Der Kölner Künstler Dr. Wolfgang Stöcker ging 2017 und 2018 in der Burg Posterstein auf “Staubexpedition”. Seine Fundstücke dokumentierte er sorgfältig und goss sie anschließend in turm- und hausartige Wachsobjekte ein, vermalte sie und archivierte sie in Folien. Das Museum Burg Posterstein will diesen geheimnisvollen, normalerweise verborgenen Mikrokosmos der Burg ab 19. Mai 2019 in der Ausstellung und dem zugehörigen Buch “Zum Wesen des Staubes: Staubexpeditionen auf Burg Posterstein” sichtbar machen. Zum heutigen Thema #secretsMW der internationalen Museumswoche #MuseumWeek beschreibt Dr. Wolfgang Stöcker seine “Philosophie des Staubs”:
Staub ist ein grundsätzliches Material. Der interessante Stoff bedeutet Anfang und Ende. Zu Beginn war alles loser Sternenstaub, dann geschah eine Verdichtung hin zu mannigfachen Formen, die seither ständig entstehen und wieder zu Staub zerfallen. Somit ist die Beschäftigung mit Staub ein ständiges Betrachten dieses Kreislaufs, wobei die Dokumentation von Staub an kulturell bedeutenden Orten zugleich Fragen aufwirft: Was wird aufbewahrt und dem Staub (dem Verfall) entzogen? Was wird dem Verfall preisgegeben? In diesem Zusammenhang sind schließlich drei weitere Aspekte wichtig: Wer beurteilt den Wert einer Sache? Wie lange ist ein Aufbewahren überhaupt möglich und was bedeutet es für eine Gesellschaft letztlich dem Aufbewahren beizuwohnen, sprich: Museen zu besuchen, Historisches zu bestaunen, Archive zu pflegen?
An diesen Schnittstellen agiert das Internationale Staubarchiv (Anfang 2019 erfolgte die Umbenennung von Deutsches Staubarchiv in Internationales Staubarchiv) und entwickelt im Grenzbereich zwischen Kunst und Geschichtswissenschaft Bilder, Texte, Plastiken, untersucht Bauwerke, vermisst den Staub an seinen Entstehungsorten. Zur Zeit befinden sich rund 600 Proben aus aller Welt im Archiv.
Im Staub ist alles enthalten. Er bildet das Biotop für neues Beginnen und ist ein Übergangsmaterial voller Kraft und Potenz. Doch sind die Freunde des Staubes begrenzt. Er wird als störend empfunden. Seine versteckt durchaus bestehende Schönheit wird nicht oft gewürdigt. Tatsächlich ist es auch eine eher morbide Schönheit. Übertreiben darf man die Verehrung keinesfalls und ein guter Besen ist nicht verkehrt. Über den Besen hinaus sind allerhand Geräte zur Entfernung des Staubes im Umlauf und jene temporär aus dem fruchtbaren Urstaub (oder Urschlamm) geschaffenen Gebilde müssen ständig gekehrt werden, damit sie der Staub nicht verfrüht zurück in sein Reich holt. Und obwohl jedes Ding letztlich Staub ist, ist es für eine gewisse Zeit eben nicht Staub, sondern dieses oder jenes Ding, gar eine lebende Kreatur. Im Moment der Entstehung entfernt sich etwas vom staubhaften Grundzustand und nimmt ein Wesen an. Es wäre Frevel diese Anstrengung hinfort vom Staub nicht zu respektieren. Also Kehren!
Kehren ist eine Kulturtechnik, Kehren ist wortwörtlich die bewusste Abkehr vom Staub, ein Aufbäumen gegen diesen lästigen Gesellen der auf lange Sicht hin zwar Sieger sein wird, jedoch kurz- und mittelfristig durchaus bekämpft werden kann. Vor diesem Hintergrund erwächst die Faszination gegenüber „dem Alten“, gegenüber Kunstwerken oder ähnlichen Gegenständen. Aus ihnen spricht die Übereinkunft der Generationen diesen oder jenen Gegenstand zu erhalten. Die Mühe der Pflege ist eine Art kultureller Klebstoff, eine Brücke zwischen dem Gestern, dem Heute und einem Morgen. An manchen Orten ist die Sorge um den Erhalt geradezu fühlbar. Kunst- und Kulturgüter stehen im Spannungsfeld des Putzens. Die starke Präsenz des potentiell immer drohenden Verfalls macht die gesäuberten Zeugnisse unserer Kultur erst wertvoll. Im Gegenzug heißt dies ganz deutlich: Staub liefert dem Menschen eine starke Rechtfertigung zