Herzog galt als geschäftstüchtig und kunstsinnig. In seiner Residenz in Mitau versammelte er Künstler und Gelehrte und gründete ein akademisches Gymnasium. Er blieb auch nach seiner Abdankung einer der reichsten Männer Europas. Frühzeitig investierte er im Ausland, um Frau und Töchter abgesichert zu wissen. Unter anderem erwarb er Immobilien, wie 1785 das Schloss Friedrichsfelde und das Stadtpalais „Unter den Linden“ in Berlin. Schon 1786 kaufte er das Herzogtum Sagan mit der ausdrücklichen Genehmigung der weiblichen Erbfolge im Hinblick auf seine älteste Tochter Wilhelmine, außerdem die Güter Nachod und Ratiborschitz in Böhmen.
Das Museum Burg Posterstein beschäftigt sich seit fast dreißig Jahren intensiv mit der Geschichte Anna Dorothea von Kurlands, ist international bekannt für seine Forschungsarbeit und pflegt ein überregionales Netzwerk. Seit Jahren ist es im Kontakt mit dem lettischen Museum Schloss Rundāle. So initiierte das Museum Burg Posterstein beispielsweise die Wanderausstellung „Lebensstationen der Herzogin von Kurland“ und verband die historischen Orte in Europa, indem die Exposition nach der Eröffnung in Posterstein (2006) auch in Lettland (Schloss Ruhental 2008), Polen (Schloss Sagan 2009) und Frankreich (Schloss Valencay 2007) gezeigt wurde.
Bei ihrem diesjährigen Besuch im Altenburger Land führte das Museumsteam die kurländischen Kolleginnen und Kollegen zunächst mit Unterstützung der Kirchgemeinde Großstechau durch die dortige Kirche. Diese war die Hauskapelle Anna Dorothea von Kurlands. Sie besaß dort eine Ehrenloge und auch ihre Beerdigung wurde hier gefeiert. Nach einem kurzen Abstecher zum Schloss Löbichau, das in seiner historischen Substanz heute nicht mehr erhalten ist, ging es nach Tannenfeld und von dort aus nach Posterstein.
Unterwegs und in Posterstein ergab sich die Gelegenheit für fachlichen Austausch über beispielsweise neuste Forschungsergebnisse und gemeinsame zukünftige Projekte.
Die Sonderschau „Der Mann unter der 1000-jährigen Eiche – Über den Umgang mit faszinierenden Baumdenkmalen“ im Museum Burg Posterstein ging am 25. August 2024 zu Ende. Seit Eröffnung am 28. Januar sahen genau (!) 17.777 Gäste die Ausstellung, die sich Hans Wilhelm von Thümmels Grab in der 1000-jährigen Eiche sowie weiteren uralten Eichen widmete.
Über unseren Umgang mit alten Bäumen
Egal, ob sie nun 1000 Jahre alt ist oder noch nicht ganz, die Nöbdenitzer Eiche, mit dem Grab eines Ministers zwischen ihren Wurzeln, ist einzigartig. Die Sonderschau stellte nicht nur den Sachsen-Gotha-Altenburgischen Minister Hans Wilhelm von Thümmel und sein Grab unter der 1000-jährigen Eiche in Nöbdenitz vor – in Film und in Textform. Darüber hinaus ging es um die Frage: Was braucht es, damit Bäume heute noch so alt werden können?
Eine Bildergalerie erzählte die Geschichten von 39 beeindruckenden Eichen aus Deutschland und aus Frankreich, England, Dänemark, Schweden, Polen und Tschechien. Dafür stellten uns über 40 engagierte Baum-Liebhaber Fotos und Informationen zur Verfügung, darunter Forstwissenschaftler, Künstler, Vereine, Museumskollegen, Touristiker und Fotografen.
Auf Grund der Internationalität der Eichen und der Kooperationspartner waren die Ausstellungstexte zweisprachig, auf Deutsch und Englisch.
Die Sonderschau nahm ihren Ausgangspunkt zwar im nahe Posterstein gelegenen Ort Nöbdenitz, stellte dann aber mächtige und alte Eichen aus ganz Europa vor. Ganz unterschiedlich gehen Menschen mit diesen Bäumen um, aber fast überall begegnet man ihnen mit Ehrfurcht und Faszination.
Darüber hinaus ging es um die Eiche als Naturdenkmal und als Lebensraum: Welche Bedingungen braucht sie, um so alt zu werden wie die Nöbdenitzer Eiche? Welche Eichen im Landkreis Altenburger Land haben das Potenzial dazu, so alt zu werden, wenn wir ihnen den Raum dafür lassen? Dabei unterstützte uns die Untere Naturschutzbehörde. Forstassessor Thomas Neidhardt vermaß die Bäume ehrenamtlich, Frank Leo fotografierte sie im Auftrag des Landkreises.
Um faszinierende europäische Eichen zu finden, bezogen wir unsere Netzwerke, sowohl digitale als auch analoge, ein. Darüber hinaus knüpften wir neue Kontakte. Die finale Auswahl war auch Resultat der Bereitschaft, unsere Ausstellung aktiv zu unterstützen. Manche der vorgestellten Eichen sind Kultur- und Naturdenkmal in einem. Genauso ist es bei der Nöbdenitzer Eiche, aber auch bei der zu einer Kapelle umgebauten Eiche im französischen Ort Allouville, der Körnereiche im tschechischen Karlsbad oder der Chrobry-Eiche im polnischen Piotrowice, deren Eicheln der Papst segnete. Die Eichengeschichten sind vielfältig.
Ein außergewöhnliches Grab: Die 1000-jährigen Eiche von Nöbdenitz
Die 1000-jährige Eiche von Nöbdenitz ist nicht nur ein beeindruckendes Naturdenkmal, sondern der einzige bekannte Baum Deutschlands, in dem sich eine Grabstätte befindet. Seit 1824 birgt sie die letzte Ruhestätte des Sachsen-Gotha-Altenburgischen Ministers Hans Wilhelm von Thümmel. Seit mehr als hundert Jahren heißt sie im Volksmund „Die Tausendjährige“. Die Schätzungen über das Alter des Baumes gehen weit auseinander und reichen von 600 bis 1200 Jahren.
Die Nöbdenitzer Eiche ist eine Stieleiche (Quercus robur) und steht in unmittelbarer Nachbarschaft zu Pfarrhof und Kirche, direkt an der Dorfstraße. Sie ist zwölf bis vierzehn Meter hoch und besitzt, direkt auf Bodenhöhe bemessen, einen Umfang von über zwölf Metern. Damit zählt sie zu den mächtigsten Eichen Deutschlands.
Wegen des Befalls durch einen Pilz ist der Stamm vollkommen hohl. Schon bei einem Gewittersturm 1819 verlor sie ihre Hauptkrone. Seither bilden zwei untere Äste eine Nebenkrone. In den vergangenen Jahrzehnten hat der Baum einen Adventivstamm, einen Jungstamm, gebildet. Noch immer treibt sie jedes Jahr neues Laub und bringt viele Eicheln hervor.
Schon Jahre vor seinem Tod kaufte Hans Wilhelm von Thümmel die uralte Eiche der Nöbdenitzer Kirchgemeinde ab, schon damals als seine zukünftige Grabstätte. 1824 dann wurde er tatsächlich mit behördlicher Genehmigung in einer gemauerten Gruft in den Wurzeln des Baumes beigesetzt.
Zu Lebzeiten ließ Thümmel bereits erste Eisenringe anbringen, um den Baum möglichst lange Zeit zu bewahren. Seither sind weitere Stützsysteme hinzugekommen.
Thümmel: Ein bedeutender Mann für das Altenburger Land
Der Minister Hans Wilhelm von Thümmel lebte von 1744 bis 1824. Er zählt zu den bedeutenden historischen Persönlichkeiten der Altenburger Region. Am Hof der Herzöge von Sachsen-Gotha-Altenburg arbeitete er sich vom Pagen zum Minister hoch.
Als Gesandter vertrat er das Herzogtum unter anderem in Berlin und Paris. In der bewegten Zeit zwischen französischer Revolution, Aufstieg und Fall Napoleons und Neuordnung Europas sorgte Thümmel für die Kartierung des Altenburger Landesteils, den Bau von Straßen, Armenhäusern und einem Krankenhaus und die Gründung der Kammer-Leihbank, der späteren Landesbank. Gleichzeitig interessierte er sich für Architektur, förderte Künstler und Handwerker und ließ weitläufige Landschaftsgärten anlegen, die er auch der Öffentlichkeit zugänglich machte. Als Altersruhesitz wählte sich Thümmel sein Rittergut Nöbdenitz, war regelmäßig Gast der Herzogin von Kurland in ihrem Salon in Löbichau und kaufte die 1000-jährige Eiche als seine zukünftige Grabstätte.
Die Sonderschau stellte den vielseitigen Mann und seine einzigartige Grabstätte vor. Ergänzend war eine Galerie weiterer beeindruckender Eichen aus ganz Europa zu sehen. Es wurde deutlich: Die Bäume sind oft nicht nur Naturdenkmal, sondern auch Kulturdenkmal und wir Menschen gehen auf sehr unterschiedliche Arten mit diesen Methusalem-Bäumen um.
Das Buch ist, so lange der Vorrat reicht, zum Preis von 25 Euro im Museum Burg Posterstein erhältlich und kann auch gern per E-Mail bestellt werden. Mit dem Kauf unterstützen Sie die Forschungsarbeit des Museums. Hier gibt es weitere Informationen zum Buch.
Das Begleitprogramm zur Ausstellung
Ausstellungseröffnung mit Vortrag und Musik
Zur Ausstellungseröffnung am 28. Januar 2024 in der gut gefüllten Neuen Scheune Posterstein gab es Grußworte von Landrat Uwe Melzer. Kuratorin Marlene Hofmann stellte ausgewählte Eichen vor, Franziska Huberty las aus dem Buch „Im Dienste der Ernestiner“ und die Musikerin Anna Herrmann umrahmte die Eröffnung musikalisch.
Podiumsgespräch „Dürfen Bäume noch alt werden?“
Beim Podiumsgespräch „Dürfen Bäume noch alt werden?“, das am 25. Februar, 15 Uhr, ebenfalls in der Neuen Scheune Posterstein stattfand, sprachen Experten aus der Forstwirtschaft, die Fachdienstleiterin für Natur und Umwelt sowie Baumfreunde über die Bedingungen, die Bäume brauchen, um alt werden zu können. Dabei stellt sich die Frage: Haben Bäume heute noch die Chance dazu?
Die interessanten Redebeiträge haben wir hier im Blog ausführlich dokumentiert.
Winterferien-Rätsel „Unterwegs im dunklen Wald“
Auch das Winterferien-Rätsel des Museums griff von 3. bis 25. Februar 2025 passend zur Sonderschau das Thema Wald auf. Unter dem Titel „Unterwegs im dunklen Wald – Was machte ein Jäger im Mittelalter?“ folgten Ferienkinder den Spuren eines mittelalterlichen Jägers. Dabei erfuhren sie, ob die Wälder damals wirklich so finster wie im Märchen waren und wer oder was dort alles lebte.
Lesung aus dem Buch „Im Dienste der Ernestiner“
Unter dem Titel „In heitrer ländlicher Umgebung“ lasen Franziska Huberty und Marlene Hofmann aus dem Museum Burg Posterstein am 19. Februar, 18.30 Uhr, Stadtbibliothek Schmölln aus dem Buch „Im Dienste der Ernestiner Hans Wilhelm von Thümmels Aufstieg vom Pagen zum Minister“. Organisator der Veranstaltung war der Bibliotheksförderverein Schmölln.
Lesung und Gespräch „Können Bäume noch alt werden?“
Die Frage „Können Bäume noch alt werden?“ stellte sich zur Lesung mit Gespräch am 17. März, 15 Uhr, in der Neuen Scheune Posterstein. Gekommen waren rund siebzig interessierte Gäste. Sehr kurzweilig stellte der Autor Frank Quilitzsch sein Buch „Wilhelm, wie sieht der Wald wieder aus!“ vor und kam im Anschluss mit Hans-Peter Schenk, Revierleiter des Forstreviers Schmölln, ins Gespräch.
Für sein Buch streifte der Erfurter Autor und Journalist Frank Quilitzsch ein Jahr lang mit Thüringer Förstern und Baumforschern durch die Reviere. Er ging mit auf die Jagd und verbrachte Tage und Nächte im Nationalpark Hainich. Dabei traf er auf unterschiedlichste Menschen, denen Bäume am Herzen liegen. Klimaexperten, Ranger, die Umweltministerin – was fordern sie im Umgang mit der Natur? Und wie geht es den Eichen in unseren Wäldern? Das Buch erschien im Thüringer Verlag Tasten & Typen.
Im Gespräch mit Frank Quilitzsch erzählte Revierförster Hans-Peter Schenk, dass sein Schmöllner Forstrevier zu denen mit den wenigstens Waldflächen in Thüringen zählt. Das liege an dem guten Ackerland in der hiesigen Region. Der Nöbdenitzer Forst sei der größte zusammenhängende Wald seines Reviers. Der Revierförster betonte, dass sich die Situation der Wälder seit 2021, als Frank Quilitzschs Buch erschien, bereits erheblich verschlechtert habe. Wegen des Borkenkäfers seien die Wälder vielerorts kahl. Der Klimawandel sei spürbar: Es ist zu heiß, zu trocken, zu stürmisch. Das Gesamtgefüge sei aus dem Gleichgewicht geraten. Der Förster empfiehlt, von der Monokultur wegzukommen und die Wälder öfter sich selbst zu überlassen. Trotz der Herausforderungen könne er sich aber keinen schöneren Job vorstellen, auch wenn sich das Aufgabenspektrum des Försters in den letzten Jahrzehnten geändert habe. Er stehe jetzt auch immer häufiger in der Öffentlichkeit und sei auch Moderator, Vermittler und Konfliktmanager. Und wie ergehe es nun den Eichen, denen sich die Ausstellung widmete? – Die zählten tatsächlich zu den klimastabilsten Baumarten, bescheinigt Revierförster Hans-Peter Schenk.
Was bleibt: Die digitale Ausstellung „Faszinierende Baumdenkmale“
Während der Ausstellungszeit erreichten uns E-Mails mit Fotos und Texten zu weiteren beeindruckenden Eichen, die Besucherinnen und Besucher in ihrer Umgebung entdeckt haben. Diese wurden in der digitalen Ausstellung ergänzt.
Zudem fand ein Kunst-Projekt des Abiturjahrgangs des Roman-Herzog-Gymnasiums Schmölln in der digitalen Ausstellung einen würdigen Platz, um ihre kreativen Entwürfe zu Baumhäusern der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Auf diese Weise brauchten sich unsere Besucherinnen und Besucher auch in diese Ausstellung wieder partizipativ ein.
Die digitale Ausstellung ist auf der Website des Museums angesiedelt und erfreut sich seither reger Zugriffzahlen. Hier geht es zur digitalen Ausstellung.
2024 ist Thümmel-Jahr im Altenburger Land
Die Ausstellung über die Grabeiche des Ministers Hans Wilhelm von Thümmel war Teil des Thümmel-Jahres im Altenburger Land, an dem sich verschiedene lokale Akteure beteiligen. Zum 280. Geburtstag und 200. Todestag im Jahr 2024 widmet sich das Altenburger Land dem Leben und Wirken des verdienstvollen Politikers Hans Wilhelm von Thümmel auf vielfältige Weise. Das Thümmel-Jahr steht unter Schirmherrschaft des Landrates Uwe Melzer.
Die Ostereier-Schau, die wir bis 1. Mai 2023im Museum Burg Posterstein zeigen, enthält diesmal einige „Easter Eggs“, die sich auf unsere anderen Ausstellungen, Sammlungen und Forschungen beziehen. Für alle, denen der Begriff nicht so geläufig ist: Unter „Easter Eggs“ versteht man versteckte Hinweise und Referenzen in künstlerischen Werken wie Filmen und Büchern, die sich auf andere Werke beziehen. In unserem Fall gibt’s in der Ausstellung mehr oder weniger unauffällige Andeutungen auf Ausstellungsthemen der ständigen Ausstellungen und der nächsten Sonderschau.
Die Ostereier-Schau auf Burg Posterstein
Die Ostereier-Schau „Wenn die Osterglocken läuten“ holt von 1. April bis 1. Mai 2023 den Frühling in die Burg Posterstein. Die Sonderschau zeigt in einem Raum hunderte, von Peter Rehfeld in verschiedenen Techniken gestaltete Ostereier aus der Sammlung des Museums und stellt sie Frühlingsgedichten gegenüber. Die Gedichte schrieben Autorinnen und Autoren, die in der ständigen Ausstellung des Museums eine Rolle spielen.
Was haben Jean Paul, Theodor Körner und Hans Fallada gemeinsam?
In der Ostereier-Schau treffen Besucherinnen und Besucher auf Gedichte von Theodor Körner, Jean Paul, Hans Wilhelm von Thümmel, Elisa von der Recke und Christoph August Tiedge, die allesamt Gäste im Salon der Herzogin von Kurland in Löbichau waren. Auch ein Gedicht, wenn auch kein fröhliches, von Hans Fallada, dem das Museum ab 14. Mai 2023 eine Ausstellung widmet, ist dabei.
Alle Schriftsteller eint, dass sie zu Lebzeiten Gast, vorrübergehend wohnhaft oder beheimatet im heutigen Altenburger Land waren und in der ständigen Ausstellung des Museums Erwähnung finden.
Das Patenkind der Herzogin Dorothea: Theodor Körner
Im Frühling
1810
Morgenduft! Frühlingsluft! Glühend Leben, Muthige Lust, Freudiges Streben In freudiger Brust! Hinauf, hinauf Auf der lichten Bahn Dem Frühling entgegen!
Auf allen Fluren Der Liebe Spuren, Der Liebe Segen. Wälderwärts Zieht mich mein Herz, Bergaus, bergein, Frei in die Welt hinein, Durch des Tages Gluth, Durch nächtlich Grausen!
Jugendmuth Will nicht weilen und hausen. Wie alle Kräfte gewaltig sich regen, Mit heißer Sehnsucht spät und früh, Dem ewigen Morgen der Liebe entgegen, Entgegen dem Frühling der Phantasie!
Aus: Theodor Körner: Gedichte, in: Theodor Körner‘s Werke. Vollständigste Ausgabe mit mehreren bisher ungedruckten Gedichten und Briefen, Berlin 1890.
Theodor Körner (1791–1813) weilte häufiger in Löbichau als Gast seiner Patin, der Herzogin Dorothea von Kurland. Er studierte in Leipzig und Wien, wo er am Burgtheater arbeitete. Bekannt wurde er als Dichter der Befreiungskriege, in denen er 1813 starb. Der Maler Ernst Welker, von dem unsere Podcast-Folge Nummer 9 erzählt, zeichnete sein Grab. Auch Welker war – wenn auch später als Körner – in Löbichau.
Die Halbschwester der Herzogin: Elisa von der Recke
Ebenfalls eine Taufpatin Theodor Körners war die Schriftstellerin Elisa von der Recke (1754–1833), die Halbschwester der Herzogin Anna Dorothea von Kurland. Sie schrieb unter anderem folgendes Frühlingsgedicht:
Frühlingslied
Sieh, der Frühling lacht uns wieder; Bunt geschmückt sind Hain und Flur; Laut erschallen seine Lieder Von den Sängern der Natur; Lichte Silberwolken mahlen Schön sich auf des Himmels Blau, Und die Pracht der Sonnenstrahlen Schmückt mit Glanz die Blumenau‘. Reiche Saat wogt auf den Feldern, Wie ein grünes Wellenmeer; Auf den Bergen, in den Wäldern Lacht um uns die Freude her; Jeder neue Tag entfaltet Neuen Blüthenschmuck der Flur; Und die Schönheit, die veraltet, Wird ein Segen der Natur. Schnell auch welkt der Jugend Blüthe, Gleich dem holden Lenz, dahin! Weisheit, zarte Seelengüte, Sind ein bleibender Gewinn. Lerne du von Mutter Erde, Wie sie Lenz und Sommer braucht! Daß zur Frucht die Blüthe werde, Darum wird ihr Schmuck enthaucht.
aus: Gedichte der Frau Elisa von der Recke, gebornen Reichsgräfin von Medem / hrsg. von C. A. Tiedge. Mit Compositionen von Himmel und Naumann, Halle 1806.
Der ständige Begleiter Elisa von der Reckes: Christoph August Tiedge
Gemeinsam mit dem Schriftsteller Christoph August Tiedge (1752–1841) verbrachte Elisa von der Recke so manchen Sommer in Löbichau. Auch er widmete dem Frühliung Gedichte:
Frühlingslied
Auf die Erde gießt der Himmel Seinen wärmern Sonnenschein, Und ein fröhliches Gewimmel Junger Kräfte rauscht im Hain. Hohe Siegeslieder singend, Winkt die blühende Natur, Ihren vollen Thyrsus schwingend, Dich auf ihre grüne Flur. In den klaren Aether tauchen Sich die Lüft‘, und schwärmen dann Durch die Wiese hin, und hauchen Sanft das erste Veilchen an. Dieses Kind der wärmern Lüfte, Zart und freundlich, wie dein Scherz, O, das Veilchen, Minna, düfte Seine Stille dir ins Herz! Um die frühe Philomele Flattert reges Laubgewühl; Sie erweck‘ in deiner Seele Das melodische Gefühl, Welches in der holden Güte In der Graziengestalt Deiner zarten Lebensblüte Leis‘ und lieblich wiederhallt.
Aus: An Minna von B., 1788, in: Elegien und vermischte Gedichte von C. A. Tiedge, Erstes Bändchen, Halle in der Rengerschen Buchhandlung 1803.
Ab 1804 lebte Christoph August Tiedge mit Elisa von der Recke abwechselnd in Halle und Berlin oder reiste mit ihr durch Deutschland, die Schweiz und Italien.
Der Minister vom Nachbar-Rittergut: Hans Wilhelm von Thümmel
Zu den ständigen Löbichauer Gästen zählte der Geheime Rat und Minister Hans Wilhelm von Thümmel, dem das benachbarte Rittergut Nöbdenitz gehörte. Auch ihm widmeten wir bereits eine Podcast-Folge.
Thümmel wählte die 1000-jährige Eiche von Nöbdenitz zu seiner außergewöhnlichen Grabstätte. Zu Lebzeiten soll er in der Eiche Aphorismen verfasst haben. Frühlingsgedichte aus seiner Feder sind uns nicht bekannt, aber einer seiner Aphorismen hat den Weg in die Ostereier-Schau gefunden:
Aphorismus Nr. 140
Wer für die melodische Stimme des Waldes kein Ohr, wer für die Reize der Natur nur ein flüchtiges Auge, wer bei Erblickung des strotzenden Fruchtbaums und bei den grünenden Saaten, die Reiche und Arme sättigen, keine dankbare Zunge, wer für Millionen duftender Blumen und Kräuter ur stumpfe Nerven hat, der besitzt zwar Thiergefühl, aber keine Empfindung: er mag im Sumpfe ekler Zerstreuung sein Leben hinhauchen.
Aus: Hans Wilhelm von Thümmel: Aphorismen aus den Erfahrungen eines Sieben und Siebzigjährigen, Altenburg 1821.
Der Sommergast der Herzogin: Jean Paul
Einen Sommer verbrachte der bekannte Dichter Jean Paul (1763–1825) auf besondere Einladung der Herzogin von Kurland in Löbichau, wo er die dort herrschende Sprechfreiheit lobte. Davon erzählt unsere Podcast-Folge 1, in der wir Jean Pauls Besuch aus Sicht der Herzogin erzählen. Demnächst (Mai 2023) behandelt Folge 11 des Podcasts noch einmal diesen Besuch aus Sicht des Dichters.
Auch Jean Paul ist nicht für Frühlingsgedichte bekannt. Aber wir zitieren gern eine Stelle aus seinem „Titan“:
Wenn der Mensch vor dem Meere und auf Gebirgen, und vor Pyramiden und Ruinen, und vor dem Unglücke steht und sich erhebt, so strecket er die Arme nach der großen Freundschaft aus. – Und wenn ihn die Tonkunst und der Mond, und der Frühling und die Freudenthränen sanft bewegen, so zergeht sein Herz und er will die Liebe. – Und wer beide nie suchte, ist tausend Mal ärmer, als wer beide verlor.
Aus: Titan, Erstes Bändchen, in: Jean Pauls sämmtliche Werke, XXI, Fünfte Lieferung, Erster Band, Berlin 1827, S. 142.
Der Patient und Lehrling: Rudolf Ditzen
Nicht Gast im Salon der Herzogin von Kurland war der letzte Dichter, den die Sonderschau zitiert, denn er kam erst hundert Jahre später in unsere Gegend. Rudolf Ditzen (1893–1947), der später weltbekannte Schriftsteller Hans Fallada, verbrachte in seiner Jugend, längere Zeit in der Nervenheilanstalt in Tannenfeld. Diese war Jahrzehnte nach der Zeit des Löbichauer Salons im ehemaligen Schlosspark Tannenfeld entstanden. In der ländlichen, idyllischen Umgebung verfolgte der Arzt Dr. med. Arthur Tecklenburg dort ein modernes Klinikkonzept.
In dieser Umgebung verbesserte sich Rudolf Ditzens Zustand sichtlich, auch wenn das hier zitierte Gedicht noch von seiner schweren Depression in Folge seines missglückten Doppelselbstmords zeugt:
Tannenfeld
Vielleicht ist Park hier nichts so sehr wie Leid, Vielleicht ist Baum ein hingeschluchztes Wort, Und jedes Blatt ist einer Schwermut Kleid, Darinnen Lust wie Leid erstickt verdorrt. Vielleicht führt jeder Weg zum Irrsinn hin, Vielleicht ist Teich ein tief erweinter Schmerz, Und jedes Haus steht stets im Dunkel drin, Und nichts ist stumm, eh’s nicht zu Boden fällt Nur Ding ist tot und dies vielleicht auch nicht, Es wehrt sich auch und schreit sein tiefstes Leid, So schreit auch Mensch in Schmerzen jederzeit, Bis man ihm schließlich dunkle Kränze flicht.
Aus: Rudolf Ditzen (Hans Fallada) aus seiner Krankenakte
Nach seiner Entlassung absolvierte der junge Mann auf dem Rittergut Posterstein eine landwirtschaftliche Ausbildung. Anlässlich seines Geburtstags zeigt das Museum Burg Posterstein von 14. Mai bis 12. November 2023 die Ausstellung „Hans Fallada – Familienbilder. Wie aber bestehe ich vor Dir, sehr liebe Verwandtschaft –?!“ der Hans-Fallada-Gesellschaft. Diese schöpft aus den umfangreichen Beständen des Hans-Fallada-Archivs und rückt Erinnerungen, Briefe und Fotos der Familie Ditzen in den Mittelpunkt. In Posterstein zu sehen sein wird eine Kabinett-Ausstellung in einem Raum, die bewusst einen Schwerpunkt auf Rudolf Ditzens Jahre in Tannenfeld und Posterstein legt. Zur Ausstellung wird es ein umfangreiches Begleitprogramm geben.
In dieser Podcast-Folge, die 2022 erstmals live im Museum Burg Posterstein zu hören war, stellt die Historikerin Franziska Huberty den Maler Heinrich Reinhold und seinen Künstlerkollegen Ernst Welker in den Mittelpunkt. Mehrfach gingen sie gemeinsam auf Reisen. In einem Brief beschreibt Heinrich Reinhold nicht nur die Landschaft, sondern auch wie solche Reisen abliefen, wie wetterabhängig die Künstler dabei waren, wie viel Gepäck sie mitnahmen und wie sie sich bei Regenwetter die Zeit vertrieben.
Den Titel der Folge spricht diesmal Uwe Buchheim, der das Museum Burg Posterstein gerade in Bezug auf Ernst Welker maßgeblich durch Schenkungen und Leihgaben unterstützt hat – herzlichen Dank dafür!
Wie immer können Sie diese Folge als Blogpost lesen oder als Podcast anhören:
„Nächst ihr [Gräfin Trogoff] wurde der Reisezug durch unseren Zeichenlehrer, Herrn Ernst Welker, Vetter der beiden berühmten Welker, vermehrt. Er war aus Suhl gebürtig und Sachse vom reinsten Wasser; längere Zeit hatte er sein Fortkommen in Wien gefunden, von wo ihn die Herzogin als unseren Lehrer, gerne gesehenen Gast und guten Gesellschafter mitgenommen hatte.“
Emilie von Binzer: Drei Sommer in Löbichau, zu ihr gibt es eine eigene Podcast-Folge
So berichtet Emilie von Binzer in ihrem Buch „Drei Sommer in Löbichau“ über den Landschaftsmaler Ernst Welker. Und damit heiße ich Sie ganz herzlich willkommen zur 9. Folge der LeseZEIT mit Geschichte und Geschichten aus dem Museum Burg Posterstein. Aus dem Burgstudio begrüßt Sie wie immer die Historikerin Franziska Huberty.
Falsche Fakten über Ernst Welker
50 Jahre nach den eigentlichen Geschehnissen schrieb Emilie von Binzer, geborene von Gerschau und Enkelin der Herzogin Anna Dorothea von Kurland, inspiriert durch die „Jugenderinnerungen“ ihres einstigen Freundes Gustav Partheys, Auszüge aus ihrer Jugendzeit nieder, spricht über ihre Familie und über die Löbichauer Gäste, über besondere und weniger besondere Situationen des Salonalltags und gibt auf humorvolle, unterhaltende und nicht selten ironische Weise einen ganz speziellen und persönlichen Einblick in das Leben der damaligen Zeit. Dabei ist es nicht verwunderlich, dass ihr einige Fehler unterlaufen, wie auch hier, in diesem kurzen Abschnitt über ihren Zeichenlehrer Ernst Welker, der keines Wegs „aus Suhl gebürtig“ war. Und doch ist dieser kurze Abschnitt in gewisser Weise bezeichnend für die Erinnerung an den Maler. Denn oft sind nur die Hälfte aller veröffentlichten Daten über Ernst Welker – und das, wie es scheint, noch zu Lebzeiten des Künstlers – tatsächlich korrekt.
Obwohl Ernst Welker ein anerkannter Maler war, der mit den künstlerischen Größen seiner Zeit – wie Johann Adam Klein, den Gebrüdern Reinhold oder Johann Christoph Ehrhardt – auf Reisen ging, der Gesellschafter und Zeichenlehrer im Salon der Herzogin von Kurland in Löbichau war, mit Wilhelmine von Sagan durch Italien reiste und bis zu seinem Tod 1857 in Wien als Landschaftsmaler seinen Lebensunterhalt verdiente, gab es allein um sein Geburtsjahr lange Uneinigkeit. Bereits im „Biographischen Lexikon des Kaiserthums Oesterreich“, 1886 erschienen, werden die Lebensdaten des Malers mit 1788–1857 angegeben. Andere Quellen, darunter der Grabstein Ernst Welkers auf dem St. Marx-Friedhof in Wien, nennen das Jahr 1784 als sein Geburtsjahr. Doch im Allgemeinen durchgesetzt hat sich das Jahr 1788 – und das völlig zu Unrecht!
Und um Ihnen das endgültig zu beweisen, kommt hier der Originalauszug aus dem Taufregister der Kirche St. Augustin in Gotha: „5. Aprilis 1784. Hat Herr Phillip Friedrich Welker, herzogl. Sächs. Geheimer Archivarius allhier, seinen Sohn in hiesiger Schloßkirche von dem Herrn Ober-Hofprediger Bause taufen und Johann Heinrich Ernst nennen laßen.“ Neben dem Eintrag ist zudem vermerkt: natus – also geboren – den 4. Aprilis. Johann Heinrich Ernst Welker wurde also am 4. April 1784 in Gotha als Sohn des herzoglich-sächsischen geheimen Archivars und Juristen Philip Friedrich Welker und seiner Frau Johanne Auguste Sophie, geb. Kögel, geboren.
An dieser Stelle geht mein herzlicher Dank an Udo Hopf aus Gotha, mit dessen Hilfe und Kontakten es uns gelang, auch in Zeiten, in denen es schwierig war, in den Archiven zu recherchieren, an diese wichtigen Informationen und Quelle zu gelangen.
Philip Friedrich Welker hatte 1776 in Gotha geheiratet. Insgesamt entstammen aus der Ehe 5 Kinder. Zudem war Ernst Welkers Vater Mitglied der „Loge zu den 3 Rosen“ in Jena und starb 1792.
Der Maler Ernst Welker auf Reisen
Sein Sohn, Ernst Welker, erlangte erste Kenntnisse im Zeichnen wohl in Weimar, danach folgte ein Kunststudium an der Wiener Akademie der Bildenden Künste – wohl seit 1804. 1807 erhielt er dort sogar einen Preis für seine Arbeit als „junger Künstler“. Er machte den ersten Platz in der Kategorie „Landschaften“. In Wien muss Ernst Welker auch den Patensohn der Herzogin von Kurland, Theodor Körner kennengelernt haben. Glaubt man einem Artikel im „Allgemeinen Anzeiger der Deutschen“ – herausgegeben in Gotha, im Jahr 1814 – begleitete Welker Theodor Körner 1813 aus Wien nach Breslau, um sich dort als Freiwilliger im Lützowschen Coprs zu melden. Als Lützower Jäger kämpften beide auf Seite Preußens gegen Napoleon und Welker wurde Augenzeuge Körners Tod. Bekannt wurde vor allem ein Aquarell „Körners Grab bei Wöbbelin“, das später als Stich in großer Zahl käuflich zu erwerben war.
Welker kehrte nach Wien zurück, wo ihn 1816 die älteste Tochter der Herzogin von Kurland, Wilhelmine von Sagan, als Erzieher und Zeichenlehrer für ihre Pflegetöchter verpflichtete. In dieser Funktion weilte er in den Jahren 1819, 1820 und 1821 in deren Schlössern in Sagan und Ratibořice, was durch Briefe Wilhelmines an ihre Mutter zu belegen ist. 1819 und 1820 reiste Welker auch mit nach Löbichau, wo er die anwesenden Gäste zeichnen durfte.
Doch auch unabhängig von seinen Diensten bei der Herzogin von Sagan, begab sich Ernst Welker auf künstlerische Reisen. Im Sommer 1817 unternahm er mit seinen Malerkollegen Heinrich Reinhold und Johann Christoph Erhard eine Fußreise nach Niederösterreich, besonders in das Schneeberggebiet. Reisestationen waren u.a. die Burgruine Starhemberg und der Schlosspark Laxenburg. 1818 unternahm Welker zusammen mit den Malern Johann Christoph Erhard, Johann Adam Klein und den Brüdern Friedrich Philipp Reinhold und Heinrich Reinhold aus Gera Reisen nach Salzburg und Berchtesgaden, wovon zahlreiche Grafiken und Zeichnungen zeugen.
Und hier setzt auch unsere heutige LeseZEIT ein. Von Welker selbst sind – nach jetzigem Stand – keine persönlichen Berichte erhalten geblieben. So müssen wir aus den Aufzeichnungen seiner Zeitgenossen schöpfen.
1927 veröffentlichte Heinrich Schwarz einen Brief des Geraer Malers Heinrich Reinhold an dessen Bruder Gottfried Reinhold aus dem Jahr 1818. Darin beschreibt der Künstler seine Reise mit Erhard, Welker und Klein nach Salzburg und an den Königsee. Nicht nur seine Beschreibungen der Landschaft geben viel Aufschluss über die Reise der Künstler. Er beschreibt auch wie die kleine Gruppe unterwegs war und womit sie sich die Zeit vertrieben.
Welker reiste 1818 gemeinsam mit Erhard von Wien über Linz ab. Beide kamen zwei Tage vor den Brüdern Reinhold zwischen dem 22. und 25. Juni 1818 in Salzburg an und kehrten im Gasthof „Zum Mohren“ ein, wie man der „Salzburger Zeitung“ entnehmen kann. Dort trafen sich die vier schließlich noch mit Johann Adam Klein und die Reise begann.
Ich lese aus:
Heinrich Schwarz: Heinrich Reinholds Bericht über seine Reise nach Salzburg, Tirol und Oberösterreich im Sommer 1818, aus: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde, Band 67, Salzburg 1927. Die Ausschnitte befinden sich auf den Seiten 158 bis 163.
„Man soll doch niemals an der Erfüllung eines an sich nicht zu übertriebenen Wunsches, der an sich, versteht sich von selbst, auch rechtmäßig ist, zweifeln. Ein Beyspiel davon haben wir diesen Sommer gehabt. In meinem letzten Brief schrieb ich Dir, daß wir schon längst dem aufkeimenden Wunsch Gehör gaben, Salzburg zu sehen. Anfangs wurde derselbe, der anscheinenden Unmöglichkeit wegen, immer unter die frommen gezählt, bis endlich, durch einige glückliche Umstände begünstigt, der Entschluß schnell reifte, der Wille hatte die Möglichkeit herbeygeführt, und wir sahen uns plötzlich am Ziel unserer Wünsche, ehe wir noch glaubten, daß es möglich sey. Wir hatten beyde gerade ziemlich einträgliche Arbeiten gehabt, und diese lieferten das Reisegeld. Man soll sich nur zuweilen keck über alle Bedenklichkeiten wegsetzen, die in unsrer Lage übrigens verzeihlich sind. 0 hörst Du, welch herrlichen Genuß hat uns diese Reise verschafft! welch einen Gewinn für den Künstler an Geist und Körper! Diese Eindrücke können bey mir gewiß durch keine nachfolgenden jemals verdrängt werden. Es ist ein herrliches Land! Ich kann keck behaupten: es giebt in Deutschland wenigstens, keinen schönern Aufenthalt als Salzburg und die umliegende Gegend, Berchtesgaden mit einbegriffen, das Ländchen, was, beynahe buchstäblich genommen, höher als breit ist.
Elsaß, schön als es ist, kann ich nicht dagegen stellen, und die Schweiz, d. h. so weit ich sie sah, auch nicht. Ersterem fehlen die gewaltigen Gebirge, ob es gleich sehr fruchtbar und mahlerisch ist, und der von mir gesehene Theil der Schweiz hat nicht diese schönen Formen, oder ganz gewiß keine schöneren. Und doch wird Salzburg erst seit wenigen Jahren von Fremden häufiger besucht, und liegt uns um so viel näher als die Schweiz, es ist nämlich nur 42 Meilen von Wien. Ich will Dir nur erst eine Übersicht der ganzen Reise geben, damit Du Dich orientiren kannst.
Wir reisten den 23. Juli mit einem Landkutscher, der einen viersitzigen Wagen hat, die Person zu 40 fl W. W. gerechnet, mit noch 2 andern Herren von hier weg und kamen nach 4 und 1/2 Tag in Salzburg an, über St. Pölten, Stift Molk, Ens, Ebelsberg, Neubau, Wels, Lambach, Schwanenstadt, Vöglabruck (Salzburger Grenze). Frankenmark, Neumark, Salzburg. Von Wien bis Linz ist die Gegend weniger schön, doch hat man von St. Pölten an die Aussicht auf die nächsten steyerischen Berge. Die Donaugebirge sind unbedeutend. Mehrere Stunden oberhalb Linz aber bey Lambach &c. fängt sie auf der linken Seite an schön zu werden, da entfaltet sich nach und nach ein Gipfel der Gebirge des Salzkammergutes nach dem andren, und werden immer mahlerischer, so wie man sich der Salzburger Grenze nähert; dazu hatten wir königliches, aber sehr heißes Wetter, daß wir alle 4 im Wagen beynahe zerflossen sind, weil wir etwas eng saßen, absonderlich mit den Beinen. Das Herrliche fieng aber von der letzten Station vor Salzburg, Neumark, an. Welch ein Anblick, welche Fülle der Vegetation!
Rechts unten lag ein kleiner See, der Seekirchner See; gerade vor uns hatten wir den Kapuzinerberg mit einem Kloster, der nicht sehr hoch ist, und an welchem ein Theil der Stadt liegt, die man aber da noch nicht sieht, weil die Straße etwas links her kommt. Hinter diesem her vor ein Theil des Mönchsbergs, ein herrlicher ganz steil abgeschnittener Felsrücken von 200 bis 300 Fuß Höhe, welcher die Stadt von derSüdseite einschließt, so daß über den Häusern unmittelbar sich die ganz schroffe, röthlich graue Felswand erhebt. Die Salza fließt zwischen diesen beyden Bergen mitten durch die Stadt, doch sieht man sie von diesem Standpunkt auch nicht. Ueber allen diesen nun hervor erheben sich die gewaltigen Häupter des Untersberges, über 6000 F. etwa 1 starke Stunde von der Stadt, weiter hinten noch in einer gewaltigen Kette das Tennengebirg, der Göllen, der sich an den hinteren Theil des Untersbergs anschließt, weiter rechts nach Südwest das Lattengebirg, der Ristfeucht, Ochsenkopf, Sonntagshorn, dann in Westen beinahe, der schöne hohe Staufen, von welchem aus sich das Gebirg verflacht und in die große bayerische Ebene in Nordwest und Norden ausläuft, ein köstliches Panorama. Dies alles sind Berge von 5— 7000 F. und drüber.
Das ist aber noch nicht alles, ganz hinten zwischen dem Göllen und Untersberg in Süden und hinter Berchtesgaden steigen nun erst der ehrwürdige zwiehäuptige Watzmann mit seinen furchtbaren Zacken von 10 000 F. und noch weiter die Teufelshörner empor, die auch zu Berchtesgaden gehören. Ich will nicht versuchen, Dir das Überraschende und Herzerhebende dieser Szene auszumahlen. Der schwüle Sommerton, die blauen Gebirge mit ihren Schneehäuptern, man muß es sehen. Nordöstlich von der Stadt etwa eine bis 1½ Stunde entfernt liegt noch ein anderer Berg mit runder Kuppe, der Geisberg von 4000 F. Der verschwindet aber ganz, man bemerkt nicht, daß er so hoch ist, ob seine Höhe gleich vielleicht 800 F. mehr beträgt als die des Brockens.
Die Stadt ist ganz italienisch gebaut mit flachen Dächern, und hat ein sehr freundliches einladendes Ansehen. Sie hat einen ganz fremden eignen Eindruck gemacht, wie ich mich von keiner der Städte, die ich sah, erinnere. Der Mönchsberg, ein wie gesagt an seiner höchsten Stelle etwa 300 F. hoher Felsrücken von etwa 2000 Schritt Länge, flötzartig und auf allen Seiten ganz senkrecht, schließt die Stadt dergestalt in Süden ein, daß man gezwungen war, durch die ganze Breite ein Thor von 163 Schritt Länge zu hauen, ein wahres Riesenwerk. Es ist gegen 10— 12 Schritt breit, und vielleicht 30 F. hoch, und in die Ebene zwischen den Mönchsberg und Untersberg hinaus führt. Oestlich an den Mönchsberg schließt sich der Schloßberg, auf welchem die Festung Hohen-Salzburg liegt, keine moderne Festung, sondern ein altes Schloß von ungeheuerm Umfang und Höhe in sehr schönem, halb italienischen Styl gebaut. Der Rücken des Mönchsberges ist ganz herrlich mit allen Arten Bäumen bewachsen, die sich überall wunderschön gruppieren. Dieß und die vortreffliche Aussicht auf die Gebirge und Ebene, macht ihn zu dem schönsten Park und Spatziergang, den ich je sah, nur daß die Kunst nichts dabey gewirkt hat. Südlich vom Mönchsberg in der Fläche nach dem Untersberg zu etwa 2000 Schritt vom Mönchsberg liegt ein andrer ganz isolierter ganz steiler, angeflötzter Felsrücken von etwa 800— 1000 Schritt Länge, und etwa 200— 300 F. Höhe, der Ofenlochberg, welcher ganz parallel mit ersterem läuft, auch sehr schön bewachsen ist, aber nur mit kleinen Bäumen und Gebüsch, und oben auch hin und wieder Feld hat.
Ein paar gute Freunde, auch Künstler, waren zwey Tage vor uns von Wien abgereist und erwarteten uns hier, wo wir alsdann auch in demselben Wirthshaus wohnten, und ein sehr lustiges Leben während der 3 Wochen unsers Aufenthaltes führten. Leider hatten wir aber 10— 11 Tage Regen, doch haben wir im unermeßlichen Schweiß unserer Angesichter ziemlich viel gezeichnet. Ein dritter Freund kam 8 Tage später auch an von Wien, und nun giengs noch lustiger und toller her, wenn wir Mittag oder Abends zum Essen zusammenkamen. Doch ich sehe, daß ich zu umständlich werde, also nur das Wesentliche. Wir trafen die beyden jungen Fürsten Lobkowitz nebst ihrem Hofmeister auch an, die durch Steyermark gekommen waren, und nun von hier aus den Glöckner, an der tyrolisch-kärntnerisch-Salzburger Grenze besuchen wollten, d. h. dieser Berg, der höchste in der ganzen österreichischen Monarchie, liegt da wo sich diese 3 Grenzen berühren. Zu dieser Expedition wurde ich denn eingeladen, welches nicht auszuschlagen war, da es sehr artige junge Leute sind, und auch der Folge wegen, und nach Berchtesgaden bestellt (5 St. von Salzburg), von wo aus der Marsch angetreten werden sollte, und wohin sie denn auch über Hallein, um dort die berühmten Salzwerke zu sehen, kommen wollten.
Wir gesegneten also Salzburg und machten uns in corpore auf, d. h. wir beyde, Ehrhardt, Klein und Welker. So sehr wir auch unser Gepäck vereinfacht hatten, indem wir die Oehlmahlereygeschichten nach Wien zurückgeschickt hatten, so wurde uns doch das Uebrige über die Maßen sauer und beschwerlich, da es zumal sehr schwül war. Wir hatten uns verspätet, und waren erst gegen halb 2 ausgegangen und kamen endlich Abends gegen 7 Uhr ziemlich müde in Berchtesgaden an. Dieß ist ein ganz kleines Städtchen oder eigentlich Markt, von etwa 2000 Einw. und liegt in einem Bergkessel, doch nicht fürchterlich, im Hintergrund starrt der Watzmann in die Höhe. Eine Stunde davon nach dem Watzmann zu liegt der berühmte Königs- oder Bartelmeisee zwischen gewaltig-schroffen Wänden rings umschlossen. Das ganze Thal bis an den See wo es sich schließt und eng wird, weil von der linken Seite her der hintere Göllen sich nähert, zeichnet sich durch seine herrliche Vegetation und Alpen aus, vorzüglich schöne ungeheure Ahorne giebts hier, aber wenig Feldbau, es ist schon zu kalt und rauh, und das wenige Getreide oder Hafer wird oft nicht reif. Deswegen nährt sich ein großer Theil der Einwohner von Schnitzarbeit, die bekannten Spielsachen, von denen Du auch wohl gehört hast, doch werden sie elend bezahlt und leben kümmerlich. Dann haben sie etwas Viehzucht, und ein großer Theil findet durch das große Salzwerk seinen Unterhalt.
Aber äußerst mahlerisch ist dieses Thal, doch konnten wir zu unsrem Leidwesen fast Nichts zeichnen, weil es 5 Tage ununterbrochen regnete, denn wenn es im Gebirg einmal anfängt, so kanns gar nicht wieder aufhören, besonders ist Berchtesgaden dafür bekannt. Wir sind schier verzweifelt. Zum Glück war das Wirthshaus sehr gut und billig, wir waren unsrer 5 auf einem Zimmer, und trieben tausend Streiche und Schnaken, hielten Akademie, zeichneten einander, oder Kostüme usw., wurde es ein wenig hell, gleich hinaus um etwas zu zeichnen, doch konnte wenig geschehen. Die Fürsten waren auch schon da und wohnten in demselben Wirthshaus.
Am 5ten Tag Abends wurde es hell, und wir beschlossen den folgenden Morgen abzukratzen, das Wetter möge seyn wie es wolle. Diesen Nachmittag befuhren wir noch den See, es war aber das Wetter auch nicht günstig, windig und fieng endlich wieder an zu regnen, das wir das Ende des Sees nicht erreichen konnten. Ein Sturm ist, auf diesem See besonders, kein Spas, weil er ganz von ungeheuren Wänden umstarrt ist, die senkrecht in den See hereinstehen, und keinen Platz zum Landen lassen im Fall der Noth. Er ist 2 Stunden lang oder etwas mehr, eine starke ¼ Stunde breit, und an der tiefsten Stelle in der Mitte 106 Klafter tief. Die See Liesel, ein hübsches Fischermädchen, welche uns fuhr, hatte eine ungeheure Pistole hergegeben, womit ich auf der Mitte des Sees schoß. Das Echo rollte wie Donner hinüber und herüber. Den folgenden Tag war das Wetter besser und wir rüsteten uns zur Abreise. Wir hatten einen Bedienten und immer einen Wagen, auf welchem das Gepäcke fortgeschafft wurde, so daß ich gar nichts zu tragen brauchte. Fritz wollte noch einen Tag dableiben um den Watzmann noch zu zeichnen. Ehrhardt und Welker setzten ihren Weg nach Gastein fort, und Klein wollte übers Gebirg nach Golling, so zerschlug sich die Gesellschaft auf einmal. Fritz gieng den Tag darauf allein nach Salzburg zurück, von da an die Seen des Salzkammergutes nach Gmunden, über Lambach an die Donau, und auf einem Schiff nach Wien.“
Von 1821 an weilte Welker mehrere Jahre in Italien, wo er seine Malerkollegen in Rom wiedertraf und viele neue Bekanntschaften schloss. Man kann davon ausgehen, dass er sich im Kreis der deutsch-römischen Künstlerkolonie bewegte und versuchte, mit Landschafts- und Architekturdarstellungen ein Publikum zu finden. Er unterhielt Kontakte zu Künstlern wie Berthel Thorvaldsen, Louise Seidler, Johann Christian Reinhart, Josef Anton Koch und Julius Schnorr von Carolsfeld. Im November 1822 reiste der Maler im Gefolge der Wilhelmine von Sagan nach Neapel.
1824 weilte Lili Parthey, die Schwester des Buchhändlers und Altertumsforschers Gustav Parthey, mit ihrem Mann und ihrem Bruder in Rom, traf die dort ansässigen Künstler und schrieb im November 1824 in ihr Tagebuch: „Abends kamen Mila und Tucher zum Thee und der kleine Welcker in alter Erinnerung; er hat leider seinen Bart abgeschnitten.“ Beide hatten sich in Löbichau kennengelernt, in seiner Zeit, als Welker noch einen Schnurrbart „wie einen Äquator“ trug.
In seinen späteren Jahren in Wien war Ernst Welker sehr produktiv. Seine Arbeiten wurden dort regelmäßig bis 1850 ausgestellt, wie man den Jahresausstellungen der Wiener Akademie der Bildenden Künste entnehmen kann. Er starb 1857 in Wien, wo sich auch seine Grabstätte befindet.
Und zum Schluss, mein persönlicher Lesetipp!
Im Juli 2022 widmete das Museum Burg Posterstein diesem fast unbekannten Künstler die Sonderschau „Sehnsuchtsziel Italien – Der Maler Ernst Welker auf Reisen und im Salon der Herzogin von Kurland“. Ausgestellt waren über 60 Arbeiten des Künstlers und weitere Werke seiner Malerkollegen. Die Ausstellung nahm die Besucher mit auf eine Reise nach Italien, Österreich, nach Böhmen und natürlich nach Löbichau! Imm Zuge dieser Sonderschau entstand der bis dato umfangreichste Katalog zum Leben und Wirken des Künstlers. Für nur 25,00 Euro können Sie dieses wunderbare Buch mit dem Titel „Sehnsuchtsziel Italien – Der Maler Ernst Welker auf Reisen und im Salon der Herzogin von Kurland“ im Museum Burg Posterstein erwerben und sich auf eine Reise durch verschieden Lebensstationen und Schaffensorte Welkers entführen lassen.
Und damit verabschiede ich mich, liebe Zuhörende, bis zur nächsten LeseZEIT mit Geschichte und Geschichten aus dem Museum Burg Posterstein!
Von Franziska Huberty (Text und Sprecherin) und Marlene Hofmann (Schnitt)
Nach einer längeren Pause, in der unsere Podcast-Folgen live im Museum stattgefunden haben, gibt es nun Folge 8, die sich einer bekannten Salonnière widmet: Henriette Herz. Die Historikerin Franziska Huberty aus dem Museum Burg Posterstein stellt die geistreiche Dame wie gewohnt zunächst vor und lässt sie im Anschluss in eigenen Worten sprechen. Henriette Herz und die Herzogin Anna Dorothea von Kurland lernten sich über ihren gemeinsamen Bekannten Leopold Friedrich Günther von Goeckingk kennen. Nach einigem Zögern wurde Henriette Herz Englischlehrerin der jüngsten Tochter der Herzogin von Kurland und somit ein Teil des Berliner Salons der Herzogin. Einen Einblick in diesen gab es übrigens bereits in Folge 7 und Folge 5.
Den Titel der Folge spricht diesmal Gunter Auer – vielen Dank! Wie immer können Sie diese Folge als Blogpost lesen oder als Podcast anhören:
Nach unserer letzten weihnachtlichen Episode aus der Feder Gustav Partheys (1798–1872) bleiben wir auch in dieser Folge im winterlichen Berlin der 1810er Jahre und wollen heute eine Frau ins akustische Scheinwerferlicht rücken, die wir schon in der letzten LeseZEIT kurz kennengelernt haben: Die berühmte Schriftstellerin und Salonnière Henriette Herz (1764–1847).
Henriette Herz – Begründerin des ersten Berliner Salons
Henriette Herz gilt als Begründerin des ersten Berliner Salons und als Pionierin bei der Etablierung der Salons in Berlin und in ganz Deutschland. Unter ihrem Dach versammelte sie Berühmtheiten wie den Bildhauer Gottfried Schadow (1764–1850), Wilhelm (1767–1835) und Alexander von Humboldt (1769-1859), Friedrich Schleiermacher (1768–1834), August Wilhelm (1767–1845) und Friedrich Schlegel (1772–1829), Rahel Varnhagen von Ense (1771–1833), Friedrich Gentz (1764–1832), Jean Paul (1763–1825) oder David Friedländer (1750–1834). Doch wie immer von vorn!
Henriette Julie Herz wurde 1764 als älteste Tochter des jüdischen Arztes und Leiters des jüdischen Krankenhauses in Berlin, Benjamin de Lemos (1711–1789), und seiner zweiten Ehefrau Esther (1742–1817), einer geborenen Charleville, in Berlin geboren. Ihre Eltern ließen ihr eine umfangreiche, private Ausbildung zukommen. So wurde die junge Henriette zuerst bei Freunden der Familie unterrichtet, wo sie auch Klavierstunden erhielt. Später kam ein Privatlehrer ins Elternhaus. Dabei zeigte sie eine besondere Begabung für Sprachen und so erhielt sie zuerst Unterricht in Französisch, Englisch, Latein und Hebräisch. Später fügte Henriette Herz ihren zahlreichen Sprachkenntnissen noch Italienisch, Portugiesisch, Dänisch, Türkisch, Malaiisch und Sanskrit hinzu.
1777, mit zwölf Jahren, wurde Henriette mit den jüdischen Arzt Marcus Herz (1747–1803) verlobt. Zwei Jahre später folgte die Hochzeit. Der Drang nach Wissen verband das Paar. In ihren Häusern in der Spandauer Straße und ab 1795 in der Neuen Friedrichstraße 22 etablierten sie einen Doppelsalon, der sowohl den wissenschaftlich-philosophischen Kreis um Marcus Herz, als auch den literarischen-künstlerischen Zirkel um Henriette Herz umfasste. Dort trafen Juden und Nichtjuden, Adlige und Bürger, Männer und Frauen, Dichter, Politiker, Beamte und Geschäftsleute zum freien Gedankenaustausch aufeinander, völlig unabhängig von Rang und Stand, Religion oder Geschlecht.
Nach dem Tod ihres Mannes 1803 und dem damit verbundenen Wegfall der Einnahmen aus dessen Praxis, sah sich Henriette Herz gezwungen, ihre Gesellschaften einzuschränken. Sie zog in ein kleineres Haus in die Markgrafenstraße 59. Auf den Vorschlag des Lyrikers und Finanzrats Leopold Friedrich Günther von Goeckingks (1748–1828) hin wurde sie nach einigem Zögern Englischlehrerin für die jüngste Tochter der Herzogin von Kurland und so ein Teil des Berliner Salons der Herzogin.
1810 reiste sie nach Dresden und erfüllte sich dort einen lang gehegten Traum: Sie lernte Goethe, dessen Werke sie sehr verehrte, persönlich kennen.
1817 starb ihre Mutter. Daraufhin ließ sich Henriette Herz taufen und konvertierte zum Christentum. Ihre späteren Jahre sind von Reisen geprägt, u.a. nach Venedig, Florenz und Rom. 1828 diktierte sie ihrem Freund und dem Herausgeber unserer heutigen LeseZEIT-Lektüre, Julius Fürst (1805–1873), ihre Erinnerungen an ihre Salontätigkeit. Am 22. Oktober 1847 starb Henriette Herz mit 83 Jahren in Berlin.
Für alle Neugierigen unter Ihnen, liebe Zuhörende, empfehle ich als kurze, einführende Lektüre zum Leben der Henriette Herz, deren Biografie auf der Website haskala.net der Universität Potsdam. Dieses Online-Lexikon über die jüdische Aufklärung enthält interessante Beiträge, unter anderem den sehr gut recherchierten Abschnitt über diese einzigartige Salonnière.
Leben und Erinnerungen der Henriette Herz
Nun wollen wir Henriette Herz aber selbst zu Wort kommen lassen! Um dem Hauptforschungsthema des Museums Burg Posterstein die Ehre zu geben, richten wir den Blick auf die Beziehung zwischen Henriette Herz und der Herzogin Anna Dorothea von Kurland, was Sie, liebe Zuhörende, natürlich nur dazu animieren soll, auch den Rest dieses interessanten Buches zu verschlingen.
Göckingk war es, welchem ich die Bekanntschaft der trefflichen Herzogin von Kurland verdankte, die Bekanntschaft mit ihm aber verschaffte mir eine Reise nach Leipzig, auf welcher ich wenige Jahre nach meiner Verheirathung eine unserem Hause befreundete Familie begleitete, – denn mein Mann konnte seiner großen ärztlichen Praxis halber sich nicht wohl von Berlin entfernen – und deren eigentlicher Zweck ein Ausflug war, welchen ich von dort aus auf dessen Wunsch nach Halle machen sollte, damit sein Lehrer und Freund Goldhagen mich kennen lerne. Ich erfüllte diesen Wunsch, und es wurde mir bei dieser Gelegenheit in Halle zugleich die Bekanntschaft zweier vielgenannter, aber sehr verschiedenartiger Menschen, des Romandichters Lafontaine, damals noch ein sehr junger Mann, und des mehr berüchtigten als berühmten Theologen Bahrdt. […]
Die befreundete Familie aber, mit welcher ich nach Leipzig gereist war, bestand aus dem Juwelenhändler Levin, seiner Frau, und ihrer Tochter Rahel, später Frau von Varnhagen. Der Vater war der geistreichste und witzigste Despot den man denken kann, und eben deshalb der verletzendste. Aber darum kümmerte er sich wenig, denn in der That war seine größte Lust die an der Unlust. Sein Wille war sein höchstes Gesetz, und unter diesem eisernen Willen litt seine ganze Familie; doppelt aber Rahel, welche auch das Leid mitlitt, welches ihre gute, sanfte, doch etwas geistesbeschränkte Mutter traf. Das etwa fünfzehnjährige Mädchen war in Folge dieser Verhältnisse wirklich sehr unglücklich. Denn neben dem Geiste und der Freiheitsliebe, welche sie schon damals vor allen Mädchen ihres Alters auszeichneten, war sie auch durch ein fühlendes Herz hervorragend, wie sie mir denn überhaupt immer als die schlagendste Widerlegung der Behauptung erschienen ist, daß Herzensgüte nicht neben einem scharfen und kritischen Verstande bestehen könne. Sie war von der regsten Theilnahme für die Ihrigen und für ihre Freunde, und diese Theilnahme war um so wohlthuender und wirksamer, als Rahel tief in die Geschichte der Herzen eindrang. Hülfreich war sie bis zur größten Selbstaufopferung, und dies von jenen frühen Jahren an bis zu ihrem Lebensende.
Der Vater war reich. Er machte in Berlin auf gewisse Weise ein Haus, denn er sah viele Leute bei sich, aber es waren größtentheils Schauspieler, ein Umstand, der auf manche Lebensansichten der Kinder nicht ohne Einfluß blieb. Auch hier in Leipzig lebten wir auf anständigstem Fuße. Wir speisten in den ersten Hotels, und öfter auch in Auerbachs Keller, welcher damals ein von der besten Gesellschaft besuchtes Lokal war, ja wo man sich einfinden mußte, weil es zum guten Ton gehört. Ich glaube, daß ich damals in der That schön war. Hatten sich schon in Halle die Studenten haufenweise meinem Fenster gegenüber versammelt, so konnte es mir nicht minder verborgen bleiben, daß ich in Leipzig große Aufmerksamkeit erregte, ja dienstfertige Seelenverderber sagten mir später, man sei des Morgens eigens nach Auerbachs Hof gegangen, um mich zu sehen, weil ich dann gewöhnlich dort zu finden war.
Ich lernte auf diese Weise viele Leute äußerlich kennen, aber es knüpften sich hier auch zwei Freundschaftsverhältnisse an, die mir für das Leben blieben. Das eine mit dem feinen, geistreichen und vielseitigen Schweden Gustav von Brinkmann, einem Altersgenossen von mir, daß andere mit dem viel älteren Göckingk, welches aber schon deshalb ein viel innigeres wurde, weil ich länger mit ihm als mit Jenem an demselben Orte lebte, und wir uns zu Zeiten fast täglich sahen.
Man darf sich das Aufsehen, welches Göckingk in der Zeit vor dem Auftreten der Koryphäen unserer Dichtkunst bei dem gebildeten Publikum erregte, nicht als ein geringes denken. Die gewandte Form und die Tiefe und Zartheit der Empfindung in seinen „Liedern zweier Liebenden“ hatten sie mir nicht weniger als der ganzen Lesewelt jener Zeit werth gemacht, und seine damals berühmten „Episteln“, in welchen Feinheit und Beobachtungsgabe mit Gefühl und Anmuth wetteiferten, mich geradehin entzückt. Ich hatte mir immer seine Bekanntschaft gewünscht, und nun wurde sie mir durch ein zufälliges Zusammentreffen. Und wunderbar! – ich war gewohnt, mir ein Bild von der Persönlichkeit mir interessanter Menschen zu machen, und nie fand ich es der Wirklichkeit entsprechend wenn ich sie später kennen lernte; ihn allein hatte meine Phantasie mir ganz entsprechend gebildet. Deshalb stand er mir auch vom ersten Augenblicke an näher, als es sonst bei neuen Bekannten der Fall ist. […]
Die Herzogin von Kurland hielt sich Anfangs dieses Jahrhunderts im Winter in der Regel in Berlin auf, und im Jahre 1803 machte mir Göckingk den Vorschlag, ihre jüngste Tochter im Englischen zu unterrichten. Meine pekuniäre Lage machte mir zu jener Zeit, wo die Pensionen aus der Wittwenkasse noch pünktlich gezahlt wurden, diesen Schritt nicht zu einer Nothwendigkeit, und ich war daher wenig geneigt ihn zu thun. Aber Göckingk hatte sehr richtig bemerkt, daß meine geselligen Verhältnisse, welche zu Lebzeiten meines Mannes eine seltene Ausdehnung hatten, nach dessen Tode beschränkter geworden waren, weil sowohl Schicklichkeit als das Versiegen der reichen Einnahmen, welche Dieser aus seiner ärztlichen Praxis gezogen hatte, mir nicht mehr erlaubten, wie bis dahin, selbst ein bedeutendes Haus zu machen, während doch, wie ich nicht läugnen will, und bei der Art der Gesellschaft in welcher ich mich stets bewegte zu läugnen nicht Ursache habe, das Leben in der Gesellschaft mir ein Bedürfnis geworden war. Er legte daher einen besonderen Accent auf die schönen geselligen Verhältnisse, in welche ich durch meine Einführung in das Haus der Herzogin treten würde, und besiegte so sehr bald meinen Widerstand.
In der That kann man sich die Annehmlichkeiten, welche das Haus der Herzogin in dieser Hinsicht bot, nicht groß genug denken. Schon die liebenswürdige, geistvolle Dame des Hauses hätte es zu einem anziehenden machen müssen. Aber die Herzogin war die erste Frau so hohen Standes, und ist vielleicht die einzige in Berlin geblieben, welche die Ansicht, daß in der Gesellschaft der Geringste dem Stande nach dem Höchsten gleichzusetzen sei wenn er den Erfordernissen einer höheren Geselligkeit entspreche, praktisch durchführte, und überhaupt so durchzuführen im Stande war. Denn es war hierzu erforderlich, daß das Haus von Jemandem gemacht wurde, welcher die höchsten Personen zu sich einzuladen berechtigt war. Und dennoch gehörte die Unabhängigkeit, die Energie, der Geist und die taktvolle Humanität der Herzogin dazu, um nicht an dem Unternehmen zu scheitern, und läugnen läßt es sich bei alledem nicht, daß es ihr von manchem eifrigen Kämpfen für das Althergebrachte Anfechtungen und Verkennung genug zugezogen hat. Aber sie hat sich durch dessen Durchführung nicht bloß um die geselligen Verhältnisse Berlins, sondern weit über diese hinaus um die Förderung der Achtung wahren Menschenwerthes Seitens der äußerlich Höhergestellten ein großes Verdienst erworben. Diese Letzteren, und namentlich der weibliche Theil derselben, welche bis dahin selten Personen, welche außerhalb der Hoffähigkeit standen, in engeren Kreisen gesehen hatte, lernten nun auch diese, befreit vom Zwange einer geistbeengenden Etikette kennen, ja sie, die sich bis dahin im außschließlichen Besitze seiner geselligen Formen geglaubt hatten, mußten sich gestehen, daß Geist und Urbanität im Verein sich auch hier zugleich natürlichere, wohlthuendere, mannigfaltigere und bedeutungsvollere zu schaffen wissen. Einladungen an Personen der höchsten Stände waren der Herzogin nie ein Grund, Niederergestellte, welche zu ihrem geselligen Kreis gehörten, uneingeladen zu lassen. Man speiste Abends stets an verschiedenen Tischen, und es herrschte völlige Zwanglosigkeit hinsichts der Plätze welche die Gäste einnehmen wollten, aber mit großer Feinheit wußte die edle Wirthin doch auch hier eine ihr erwünschte Mischung der Stände zu bewirken. So erinnere ich mich öfter meinen Platz am Tische neben der liebenswürdigen Prinzessin Louise von Preußen, Gemahlin des Fürsten Radzivil, gehabt zu haben. – Daß man in diesem Hause zugleich die höchsten geistigen Notabilitäten fand, darf ich wohl kaum versichern.
Der Frau von Staël verhalf ihre Einführung bei der Herzogin zur schnellen Bildung eines geselligen Kreises für ihr Haus. Sie wählte eben die Personen dazu, welche sie im kurländischen Palaste kennen gelernt hatte. […]
Die Herzogin von Kurland hätte bei aller hohen Weiblichkeit Energie genug gehabt, um ein großes Reich zu beherrschen, und ihr politischer Blick machte zuweilen den Gedanken rege, daß eine solche Bestimmung eine ihr angemessene gewesen wäre. Schon als sie eine Frau in den Zwanzigern war, hatten die Stände Kurlands gewünscht, daß sie die Regentschaft übernehme, und an ihr lag es nicht wenn der Herzog, ihr Gemahl, nicht in besserem Einvernehmen mit diesen Ständen war, denn trat ein Solches vorübergehend ein, so hatte eben sie es durch oft schwierige Unterhandlungen vermittelt. Um so höher hatte man die Anspruchslosigkeit der hochbegaben Frau zu schätzen, welche in ihrem Hause nur bestrebt schien, die freundliche Förderin einer schönen Geselligkeit zu sein.
Von ihren Töchtern, alle vier anmuthig und geistreich, mochte vielleicht die Prinzessin Dorothea, später Herzogin von Dino, die hervorragendste gewesen sein. Auch sie war, gleich ihren Schwestern, hübsch, und man hätte an ihrem Gesichte höchstens aussetzen können, daß ihre oberen Zähne etwas hervorstanden. Dieser reichbegabten Prinzessin wurde nun das Loos, einem wenig bedeutenden Manne vermählt zu werden. Denn dafür galt Graf Edmund Talleyrand schon als zuerst von ihrer Verbindung mit ihm die Rede war, und es fehlte daher schon damals nicht an Einwendungen gegen die Partie. Es war deshalb auch nicht zu verwundern, daß die junge Frau sich bald dem geistvollen Oheim ihres Gatten zuwendete, der sie verstand, wie anderseits ihre Anmuth und ihr Frohsinn geeignet waren, dem mehr witzigen als heitern Staatsmanne das Leben zu verschönen.“
Bis 1806 verkehrte Henriette Herz nach ihren eigenen Schilderungen oft im Kurländischen Palais in Berlin. Kontakte unterhielt sie u.a. auch zu Elisa von der Recke (1754–1833), der Schwester Dorothea von Kurlands, und zur Familie Körner, deren berühmter Sohn Theodor (1791–1813) der Patensohn der Herzogin von Kurland war.
Henriette Herz: Bis heute unvergessen
Noch heute wird das Andenken an Henriette Herz und ihre Pionierarbeit für die Salonkultur in Deutschland hoch geschätzt. Ihre letzte Ruhestätte auf dem Friedhof II der Jerusalems- und Neuen Kirche vor dem Halleschen Tor in Berlin ist ein Ehrengrab der Stadt Berlin. Und am 7. April 2000 erhielt ein Platz nahe des Hackeschen Markts in Berlin den Namen Henriette-Herz-Platz.
Und damit soll unsere erste LeseZEIT-Folge im Jahr 2023 enden. In unserer nächsten LeseZEIT-Folge mit Geschichte und Geschichten aus dem Museum Burg Posterstein bleiben wir der Zeit um 1800 aber treu und begeben uns akustisch auf Reisen durch Deutschland, Österreich und Italien. Bleiben Sie also gespannt!
Informationen zu unseren Ausstellungen erhalten Sie wie gewohnt auf unserer Website www.burg-posterstein.de und natürlich wie immer auch im Blog. Bis zum nächsten Wiederhören!
Von Franziska Huberty (Text und Sprecherin) und Marlene Hofmann (Schnitt)
Der Maler Ernst Welker erhielt schon während seines Studiums an der Wiener Akademie der Bildenden Künste Auszeichnungen für seine Landschaftsmalereien. Bis ins hohe Alter lebte er von seiner Kunst, stellte aus und verkaufte seine Werke zu beachtlichen Preisen. Mit befreundeten Malern wie Johann Christoph Erhard, Johann Adam Klein und den Brüdern Friedrich Philipp Reinhold und Heinrich Reinhold aus Gera begab er sich auf künstlerische Expeditionen nach Salzburg und Berchtesgaden oder in die nähere Umgebung Wiens. Ernst Welker war Lützower Jäger an der Seite Theodor Körners und zeichnete dessen Grab. Mehrere Jahre beschäftigte ihn die Herzogin Wilhelmine von Sagan als Zeichenlehrer und Gesellschafter für ihre Pflegetöchter – darunter die spätere Schriftstellerin Emilie von Binzer. In Gesellschaft der Herzogin von Sagan hielt er sich auf deren schlesischen Gütern Sagan und Ratiborschitz auf und verbrachte den Sommer auf Schloss Löbichau im Salon der Herzogin von Kurland, der Mutter Wilhelmine von Sagans. In Löbichau porträtierte er die anwesenden Gäste als Fabelwesen, halb Mensch, halb Tier oder Gegenstand – diese Aquarelle befinden sich heute in der Sammlung des Museums Burg Posterstein und sind auch in der Europeana zu sehen. Von 1821 an weilte Ernst Welker mehrere Jahre in Italien. Man kann davon ausgehen, dass er sich im Kreis der deutsch-römischen Künstlerkolonie bewegte und namhafte Künstler seiner Zeit persönlich kannte. Im Gefolge Wilhelmine von Sagans reiste er bis Neapel, wovon seine Aquarelle zeugen.
Und trotz alledem blieb Ernst Welker bisher von der Forschung weitgehend unbeachtet. Bis zum Erscheinen der neuen Publikation „Sehnsuchtsziel Italien – Der Maler Ernst Welker auf Reisen und im Salon der Herzogin von Kurland“ des Museums Burg Posterstein stand Ernst Welker noch nie im Mittelpunkt eines Buchs. Viele Kunstkataloge erwähnen ihn lediglich nebenbei. Dabei sind bereits zeitgenössischen Publikationen Fehler unterlaufen – beispielsweise hinsichtlich des korrekten Geburtsortes (Gotha), dem genauen Geburtsjahr (1784), der familiären Herkunft (Sohn des Sachsen-Gotha-Altenburgischen Archivars Philipp Friedrich Welker) und den genauen Reisezielen Welkers (er war vermutlich nie im Nahen Osten). Seinen Lebensweg nachzuvollziehen, glich einer detektivischen Arbeit, die mit dem 2022 erschienenen Buch erst begonnen hat – und lange noch nicht abgeschlossen ist.
Welker porträtierte seine Arbeitgeberin als stolzes Ross
2014 gelang es dem Museum Burg Posterstein mit Unterstützung der Bürgerstiftung Altenburger Land sowie des Freistaats Thüringen, ein außergewöhnliches Konvolut an Zeichnungen anzukaufen. Die Rede ist von den Löbichauer Salongästen als Fabelwesen, die sich lange Zeit im Besitz von Emilie von Binzer befunden haben. Der Salon der Herzogin von Kurland in Löbichau, das nur wenige Kilometer von Posterstein entfernt liegt, ist eines der wichtigsten Forschungsthemen des regionalgeschichtlichen Museums Burg Posterstein. Der Sammlungsteil Salongäste als Fabelwesen besteht aus 47 Aquarellen mit namhaften Löbichauer Gästen und zwei Skizzen, die alle in einer grünen Halblederkassette aufbewahrt wurden. Sie sind bereits digitalisiert und in der Europeana und auf Wikimedia Commons frei zugänglich und nutzbar. (Weitere Infos zur Sammlung Welker)
Die Salongäste der Herzogin von Kurland stellte Ernst Welker als humorvolle Fabelwesen dar. Unter den so Porträtierten befinden sich nicht nur die Herzogin Anna Dorothea von Kurland selbst (dargestellt als treuer Pudel) sowie Welkers Arbeitsgeberin Wilhelmine von Sagan (als stolzes Ross), sondern auch der Sachsen-Gotha-Altenburgische Herzog August (als eitler Pfau – dieses Bild ist derzeit nicht in Posterstein, sondern in der Ausstellung „Luxus, Kunst und Phantasie – Herzog August von Sachsen-Gotha-Altenburg als Sammler“ im Herzoglichen Museum Gotha zu sehen), die Schriftstellerin Elisa von der Recke (als Tintenfass), der Dichter Christoph August Tiedge (als Lehnstuhl), der Archäologe Carl August Böttiger (als Statue) und der Jurist Paul Johann Anselm von Feuerbach (als Nagel). Jedes Aquarell ist mit einem Reim versehen. Emilie von Binzer bezeichnete diese Sprüche unter den Porträts als „Fibelverse“. Schon im 18. Jahrhundert verstand man unter einer Fibel ein bebildertes, mit einzelnen, zum jeweiligen Buchstaben passenden Bildmotiven versehenes Leselernbuch. Eine solche Fibel könnte die Vorlage für Welkers Porträts gebildet haben, denn auch hier gibt es in der oberen linken Bildecke jeweils einen Buchstaben in Groß- und Kleinschreibung – z.B. das „A, a“ des possierlichen Affen Graf Peter von Medem und das „Z, z“ des bunt gefleckten Zebras Gräfin Jeannette Bressler. Tatsächlich kommen alle 26 Buchstaben vor, einige sogar mehrfach. Das Bestreben, das gesamte Alphabet abzudecken, erklärt dann auch eher gewollt klingende Verse wie: „Schwer zu finden ist ein X, / Es fehlt nicht viel, so fanden wir nix.“, der zum Porträt des Staatsrats Christian Gottfried Körner als Scherenstuhl gehört.
Dass sich ein Zeichenlehrer solche Bilder erlauben durfte, die sehr wahrscheinlich in Löbichau gezeigt wurden, unterstreicht die Freiheit und Offenheit, die im Salon der Herzogin von Kurland herrschte. Auch der Dichter Jean Paul rühmte deren Salon in Löbichau für genau diese Redefreiheit und Offenheit. Sich selbst zeichnete Ernst Welker übrigens als Auster, versehen mit dem Spruch: „Die Auster ist von guter Art, das größte an ihr ist der Bart“.
Der zweite Teil der Postersteiner Sammlung Welker umfasst 13 Landschaftsbilder des Malers, die das Museum besitzt bzw. die über Dauerleihgaben an das Haus gebunden sind. Acht Aquarelle und ein Ölgemälde zeigen Landschaften. Bis auf ein Blatt sind alle Werke mit Welker; E. Welker; E.W.; Welker fec.; E. Welker fec.; und Ernst Welker fec. signiert.
Ergänzt wird der kleine Bestand durch Arbeiten von Johann Christoph Erhard, Johann Adam Klein, Johann Christian Reinhart und Carl Trost.
Zu verdanken ist die Kollektion zum Großteil dem Sammler Uwe Buchheim. Er fühlt sich dem Museum Burg Posterstein seit Jahren verbunden und ist Mitglied im Förderverein. Ihn beeindrucken die Forschungen und Ausstellungen zum Salon der Herzogin von Kurland, durch die er begann, sich mit dem Maler Ernst Welker zu beschäftigen. Er setzte sich nicht nur dafür ein, dass die Porträtsammlung Salongäste 2014 vom Museum erworben werden konnte, sondern sammelt seither selbst und stellt die erworbenen Werke dem Museum zur Verfügung. Dafür sind wir sehr dankbar.
Ausstellung und Buch „Sehnsuchtsziel Italien“
Die Sonderschau und das gleichnamige Buch „Sehnsuchtsziel Italien – Der Maler Ernst Welker auf Reisen und im Salon der Herzogin von Kurland“ zeigen nun erstmals alle diese Welker-Arbeiten. Auf 156 Seiten zeichnet das Buch das Leben des Malers anhand der Sammlungen und Forschungen des Museums nach.
Im Lauf der Arbeit daran stießen wir auf neue Informationen und weitere Werke Welkers in verschiedenen internationalen Sammlungen. Besonders freut uns, dass wir erstmals einen bisher noch nicht erschlossenen Teil der Sammlung Biron der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena aufarbeiten konnten. Es handelt sich unter anderem um Salonszenen, Porträts und Skizzen für die Postersteiner Sammlung von Porträts der Salongäste.
Welkers Arbeiten stellen wir im Buch Abbildungen von Werken seiner Malerkollegen gegenüber. Da Welker – außer seinen Zeichnungen – selbst kaum schriftliche Quellen hinterlassen hat, bleiben durchaus Lücken in der Biografie bestehen.
Welker wanted!
Wir möchten deshalb dazu aufrufen, Forschungsdaten zum Maler Ernst Welker zu sammeln und auszutauschen. Über Hinweise sind wir sehr dankbar. Einen Überblick über verschiedene Stationen in Welkers Leben und über Sammlungsbestände weltweit möchten wir auf unserer Website salon-europa.eu bündeln und langfristig pflegen. Über Ergänzungen freuen wir uns sehr.
Im Anschluss an die Ausstellung planen wir, die Wikipedia-Seite zu Ernst Welker durch die neuen Informationen zu ergänzen.
Von Marlene Hofmann
Zum Weiterlesen
Infos zur Ausstellung:
Sehnsuchtsziel Italien – Der Maler Ernst Welker auf Reisen und im Salon der Herzogin von Kurland, 17. Juli bis 13. November 2022, Museum Burg Posterstein
Infos zum Buch:
Sehnsuchtsziel Italien – Der Maler Ernst Welker auf Reisen und im Salon der Herzogin von Kurland Museum Burg Posterstein, 2022 156 Seiten, farbig Preis: 25,00 Euro
Eine neue, umfangreiche Würdigung der Herzogin Anna Dorothea von Kurland ist 2018 auf Lettisch und 2021 auf Französisch erschienen. Monika Diedrich aus Ponitz, ausgebildete Französischlehrerin und Mitglied des Museumsvereins Burg Posterstein, hat das 400 Seiten starke Werk ehrenamtlich ins Deutsche übersetzt.
Im Jahr 2018 hatte das Schlossmuseum Rundāle das Buch „Dievinātā Doroteja“ als späte Widmung zum 250. Geburtstag der Herzogin Dorothea von Kurland (1761-1821) auf Lettisch veröffentlicht. Im September 2021 erschien im französischen Verlag Lacurne anlässlich ihres 200sten Todestages nun eine französische Fassung dieser ausführlichen Würdigung der letzten Herzogin von Kurland. Verfasser ist der langjährige Direktor des Schlossmuseums Rundāle in Lettland, Dr. Imants Lancmanis. Die französische Ausgabe wurde um neue Fakten und Bilder erweitert. Die Übersetzung des Textes aus dem Lettischen ins Französische stammt von Dita Podskočija.
Monika Diedrich aus Ponitz, ausgebildete Französischlehrerin und Mitglied des Fördervereins Museum Burg Posterstein e.V., hat das opulente, über 400 Seiten umfassende Werk nun ehrenamtlich ins Deutsche übersetzt.
Lancmanis, einer der bedeutendsten lettischen Wissenschaftler und verdienter Kulturmanager, ist es gelungen, zahlreiche, bislang unveröffentlichte Abbildungen aus Museen und Privatsammlungen der ganzen Welt zusammenzutragen. Er benutzt Forschungsergebnisse aus Frankreich, Lettland, Tschechien und Deutschland.
Der Weg der letzten Herzogin von Kurland führte von Kurland nach Rom, Berlin, Paris und Wien. Und natürlich geht der Autor in seiner Biografie nicht nur darauf oder auf den gesellschaftlichen und politischen Einfluss der schönen, charmanten und reichen Herzogin ein, sondern er beschreibt auch ausführlich ihren Salon in Löbichau. Dabei würdigt Lancmanis ausdrücklich die Forschungen und Ausstellungen des Museums Burg Posterstein, die nach seiner Meinung wesentlich zum internationalen Verständnis und zur Kenntnis über die Herzogin beigetragen haben.
Vorerst kann man das schöne neue Buch und seine Übersetzung nur in der Museumsbibliothek in Posterstein benutzen. Wir möchten uns jedoch dafür einsetzen, dass das Werk auch auf Deutsch erscheinen kann. Das Gespräch darüber mit Imants Lancmanis und dem Schlossmuseum Rundāle dürfte leicht zustande kommen, denn der Museumsverein Burg Posterstein arbeitet schon seit den frühen 1990er Jahren mit dem lettischen Museum zusammen. Schon mehrmals fanden gegenseitige Austausche und Besuche statt. 2011 erschien die umfangreiche Postersteiner Biografie „Die Herzogin von Kurland im Spiegel ihrer Zeitgenossen“, zu der Imants Lancmanis neben weiteren, internationalen Autoren, zwei Kapitel beisteuerte. Das Buch ist im Museumsladen der Burg Posterstein erhältlich.
In der Weihnachtszeit möchten wir Sie in Folge 7 unseres Podcasts LeseZEIT mitnehmen in den Berliner Salon der Herzogin von Kurland. Anhand von Gustav Partheys Jugenderinnerungen reisen wir ins Jahr 1806 in die stimmungsvollen Räume des kurländischen Palais Unter den Linden.
Wie immer können Sie diese Folge als Blogpost lesen oder als Podcast anhören:
„Markt und Straßen stehn verlassen, Still erleuchtet jedes Haus, Sinnend geh ich durch die Gassen, Alles sieht so festlich aus.“
aus: „Weihnachten“ von Joseph von Eichendorff (1788–1857)
Und mit diesen berühmten Worten aus der ersten Strophe des Gedichtes „Weihnachten“ des Lyrikers Joseph von Eichendorff (1788–1857) beginnt unsere weihnachtlich-winterlichen siebten Folge der LeseZEIT mit Geschichte und Geschichten aus dem Museum Burg Posterstein.
Passend zur Jahreszeit tauchen wir heute gemeinsam in eine winterliche Geschichte ein, die uns Gustav Parthey (1798–1872) in seinen Jugenderinnerungen beschreibt. Vielleicht erinnern Sie sich an unsere dritte LeseZEIT-Folge, in der wir schon einmal mit dem Altertumsforscher und Buchhändler Gustav Parthey (1798–1872) im Jahr 1812 von Berlin zur Herzogin von Kurland nach Löbichau reisten?
Heute wollen wir mit dem jungen Parthey einen Winter in Berlin verbringen und besuchen dabei auch die Herzogin Anna Dorothea von Kurland in ihrem Salon, den Sie seit 1805 im „kurländischen Haus“ führte. Dort, im Palais Unter den Linden Nummer 7, verbrachte Sie oft die Wintermonate. Das Haus wurde um 1734 erbaut und diente im 18. Jahrhundert u.a. Prinzessin Amalie, der Schwester Friedrichs II., als Wohnstätte. 1805 ging es in den Besitz der Herzogin Anna Dorothea von Kurland über. Während der französischen Besatzung Berlins unter Napoleon I. bewohnte der französische Stadtkommandant das Palais. 1837 verkaufte die jüngste Tochter der Herzogin von Kurland, Dorothée, das Haus an Zar Nikolaus I., der dort die Russische Botschaft zu Berlin einrichtete. Nach nationalsozialistischer Nutzung seit 1942 wurde das Kurländische Palais im Februar 1944 bei den alliierten Luftangriffen auf Berlin zerstört. An seiner Stelle befindet sich aber noch heute die Botschaft der Russischen Föderation in Berlin.
Da wir in der dritten Folge der Lesezeit unseren heutigen Autor Gustav Friedrich Konstantin Parthey bereits vorgestellt haben, möchte ich Ihnen an seiner statt, kurz die Protagonisten unserer heutigen Episode nennen. Zu einigen der Personen liefert Parthey selbst eine Erläuterung. Zu anderen möchte ich gern noch ein paar Worte verlieren.
Neben dem Erzähler Gustav, um dessen Erinnerungen aus Jugendzeiten es schließlich geht, treten dessen Eltern – Hofrat Friedrich Parthey (1745–1822), einstiger Gesellschafter der Herzogin von Kurland, und seine Frau Charlotte Wilhelmine (1767–1803), älteste Tochter des Buchhändlers Friedrich Nicolai, auf. Zudem wird Gustav fast immer von seiner Schwester Lili Parthey und seinem Pflegebruder Fritz begleitet.
Fritz von Piattoli (1800–1849) war der uneheliche Sohn Johannas, der dritten Tochter Dorothea von Kurlands. Sein Vater war der Musikdirektor Arnoldi aus Sagan. Im Alter von zehn Jahren wurde er von der Baronesse Julie Vietinghoff, einer Hofdame und Begleiterin der Herzogin von Kurland, adoptiert. Seit 1808 wurde Fritz schließlich als Pflegekind in die Familie Parthey aufgenommen und lebte bis 1818 in deren Haus.
Auf Seiten der Kurländer finden neben der Herzogin Dorothea selbst, auch ihre Töchter Wilhelmine, Pauline, Johanna – hier Jeanette genannt – und Dorothée – im Laufe der Geschichte gern als „Prinzeßchen“ bezeichnet – Erwähnung. Besonderes Augenmerk sollte hier auf Prinz Konstantin, den Sohn Paulines geworfen werden. Konstantin oder besser vollständig: Friedrich Wilhelm Konstantin Hermann Thassilo von Hohenzollern-Hechingen (1801–1869), war das einzige Kind des Fürsten Friedrich von Hohenzollern-Hechingen (1776–1838) aus dessen Ehe mit Prinzessin Pauline Biron von Kurland (1782–1845), der zweiten Tochter Dorotheas. Der Bericht Partheys bezieht sich auf die Jahre nach 1806. Noch in der Obhut der Mutter, müssen wir uns den Erbprinzen des Hauses Hohenzollern-Hechingen also im zarten Alter von sechs oder sieben Jahren vorstellen.
Zum krönenden Schluss soll noch Madam Herz hervorgehoben werden. Bei dieser Dame handelt es sich um keine Geringere als Henriette Julie Herz (1764–1847), die einen der bekanntesten jüdischen Salons in Berlin führte. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Arzt Marcus Herz (1747–1803), etablierte Henriette Herz einen Doppelsalon in ihrem Hause, der sowohl den wissenschaftlichen Kreis um ihren Mann, als auch ihren eigenen literarischen Zirkel umfasste. Nach dem Tod ihres Mannes musste Henriette Herz ihre Gesellschaften einschränken und schloss sich u.a. dem Kreis um Rahel Varnhagen an. Auf den Vorschlag des Lyrikers und Finanzrats Leopold Friedrich Günther von Goeckingks (1748–1828) wurde sie nach einigem Zögern Englischlehrerin für die jüngste Tochter der Herzogin von Kurland und so ebenfalls Teil der Gesellschaft Dorotheas in Berlin.
Nun aber genug der Vorrede! Kommen wir zum eigentlichen Höhepunkt: Ein Winterbericht mit weihnachtlichen Episoden aus der Feder Gustav Partheys.
„Einen grellen Gegensatz zu den dunkeln einförmigen Winterabenden beim Grosvater Nicolai bildeten die glänzenden Gesellschaften bei der Herzogin von Kurland, wohin mein Vater uns nur in sehr seltnen Fällen mitnahm, weil er den richtigen Grundsatz hatte, daß für einfache, bürgerlich erzogene Kinder eine solche fürstliche Pracht nichts tauge.
Die Herzogin hatte sich nach dem Tode des Herzogs in Deutschland niedergelassen; sie lebte den Winter in Berlin, den Sommer auf ihrem Landgute Löbichau bei Altenburg. Ihr Mann, der letzte Herzog von Kurland, hatte sich entschlossen, da sein einziger Sohn gestorben war, sein Herzogthum i. J. 1795 an Rußland zu verkaufen. Der Preis war auf eine Million Dukaten festgesetzt worden, allein nach dem Tode des Herzogs (i. J. 1800) gerieten die russischen Abzahlungen allmälig in’s Stocken; alle Reclamationen waren umsonst; im Wege des Prozesses blieb gar nichts zu erwarten, und so erhielten denn die Erben, wie ich dies später aus dem Munde der Herzogin selbst erfuhr, statt eines Dukaten nicht mehr als 17 Silbergroschen.
Schon früher hatte der Herzog in Deutschland große Güterankäufe gemacht; in Schlesien erwarb er das Herzogthum Sagan, in Böhmen die Herrschaft Nachod, in Sachsen das Landgut Löbichau. In Berlin besaß die Herzogin ein schönes Haus unter den Linden No. 7, das in meiner Jugend allein mit dem Namen des kurländischen Hauses bezeichnet wurde. Sie richtete sich darin auf das geschmackvollste ein, und versammelte einen Kreis von allen Berliner Notabilitäten um sich.
Von den vier Töchtern der Herzogin erhielt die älteste, Wilhelmine, das Herzogthum Sagan; sie war zuerst an den französischen Prinzen Rohan, dann an den russischen Fürsten Trubetzkoi verheirathet. Die zweite Tochter Pauline heirathete den regierenden Fürsten von Hohenzollern-Hechingen, die dritte, Jeanette, den neapolitanischen Fürsten Acerenza-Pignatelli. Die vierte Tochter Dorothea lebte bei ihrer Mutter; sie war im Jahre 1806, als wir Kinder anfingen in das herzogliche Haus zu kommen, 13 Jahre alt und von wunderbarer Schönheit. […]
Wir Kinder verkehrten bei der Herzogin meist in einem Zimmer neben dem Salon. Eines Abends belustigte uns Fritz durch die Nachahmung der verschiedensten Thierstimmen, worin er eine große Virtuosität besaß. Er krähte wie ein Hahn, bellte wie ein Hund und miaute wie eine Katze. Dies alles wußte er anfangs so geschickt zu mäßigen, daß er hoffen konnte, im Salon nicht gehört zu werden; allein beim Blöken des Kalbes vergaß er sich so sehr, daß der unharmonische Ton weithin durch die Zimmer schallte. Ganz entrüstet und mit gerunzelter Stirn eilte mein Vater herein; er wurde aber bald durch Prinzeßchens [Dorothée] Schmeichelworte begütigt.
Eines Abends fanden wir bei Prinzeßchen eine nicht mehr ganz junge Frau von hoher Gestalt und von wahrhaft wunderbarer Schönheit. Wir erfuhren, es sei eine arme Jüdin, Madam Herz, von der die Prinzessin englischen Unterricht erhielt. Nie werde ich den Glanz dieser Erscheinung vergessen. Wenn die Prinzessin eine ideale jugendliche Figur, eine Hebe oder Venus darstellte, so konnte man Madam Herz einer Juno oder Proserpina vergleichen. […]
Eines Winters erhielt die Herzogin den Besuch ihrer zweiten Tochter, der Fürstin von Hohenzollern-Hechingen mit den Erbprinzen Konstantin, der ungefähr in meinem Alter war (geb. 1801, ⴕ 1869). Anfangs hatte ich einen großen Respekt vor ihm, und wagte bei meiner angebornen Zurückhaltung kaum, ihn anzureden. Als ich sah, daß er ein Mensch sei, wie alle andern, so faßte ich bald mehr Muth, und wir spielten sehr vergnügt zusammen. Weil aber allen Knaben die Kampflust angeboren ist, und sie ihre Kräfte gegen einander versuchen wollen, so kam es auch zwischen uns sehr bald zum Balgen und Ringen, das ich in der Schule zwar weniger als andre, aber doch geübt hatte. Dabei galt es nun als höchst unwürdig, gegen alles Kriegs- und Völkerrecht verstoßend, einander in den Haaren zu raufen. Ich setzte dies als stillschweigende Bedingung bei meinem fürstlichen Gegner voraus; da er indessen, als ich einmal im Vortheil war, mir in die Haare fuhr, so that ich dasselbe mit solcher Vehemenz, daß er in ein fürchterliches Geschrei ausbrach. Der ganze Salon eilte herbei, die Fürstin von Hohenzollern fand ihren Thronerben in Thränen, ich stand, einen Flausch seiner blonden Haare haltend, sehr verlegen daneben, und erwartete ein schreckliches Strafgericht. Aber o Wunder! nachdem ich die Sache wahrheitsgetreu erzählt, und der Prinz nicht läugnen konnte, daß er mir zuerst in die Haare gefahren sei, so ward ich von seiner Mutter mit Liebkosungen überhäuft, dafür, daß ich ihrem ungezogenen Sohn gezeigt, wie er sich nicht alles gegen andre erlauben dürfe. „Siehst du wohl, Konstantin“, so schloß sie ihren Sermon an den zerzausten Erbprinzen, „wer ausgiebt, der muß einnehmen!“
In diesem Winter schickte der galante Kaiser Alexander von Rusland der Herzogin zwei gewaltig große Spiegel aus einem Stücke mit prachtvollen goldnen Rahmen, vielleicht um sie über die ausbleibenden Geldzahlungen zu trösten. Mein Vater besorgte das Auspacken, und ließ sie vorläufig in einer Entrée des kurländischen Hauses aufstellen. Dies gab dem Prinzen Konstantin und mir die schönste Gelegenheit, uns recht oft und recht lange davor zu bewegen, und in Rüstungen aus Pappe gehüllt, davor zu exerciren. Als aber mein Vater eines Tages bemerkte, daß der Prinz mit seinem blechernen Säbel den kostbaren Platten in eine gefährliche Nähe kam, so fanden wir das nächste Mal das Zimmer verschlossen, und alle Bitten um Einlaß wurden von dem an Gehorsam gewöhnten Haushofmeister abgewiesen.
Zu Ehren des Besuches der Fürstin von Hohenzollern wurde in jenem Winter das Weihnachtsfest im kurländischen Hause mit besonderem Glanze gefeiert; ich erinnere mich sehr wohl, daß nur auf ganz besonderes Bitten der Herzogin mein Vater darin willigte, uns mitzubringen. Es ereignete sich dabei ein Unfall, der mich, wenn ich daran denke, noch immer mit Schrecken erfüllt. In den hellerleuchteten Sälen waren viele Tische mit bunten Weihnachtspyramiden und Geschenken aufgestellt, eine froh bewegte Gesellschaft wogte auf und ab. Die Herzogin Mutter, ja sogar –Großmutter strahlte im Schimmer einer unverwelklichen Schönheit, und konnte in vieler Hinsicht die Vergleichung mit ihrer Tochter wohl aushalten. Nie werde ich die seelengewinnende Freundlichkeit vergessen, mit der sie uns drei, meine Schwester, Fritz und mich zu den für uns bestimmten Tischchen hinführte, die mit allerhand werthvollen Geschenken bedeckt waren. Als Hauptstück stand auf meinem Tische ein kleines zweirädriges Wägelchen, inwendig mit einem Uhrwerk versehn. Wurde dieses aufgezogen, so fuhr der Wagen von selbst in der Stube herum. Diese eigne Bewegung eines unbelebten Körpers hatte für die Kinder etwas wunderbares, beinahe übernatürliches, und wurde von allen Seiten angestaunt. Jeder wollte das Uhrwerk aufziehn, um den Wagen noch einmal laufen zu lassen, und als zuletzt Prinz Konstantin etwas unsanft damit umging, so versagte die Feder und das schöne Spielzeug war verdorben.
Indem wir noch damit beschäftigt waren, gerieth mitten im Saale eine von den großen Weihnachtspyramiden in Brand; die Flamme, von dem leichten Holzwerk genährt, stieg mächtig leuchtend empor, und ein dicker brauner Qualm wälzte sich an der hohen Decke entlang. Das unmittelbare Hereinbrechen der Gefahr in die heiter geordneten und festlich geschmückten Prachtgemächer hatte etwas schauerliches, aber anfangs konnte der Gedanke, daß nicht allein die schönen, so eben erhaltenen Geschenke, sondern auch die Räume selbst vom Untergange bedroht seien, von der kindlichen Seele kaum gefaßt werden. Ich stand, den zerbrochenen Wagen haltend, ruhig neben meinen Aeltern, und betrachtete das überraschende, nie gesehene Schauspiel mit Erstaunen.
Indessen wurde das Uebel, noch ehe die Kunde davon in die andern Säle gelangen konnte, durch rasche Hülfe beseitigt. Der Haushofmeister war gleich mit den Lakaien zur Hand, die durch einige Flaschen Wasser das Feuer dämpften, und sehr bald die schwarz verkohlten, rauchenden Reste der Pyramide aus dem Saale forttrugen. Hatte der herrliche, rasch vorüberrauschende Anblick der auflodernden Flammen uns erfreut, so war die Verwüstung desto widerwärtiger, die durch Nässe und Schmutz auf dem schöngetäfelten Fußboden entstand. So oft nachher bei uns das Weihnachtsfest im frohen Familienkreise gefeiert ward, so verging selten ein Jahr, wo jenes frühen Jugendereignisses nicht gedacht worden wäre, indem wir den Vater oder die Mutter mit sorglicher Stimme sagen hörten: daß nur keine Pyramide in Brand geräth! […]
Von solchen Vorkommnissen erzählte ich ganz unbefangen meinen Freunden und Schulkameraden. Es fiel mir nicht ein, etwas besonderes daraus zu machen, daß unser Weihnachten bei der Herzogin von Kurland gefeiert sei, oder daß ich den Prinzen von Hohenzollern in den Haaren gerauft, aber bald wurde ich zurückhaltender, als ich hörte, daß ein Mitschüler beim Nachhausegehn zu einem andern sagte: der Parthey weiß sich recht viel mit seinen vornehmen Bekanntschaften! und der andre erwiederte: es wird wohl die Hälfte davon erfunden sein! Seitdem hütete ich mich wohl, jemals wieder etwas aus dem herzoglichen Zirkel mitzutheilen.“
Und die Moral von der Geschicht‘: Behalten Sie immer ihre brennenden Kerzen im Auge! Ein Rat, der damals genauso praktisch und aktuell war, wie heute noch. Und was lernen wir noch aus dieser kleinen Episode? – Kinder haben schon vor gut 200 Jahren Unsinn getrieben, waren auch einmal laut und haben nie das „Wesentliche“ an Weihnachten aus dem Blick verloren: Die Geschenke!
Und mit diesen Erkenntnissen möchte ich mich für dieses Jahr von ihnen, liebe Zuhörende, verabschieden. Sollten sie noch nicht gänzlich in Weihnachtsstimmung sein, empfehle ich ihnen einen Blick in unsere Weihnachtskrippenausstellung. In diesem Jahr unternehmen wir mit ihnen eine kleine Weltreise mit Weihnachtskrippen – von Europa nach Amerika, Asien und Afrika, zurück in hiesige Gefilde. Begleitet wird unsere diesjährige Auswahl an Exponaten von persönlichen Geschichten aus heutiger Zeit, aber auch von historischen Berichten. Und natürlich finden sie auch unseren Gustav Parthey dort wieder.
Das gesamte Team des Museums Burg Posterstein wünscht ihnen und ihren Familien eine besinnliche und schöne Weihnachtszeit und einen gesunden Start ins neue Jahr!
In der fünften Folge der LeseZEIT mit Geschichte und Geschichten aus dem Museum Burg Posterstein unternehmen wir einen kleinen Ausflug ins Berlin im Jahr 1807 und erleben eine Geschichte voller Verwechslungen. Einer dieser Irrtümer in dieser Geschichte wird nicht bemerkt! Um was es sich dabei handelt, verraten wir aber erst am Schluss dieser Folge!
Sie können auch diese Folge als Blogpost lesen oder als Podcast anhören:
Bereits in Folge 4 unserer LeseZEIT haben wir Hans Wilhelm von Thümmel (1744-1824), Minister des Herzogs von Sachsen-Gotha und Altenburg, kennengelernt. Dieses Mal wollen wir ihm in die heutige Bundeshauptstadt folgen. Thümmel war zu diesem Zeitpunkt 63 Jahre alt und Gesandter seines Herzogs.
Das Jahr 1807 war ein sehr bewegtes. Der vierte Koalitionskrieg zwischen französischen Truppen und den Truppen der Rheinbundstaaten auf der einen und Preußen und Russland auf der anderen Seite war im vollen Gange. Der Krieg endete – vorläufig – nach der Niederlage der preußisch-russischen Truppen in der Schlacht bei Friedland und dem am 9. Juli geschlossenen Frieden von Tilsit. Dieser brachte große Gebietsverluste für Preußen mit sich und sah unter anderem die Gründung des Herzogtums Warschau vor.
Hans Wilhelm von Thümmel als Gesandter von Herzog August von Sachsen-Gotha und Altenburg
Im Februar 1807 schickte Herzog August von Sachen-Gotha und Altenburg Hans Wilhelm von Thümmel als seinen Gesandten in Napoleons Hauptquartier über Berlin nach Warschau. 1806 war das Herzogtum dem Rheinbund beigetreten und zählte somit zu Frankreichs Verbündeten. Thümmel begab sich im Auftrag des Herzogs von Sachen-Gotha und Altenburg in dieser Zeit oft auf spezielle Missionen, u.a. nach Dänemark, Berlin und Dresden. Aus seiner Zeit in Paris 1807/08 ist das Tagebuch des Ministers erhalten geblieben und bezeugt aus erster Hand die dortigen Geschehnisse. Über Thümmels Gesandtschaft in Dänemark ist nur wenig bekannt, ebenso wie über die in Berlin und anschließend in Dresden.
Thümmel gelangte 1807 ohne Schwierigkeiten nach Berlin und traf dort Anfang April ein. Doch eine Weiterreise wurde ihm, wie allen Gesandten, untersagt. Napoleons Truppen bewegten sich mit solcher Geschwindigkeit, dass das Hauptquartier kaum mehr auszumachen war. Thümmel blieb also keine andere Möglichkeit, als Anträge zu stellen und sich die Zeit in Berlin zu vertreiben. Er traf viele alte Bekannte wieder, konnte ein Schmuckstück aus Napoleons Besitz für seinen Herzog – einen großen Verehrer des französischen Kaisers – ergattern und kam sogar in den Genuss, die Sammlung Alexander von Humboldts anzusehen, der ihm von einem alten Freund vorgestellt wurde und Thümmel zu einer Besichtigung einlud.
Vielleicht wundern Sie sich jetzt: Hieß es nicht gerade, es sei nicht viel von Thümmels Mission in Berlin bekannt? Einen Hinweis haben wir doch entdeckt!
Auszüge aus einem verschollenen Reisetagebuch
Über Thümmels Zeit in Berlin muss es – wie für seine Zeit in Paris – ein Tagebuch des Ministers gegeben haben. Dieses ist aber bis zum jetzigen Zeitpunkt verschollen. Hinweise darauf existieren allerdings in der „Zeitung für die elegante Welt“ aus dem Jahr 1830. Hier wurden Auszüge aus besagtem Tagebuch veröffentlicht. Der Herausgeber gibt an, dass er die Tagebücher vor dem Tod des Ministers 1824 von diesem persönlich zur Einsicht erhalten und nach Beendigung seiner Untersuchung auch wieder an ihn ausgehändigt habe. Das Original dieses Tagesbuches konnte aber nicht ausfindig gemacht werden. Es ist möglich, dass es sich in einem unbekannten Nachlass oder in Privatbesitz befindet. Ein gänzlicher Verlust bzw. eine Vernichtung des Buches kann aber nicht ausgeschlossen werden, besonders in Anbetracht der jähen Enteignung des Thümmelschens Altersruhesitzes Nöbdenitz in Folge der Bodenreform 1945.
Was erhalten blieb, sind die in der „Zeitung für elegante Welt“ veröffentlichten Auszüge. Der Herausgeber dieser Abschnitte betitelt sich selber mit dem Kürzel „-dl-“ und konnte bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht identifiziert werden. Sprachlicher Ausdruck und Ähnlichkeiten im Textaufbau lassen aber darauf schließen, dass es sich um denselben Autor handelt, der auch das Vorwort bzw. den biographischen Teil der 1827 im Verlag J. D. Sauerländer erschienen Aphorismen Thümmels verfasst hat.[1] Auch in diesem Fall nannte sich der Herausgeber selbst nicht namentlich und ist bis zum jetzigen Zeitpunkt unbekannt. Eine weitere Möglichkeit besteht in der Annahme, dass der Redakteur der Zeitung, Karl Ludwig Methusalem Müller (1771-1837), der Verfasser des Beitrages ist. Laut eigener Aussage soll er für sehr viele der abgedruckten Artikel verantwortlich sein.[2] Aber auch das kann hier nicht bestätigt oder widerlegt werden.
Der Herausgeber gibt aber zu erkennen, dass er Hans Wilhelm von Thümmel persönlich gekannt haben muss und zumindest im regelmäßigen Schriftverkehr mit ihm gestanden hat. Am Ende des Beitrages, der sich über vier Ausgaben der Zeitung zieht, schreibt er: „Er [der Verfasser] ehrt in dem verstorbenen edlen Minister von Thümmel seinen Wohlthäter, seinen ermunternden Freund; und das Andenken an diesen ehrwürdigen Greis, dessen Leichnam in dem Schatten einer großen Königseiche schlummert, ist ihm heilig.“ Entsprechend wohlwollend fallen die ausgewählten Auszüge des Herausgebers aus dem Tagebuch aus. Sie geben dem Leser zwar eine kurze Einordnung der Geschehnisse in ihre Zeit, enthalten aber vor allem unterhaltsame Anekdoten über Hans Wilhelm von Thümmels Aufenthalt in Berlin. Von Zeit zu Zeit wechselt der Verfasser die erzählerische Perspektive, gibt scheinbar wortwörtliches aus dem Tagebuch in der „ich“-Form wieder und gibt zuvor oder danach Erklärungen aus seiner Erzählersicht. Aber hören Sie einfach selbst!
Hans Wilhelm von Thümmels Zeit in Berlin
Ich lese aus dem dreißigsten Jahrgang der mit „Königl. Sächs. Allergnädigstem Privilegio“ gedruckten „Zeitung für die Elegante Welt“, aus dem Jahr 1830, herausgegeben von Karl Ludwig Methusalem Müller, verlegt in Leipzig bei Leopold Voß. Der Bericht umfasst in vier Teilen – Anfang, zwei Fortsetzungen und Beschluss – die Ausgaben vom 10., 11., 13. und 14. Dezember 1830.
„Auszüge aus einem Tagebuch des verstorbenen Ministers ? Herrn von Thümmel, herausgegeben von – dl – . (10. Dezember 1830)
In der literarischen Welt ist der ehemalige herz. Gothaisch-altenburgische Minister Herr v. Thümmel durch die Herausgabe seiner Aphorismen aus den Erfahrungen eines Siebenundsiebzigjährigen und durch das treffliche Werk: Historische, statistische, geographische, topographische Beiträge zur Kenntniß des Herzogthums Altenburg, – nicht unbekannt geblieben. In dem verhängnißvollen Jahre 1807 wurde er von seinem Fürsten, dem Herzoge von Sachsen-Gotha und Altenburg, als außerordentlicher Gesandter nach Berlin gesendet, um zu unterhandeln und die weiteren Befehle des damaligen Kaisers Napoleon einzuholen, der seinen siegreichen Adler im schnellen Fluge bis an den Niemen trug. Während seines mehrwöchentlichen Aufenthaltes in Berlin schrieb der edle, würdige v. Thümmel ein Tagebuch, welches er kurze Zeit vor seinem Tode dem Herausgeber dieser Auszüge, mit dem er in freundlichem, literarischem Verkehre stand, – zur theilweisen, einstmaligen Benutzung aushändigte. In diesem Tagebuche finden sich interessante Notizen, wie auch mehrere treffende Urtheile über berühmte Menschen, namentlich auch über seinen Bruder, den geistvollen Dichter Moritz von Thümmel; daher dürften sich diese Auszüge aus dem genannten Tagebuche zur öffentlichen Mittheilung wohl eignen und bei den geehrten Lesern ein geneigtes Gehör finden.
Herr von Thümmel traf, laut seines Tagebuches, zu Anfang des Monats April 1807 in Berlin ein. Sein Wille war, dem kaiserlichen Hauptquartiere nachzureisen; doch er wurde in Berlin, wie mehrere Gesandte, – zurückgehalten und mit seinen Anträgen an den Gouverneur General Clarke gewiesen. […]
[Fortsetzung 11. Dezember 1830]
Ferner erzählt Herr von Thümmel in seinem Tagebuche: Eines Morgens sehr früh wurde ich nicht wenig überrascht. Es trat ein Männchen mit grauem Ueberrocke und eine schlechte polnische Mütze auf dem Haupte schnell in mein Zimmer. Als ich auf die drollige Gestalt zuging und sie recht betrachtete, erkannte ich zu meiner größten Freude meinen lieben Bruder, den Dichter Moritz! – Ich hatte ihn nicht vermuthet; wir sanken einander in die Arme und freuten uns kindlich
Mein alter guter Freund Iffland, erzählt Herr von Thümmel, der in Berlin schon öfter bei mir war, hatte gehört, daß mein Bruder eingetroffen sey. Er machte ihm seinen Besuch und bat uns Beide, mit ihm zu der berühmten Schauspielerin Bethmann, geborene Hartmann aus Gotha, zu gehen. Sie wünsche, sagte er, meinen Bruder, den Dichter, gern kennen zu lernen, besonders um ihm einen Mops zu zeigen, der so gescheidt wäre wie der in seinen genialen Schriften. Wir gingen erst zusammen in das Theater und dann zur Madame Bethmann. Beim Eintritte in ihr Zimmer hielt sie mich für meinen Bruder, und sie machte mir eine Menge Lobeserhebungen über seine Schriften, die ich ohne Umstände hinnahm. Mein Bruder war dabei verlegen und rührte sich nicht, wenn Iffland den Irrthum nicht berichtigt hätte. Wir lachten dann Alle herzlich und waren fröhlich. Es ist mir oftmals schon so gegangen, daß man mich für meinen Bruder gehalten hat; ich muß doch mehr Dichterisches in meiner Physiognomie haben als er. Wenn mein Bruder Moritz in gesellschaftlichen Gesprächen so launig und witzig wäre, wie er in seinen Schriften es ist, so würde er in Berlin großes Aufsehen machen; aber er ist einsylbig, still und verlegen und doch dabei so herzensgut. Man hält ihn für einen Pinsel, und er ist doch ein trefflicher Maler. – Einige Tage darauf, erzählt Hr. v. Thümmel mit folgenden Worten:
Mein Gedächtniß hat mir in Hinsicht meines Bruders einen tollen Streich gespielt, der aber zum Glücke recht gut ablief. – Ich hatte nämlich den Geburtstag meiner Schwester mit dem meines guten Bruders verwechselt und war in dem festen Wahne, daß er den 12ten Mai sey, denn er ist nicht den 12ten, sondern 10 Tage später geboren. – Ich traf zum 12ten Mai alle Anstalten, meines Bruders Geburtstag recht feierlich zu begehen, und bat ihm zu Ehren eine Menge Gäste. – Den 12ten Mai ging ich am frühen Morgen zu einem Hutfabricanten und kaufte meinem Bruder vor allen nöthigen Dingen einen neuen Hut, denn in dem alten durchlöcherten Hute sah er gräulich aus, und ich muß doch mit ihm überall herumlaufen. Auch kaufte ich ihm zu dem geträumten Geburtstage eine schöne Tasse. – Dann schickte ich mich an, die geladenen Gäste zu begrüßen, die Alle, wie ich, der Meinung waren, daß meines Bruders Geburtstag wirklich sey. Jedermann wurde in dem falschen Wahne gelassen, die Zeit war zu kurz, es war nun einmal nicht mehr zu ändern; das Fest begann.
Zuerst erschien ein provenzalisches Mädchen mit frischen Weintrauben und Blumen, die im Namen der Margot kam […] Dann erschienen die Hofdamen und ein Kammerherr von der Frau Kurprinzessin von Hessen-Cassel, Schwester des Königs von Preußen, und übergaben meinem Bruder im Namen der erhabenen Fürsten einen schönen blühenden Rosenstock, wofür mein Bruder noch denselben Tag durch folgende Verse dankte:
Der Rosen reizende im himmlischen Gefilde Bog heut ihr blühend Haupt mit königlicher Milde Auf einen Dornenstrauch entfernter Flur herab; Dies, Fürstin! ist das Bild, das meinem Schattenbilde Den vollen Glanz der Jugend wieder gab.
O möchten sie, die jetzt Dein abgezog’nes Leben Als Blüthen der Natur mit Lieb‘ und Trost umschweben, Zu einem Siegeskranz der überwund’nen Zeit Bald an einander angereiht, Einst Deinem grauen Haar die Freude wiedergeben, Mit welcher Dein Emblem das meinige geweiht Und wundervoll in mir das ernstliche Bestreben Nach Tugend und Verdienst erneut.
M.v.T.
[Fortsetzung 13. Dezember 1830]
[…] Der Herr Geheimrat von Göcking schickte meinem Bruder ein artiges Lied eines Mädchens aus dem zwanzigsten Jahrhunderte […]
[Beschluss 14. Dezember 1830]
Es erschienen außerdem noch eine Menge Gedichte, und Herr Thümmel sagt: mein alter Bruder war von den Freuden des schönen Tages ganz trunken. Das hatte er nicht erwartet, so freudig und unverhofft überrascht zu werden! Alle Gäste waren äußerst fröhlich. Abends ließ ich noch spät von dem Conditor des spanischen Gesandten, Herrn von Correa, – der in Berlin die beste Tafel und die feinsten Weine führt, – einen Punsch á l’africaine machen, der freilich besser ist als aller Punsch aus englischen und deutschen Conditoreien. –
Eines Tages besprach sich der ehrwürdige Verfasser des Tagebuches mit mehreren seiner Freunde, eine Wallfahrt nach Potsdam zu machen, um die dortigen Merkwürdigkeiten zu sehen. Er war ein großer Freund der Architektur, wie er überhaupt alle schönen Wissenschaften bis an sein Ende pflegte und liebte und jedes strebende Talent wahrhaft väterlich unterstützte. Wir kamen – schrieb er – zeitig in Potsdam an und besuchten sogleich das neue Palais. Der Geist des großen Friedrich zeigte sich hier in der Größe und Magnificenz der Säle; übrigens herrschte darin eine schlechte Architektur; viele Vergoldung, französisches Schnitzwerk, viel Marmor ec. – Wir gingen dann nach Sanssouci; auch hier müßte ich meiner Empfindung wehe thun, wenn ich sagen wollte, daß ich etwas Ausgezeichnetes von Geschmack gefunden hätte, außer einem Saale, der auf 8 Säulen ruhte, und wo Friedrich der Große sonst mit seinen gelehrten Freunden speiste. Die Aussicht ist schön und fällt in Vergleichung mit Berlin und der umliegenden Gegend sehr auf. Aber das Merkwürdigste ist das ehemalige häusliche Leben Friedrich des Großen, welches man bei jedem Zimmer erzählen hört. Die Belohnung eines solchen Mannes, wie Friedrich es war, ist die, daß er seine Fortdauer noch Jahrhunderte nach seinem Tode ausdehnt, und wenn sein Bewußtseyn noch an unserem Erdklumpen hängt, – wer weiß, ob dieses nicht seyn könnte – so muß es für ihn Seligkeit seyn, zu wissen, daß vom Greise bis zum Kinde jetzt noch Alles sagt: Hier lebte er, hier saß er, hier wirkte er das Gute, dort that er das Große, hier sprach er das Witzige! Wir gingen zuerst in seine Bibliothek. In einer Nische stand sein Canapé, und vor diesem der Tisch voller Tintenflecke, an dem er einst geschrieben hatte. Sonderbar! es war auch nicht ein einziges deutsches Buch in der ganzen Bibliothek zu finden; alles waren französische und italienische Werke. Napoleon war bei seiner Anwesenheit über eine halbe Stunde in dieser Bibliothek geblieben und hatte tausende Fragen über den großen König gethan; darauf hat er zu seiner Begleitung feierlich gesagt: An diesem Tische saß Friedrich der Große und arbeitete seine Riesenpläne aus; man ist ihm Ehrfurcht schuldig; hierauf hat er seinen Hut gezogen, und sein ganzes Gefolge hat ein Gleiches gethan. […]
Nach dreimonatlichem Aufenthalte kehrte der würdige Hr. v. Thümmel, an Erfahrungen bereichert, in den Schooß der Seinigen zurück, fortwirkend in seinem vielverzweigten, ausgebreiteten Geschäftskreise. Er empfing in Berlin eigenhändige Briefe von dem Fürsten von Benevent, von dem Großmarschall Duroc und anderen berühmten Männern, wie er auch später in Paris mit dem französischen Cabinette diplomatische Unterhaltungen pflog, und sein Fürst, Herzog August, bei Napoleon in großer Gunst stand. Auch hierüber findet sich manches Interessante unter Thümmel’s nachgelassenen Papieren, und der Herausgeber dieser Auszüge behält sich vor, später darauf zurückzukommen, wenn, wie er hofft, diese Mittheilungen nicht ungünstig aufgenommen werden. Er ehrt in dem verstorbenen edlen Minister von Thümmel seinen Wohlthäter, seinen ermunternden Freund; und das Andenken an diesen ehrwürdigen Greis, dessen Leichnam in dem Schatten einer großen Königseiche schlummert, ist ihm heilig.“
Diese erheiternden Episoden, die hier in der „Zeitung für die Elegante Welt“ (Link am Ende des Beitrags) abgedruckt wurden, verraten uns nicht viel über Thümmels tatsächliche Arbeit in Berlin, aber sie erweitern das große Repertoire an Anekdoten, die über den Minister bekannt sind und vor allem geben sie einen Einblick in das Verhältnis zwischen Hans Wilhelm von Thümmel und seinem älteren Bruder Moritz.
Moritz August von Thümmel
Heute ist Moritz August von Thümmel als Dichter kaum mehr bekannt, gehörte aber zu den am meisten gelesenen Autoren seiner Zeit. Vor allem seine Reihe „Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich“ kann schon als berüchtigt gelten. 1738 in Schönefeld bei Leipzig als zweiter Sohn der Familie geboren, war er wie sein Bruder Hans Wilhelm, eines von insgesamt 19 Kindern der Familie. Kein Wunder also, dass es da bei Geburtstagen zu Verwechslungen kommen konnte.
Und hier auch die versprochene Auflösung des Irrtums. Hans Wilhelm von Thümmel schreibt: „Ich hatte nämlich den Geburtstag meiner Schwester mit dem meines guten Bruders verwechselt und war in dem festen Wahne, daß er den 12ten Mai sey, denn er ist nicht den 12ten, sondern 10 Tage später geboren.“ Aber leider stimmt auch das nicht. Moritz von Thümmel wurde nicht am 22. sondern am 27. Mai geboren.
Moritz August von Thümmel studierte später in Leipzig Jura, wandte sich aber bald den „schönen Künsten“ zu. 1761 wurde er unter dem späteren Herzog Ernst Friedrich von Sachsen-Coburg-Saalfeld zum Kammerjunker und drei Jahre später zum geheimen Hofrat und Hofmeister ernannt. 1768 wurde er Wirklicher geheimer Rat und Minister in Coburg. 1783 trat Moritz von Thümmel aus dem Staatsdienst aus und lebte vor allem in Gotha und auf Gut Sonneborn, das seiner Frau gehörte. Gelegentliche Aufenthalte führten ihn auch nach Coburg. Bereits in den 1770er Jahren reiste er viel: nach Amsterdam, Paris und schließlich durch ganz Frankreich. Sein Ruhestand vom Staatsdienst war durch viele kleine Reisen geprägt, unter anderem die nach Berlin im Jahr 1807. 1817 starb Moritz August von Thümmel und wie sein jüngerer Bruder Hans Wilhelm von Thümmel, wünschte er sich ein Grab im Grünen. Er wurde in Neuses, einem Dorf in der Nähe Coburgs beigesetzt.
Hans Wilhelm von Thümmel in der Ausstellung im Museum Burg Posterstein
Wenn Sie nun mehr über Hans Wilhelm von Thümmel und seinen Bruder erfahren möchten, dann freut es mich zu sagen, dass Burg Posterstein seit dem 6. Juni 2021 nach 215 Tagen Lockdown wieder für Besucher geöffnet ist und zu den regulären Öffnungszeiten besichtigt werden kann.
Aber keine Sorge! Auch wenn das Museum Burg Posterstein wieder geöffnet hat, bleiben wir Ihnen mit unserem Podcast LeseZEIT mit Geschichte und Geschichten aus dem Museum Burg Posterstein erhalten! In der nächsten Folge lesen wir aus den Briefen des Freiherrn Jakob Friedrich von Bielfeld, der im Dienst Friedrich des Großen gestanden hat. Wir lesen Auszüge, in denen er vom Leben auf seinem Landsitz in Treben und Haselbach im heutigen Altenburger Land berichtet. Die Besonderheit an dieser Folge: Sie soll am 18. Juli 2021, 15 Uhr, vorab live im Burghof der Burg Posterstein gelesen werden. Wenn Sie dabei sein wollen – melden Sie sich bitte vorab im Museum an, denn die Plätze sind begrenzt.
Bis zur nächsten Folge – ob live oder auf den Kanälen der Burg Posterstein – wünsche ich Ihnen eine schöne Zeit! Auf Wiederhören!
In der heutigen Folge der LeseZEIT unternehmen wir einen akustischen Ausflug zu einer der bekanntesten Sehenswürdigkeiten der Stadt Altenburg vor 200 Jahren. Ihre Reisebegleiterin aus dem Burgstudio Posterstein ist wieder die Historikerin Franziska Engemann. Und damit heiße ich Sie ganz herzlich Willkommen, liebe Zuhörende, zu unserer kleinen Exkursion ins Grüne.
Sie können auch diese Folge als Blogpost lesen oder als Podcast anhören.
In der letzten Folge wurden wir bereits mit Minister Hans Wilhelm von Thümmel bekannt gemacht, der gerne als „Verschönerer Altenburgs“ tituliert wurde und dessen sterbliche Überreste noch heute in der 1000jährigen Eiche in Nöbdenitz ruhen.
Doch nicht nur seine ungewöhnliche Grabstätte regte seine Zeitgenossen zu Berichten und Spekulationen an, auch sein Geschick in der Landschaftsgestaltung inspirierte zu Gedichten, Reisebeschreibungen und zum Teil zu heiteren Anekdoten. Thümmels Verdienste für den Altenburger Landesteil des Herzogtums Sachsen-Gotha und Altenburg waren vielfältig: der Bau eines modernen Krankenhauses in Altenburg, der Ausbau der Landesstraßen samt Begrünung durch die Anpflanzung von Bäumen, die Vermessung und Kartographierung des Landesteiles sind nur einige Beispiele dafür.
Besonderen Reiz übten vor allem Thümmels Gärten aus, die er mit großem Geschick und außerordentlichem Geschmack anzulegen wusste. Beispiele dafür wären die Umgestaltung des Schlossparks in Altenburg zu einem englischen Landschaftsgarten oder sein privater Garten in Nöbdenitz, der Teile der Natur wie einen Steinbruch oder Waldstücke in die Gestaltung einbezog. Er ließ verschiedene Schmuckelemente und –häuser errichten, wie das chinesische Badehaus in Untschen oder die „Polnische Hütte“ – auch Caroliens Höhe genannt –, die ein beliebtes Ausflugsziel mit Gastwirtschaft, Kegelbahn und hunderten Kirschbäumen war. Thümmels eigentliches Meisterstück war allerdings sein Privatgarten in Altenburg – ein Landschaftsgarten mit Felsengrotte, Fischteichen, Sonnenuhr, Schmuckhäuschen in verschiedenen Stilen und einem klassizistischen Palais mit Glaskuppeldach.
Lange Zeit stand diese Sehenswürdigkeit, die von einer Mauer mit sieben Toren umgeben war, der Bevölkerung offen. Einheimische wie Reisende besuchten den Garten und genossen die herrliche Aussicht über Altenburg. Einen ganz besonderen Einblick erhielt 1817 die Porträt- und Historienmalerin Louise Seidler (1786-1866), die für einen Auftrag in die Residenzstadt kam und einige Tage im Thümmelschen Palais wohnte.
Louise Seidler gelang eine herausragende Karriere als Künstlerin. 1786 wurde sie in Jena geboren und erhielt erste künstlerische Unterweisungen in Gotha und Jena, u.a. bei Friedrich Wilhelm Döll (1750-1816). Seit 1810 hielt sie sich vor allem in Dresden auf, erweiterte ihre Kenntnisse unter Gerhard von Kügelgen (1772-1820) und widmete sich vor allem dem Kopieren der alten Meister in der Dresdner Galerie. Dort begegnete sie auch ihrem späteren Freund und Mentor Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832).
Durch Großherzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach (1757–1828) erhielt Louise Seidler 1817 ein Stipendium, das ihr ein Studium an der Kunstakademie in München und ein Jahr später eine Reise durch Italien ermöglichte. Dort schloss sie sich der Künstlergemeinschaft der Nazarener an, die eine romantisch-religiöse Kunstrichtung vertraten. 1823 kehrte Louise Seidler nach Weimar zurück, wurde die Zeichenlehrerin der Prinzessinnen Marie (1808–1877) und Augusta (1811–1890) und etablierte sich als freie Künstlerin. 1824 wurde sie zur Kustodin der großherzoglichen Gemäldesammlung ernannt, 1835 auch zur Hofmalerin. 1863 begann sie ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben. Aufgrund einer allmählich voranschreitenden Erblindung, ist es wahrscheinlich, dass sie ihre Erinnerungen diktierte. 1866 starb Louise Seidler in Weimar. Ihre Memoiren bleiben unvollendet, gelten aber als wichtige Quellen für das Schaffen dieser außerordentlichen Frau, genauso aber auch für das Leben und Schaffen ihrer Künstlerkollegen. Oft wurde Louise Seidler nur im Zusammenhang mit Goethe bekannt, dabei sind ihr künstlerisches Werk und ihre Karriere außergewöhnlich. Trotz zahlreicher Hindernisse und Unverständnis seitens ihrer Zeitgenossen verwirklichte Louise Seidler ihren Traum, als freischaffende Künstlerin am Anfang des 19. Jahrhunderts erfolgreich zu sein.
In unserer heutigen LeseZEIT reisen wir in das Jahr 1817. Kurz bevor Louise Seidler ihr Studium in München beginnt, begibt sie sich noch einmal nach Weimar, Gotha und Altenburg. Sie trifft nicht nur auf den Herzog August von Sachsen-Gotha und Altenburg, sondern auch auf Hans Wilhelm von Thümmel, für dessen Auftrag sie im April nach Altenburg aufbricht.
„Nun ging es mit dem Anfang des neuen Jahres 1817 an die Vorbereitungen zu der für mich so wichtigen Reise nach München. Ich ordnete alle meine Verhältnisse gleichsam testamentarisch; dann nahm ich Abschied von den Verwandten und Freunden in Weimar und Gotha. Hier wurde mir noch eine Audienz vom Herzog August bewilligt, in welcher er mir einen letzten, wunderbaren Auftrag erteilte. Er beschäftigte sich nämlich damals gerade mit der indischen Religion und nahm an, daß Brahma, Wischnu und Schiwa das Nämliche wie unsere Dreieinigkeit wäre. Er sprach mit mir lange darüber und stellte mir endlich die Aufgabe: Christus als Wischnu zu malen; er müsse Perlmutter-Augen haben, die Fingernägel seinen mit Alhenna – jener Wurzel, die im Orient von den Weibern zum Schminken gebraucht wird – rot gefärbt, auf seiner Brust erblicke man einen Fisch usw. Mir schwindelte der Kopf; ich verneigte mich und stammelte etwas wie: ‚Ich will’s versuchen!‘
Bei diesem letzten Besuche in Gotha machte ich noch die Bekanntschaft des ehedem allmächtigen Gothaischen Ministers Thümmel, der sich vor nicht langer Zeit nach Altenburg zurückgezogen hatte. Er war der Bruder des Verfassers der berüchtigten „Reise in das mittägliche Frankreich“ und hegte den Wunsch, daß ich den Autor dieses Werkes noch vor meiner Abreise nach München malen möchte; eine Bestellung, der ich nicht wohl aus dem Wege gehen konnte.
Der Auftraggeber, Exzellenz von Thümmel, der vormalige Minister, war ein schöner, origineller, geistreicher Mann, von dem die geheime Geschichte berichtet, daß er sich die Gunst der einstigen Erbprinzessin von Gotha, geborene Prinzeß von Mecklenburg, erworben, deren weibischer Gemahl (der wunderliche Herzog August) der Krone keinen Erben verhieß. Noch spät schienen die Wünsche des Landes in Erfüllung gehen zu sollen, jedoch kein Prinz, sondern eine Prinzessin wurde geboren; die von mir in diesen Blättern bereits erwähnte nachmalige Herzogin von Koburg.
Ehe ich der Einladung des Ministers von Thümmel folgen konnte, wurde es April; in den letzten Tagen dieses Monats traf ich in Altenburg ein. Dort hatte sich der reich begüterte Mann nach seinem Rücktritt vom Staatsdienst eine Villa erbaut; die höchst geschmackvolle Besitzung lag auf einem kleinen Berge, rings um dieselbe zog sich ein weitläufiger Park, worin sich ein großer Fischteich befand. In diesem Parke sah man fünf oder sechs Schweizerhäuschen, an welche das Gerücht manches Liebesabenteuer des galanten Ministers knüpfte. Kein Wunder also, daß dessen Gemahlin (geb. von Rothkirch), als sie von der Einladung gehört hatte, welche mir zuteil geworden war, erst genaue Erkundigungen über mich einzog. Da diese beruhigt ausfielen, wurde mir ein Atelier und Schlafzimmer dicht neben den Gemächern der Töchter des Hauses eingeräumt.
Ein unverheirateter Sohn des Ministers war in der Nähe von Altenburg als Oberforstmeister angestellt. Als wir ihn eines Tages besuchten, fiel uns ein schmucker und trotz seiner anscheinend großen Jugend sehr gewandter Jägerbursche angenehm auf, welcher die Bedienung bei Tische besorgte. Daß dieser schöne und kräftige Jüngling – ein Weib war, ahnte niemand. Dennoch war dem so; ohne es zu wissen, sahen wir eine Geliebte des jungen Thümmel vor uns, welche diesen auf Reisen, in die Bäder usw. als Diener begleitete.
Der Minister von Thümmel, immer noch eine sehr stattliche Erscheinung, war ein barocker Mensch; einmal ließ er auf dem Dache eines türkischen Kiosks, wo sich ein länglicher Altan befand, im Freien das Diner servieren, obwohl es im April und eisig kalt war. Schnee und Hagel fiel auf die Tafel nieder, allein wir mußten ausharren. Das Abenteuerliche hatte eben für den Herrn des Hauses einen besonderen Reiz. Noch auf dem Totenbette befahl er, daß man ihn, wenn er gestorben sein, in aufrechter Stellung, nur mit einem Betttuche umwickelt, auf seinem Landgute Nöbdenitz bei Löbichau, in dem inneren Raume einer uralten riesenhaften Eiche, wo er häufig getafelt hatte, beisetzen solle; ein Verlangen, welchem man, wie ich gehört zu haben glaube, wirklich nachgab.
Des Ministers Bruder, der Dichter Moritz August von Thümmel, den ich porträtieren sollte, war damals schon ein zusammengesunkener, abgelebter Greis mit verschrumpften Zügen und kleinen, blinzelnden, grauen Augen. Trotz seiner Häßlichkeit machte er indessen einen freundlichen Eindruck. Da er sehr schwächlich war – kein Wunder bei seinen neunundsiebzig Jahren! – so vermied er es, viel zu sprechen; die Aufgabe ihn zu malen, war daher keineswegs anziehend. Einige Entschädigung für dieselbe gewährte mir eine angenehmere Arbeit, welche bei mir bestellt ward, nämlich ein lebensgroßes Bild der Domina des Altenburger Damenstifts, der schönen Freiin von Friesen, diese in der malerischen Ordenstracht darstellend.
Endlich waren beide Gemälde vollendet. Ich kehrte nach Jena zurück, traf meine letzten Vorbereitungen, und am 4. Juli 1817 brach ich bei herrlichem Reisewetter von meiner Vaterstadt auf, ausgerüstet mit zwei Empfehlungsbriefen Goethes, von dem ich am Tage zuvor dankbaren Herzens und in tiefer Bewegung Abschied genommen hatte.“
Ob die von Louise Seidler erwähnten Gerüchte über Hans Wilhelm von Thümmel und seinen Sohn stimmen, lässt sich heute nicht mehr überprüfen.
Der Garten Hans Wilhelm von Thümmels ist jedoch inzwischen aus dem Stadtbild Altenburgs verschwunden. Bereits nach Thümmels Tod 1824 begannen seine Erben das weitläufige Grundstück in Teilen zu verkaufen und die Anlage zu verkleinern. Heute erinnert nichts mehr, an die einstige Sehenswürdigkeit der Residenzstadt. Auch das klassizistische Palais, das zu Beginn sogar eine Bibliothek beinhaltete, hat sich in das heutige Straßenbild eingefügt. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts waren die Seitenflügel verbaut worden. Heute lässt sich nur noch der Mittelbau des Hauses auf der abgewandten einstigen Parkseite der Thümmelstraße (jetzt Hausnummer 3) noch erahnen.
Auch viele der anderen Thümmelschen Gärten im heutigen Altenburger Land sind verschwunden oder nur noch in Teilen erhalten geblieben. Dem gärtnerischen Erbe der einstigen Residenzstadt widmen dennoch – oder gerade deshalb – die vier großen Museen des Altenburger Landes 2021 eine gemeinsame Ausstellungsreihe mit dem schönen Titel: „Grünes im Quadrat – Historische Gärten im Altenburger Land”. Das Lindenau Museum Altenburg, das Residenzschloss Altenburg, das Naturkunde Museum Mauritianum und das Museum Burg Posterstein planen je eine eigene Ausstellung zu historischen oder modernen Gärten. Begleitet wird die Reihe durch einen gemeinsamen Katalog „Grünes im Quadrat“, der im Sandstein Verlag erschienen ist.
Das Ausstellungsprojekt “Grünes im Quadrat” steht unter der Schirmherrschaft von Minister Professor Dr. Benjamin-Immanuel Hoff.
Und mit diesem Lese- und Ausstellungstipp möchte ich mich für heute bei Ihnen, liebe Zuhörende, verabschieden und würde mich freuen, sie auch in der nächsten Folge der LeseZEIT oder im Museum selbst begrüßen zu können. Bis zum nächsten Mal!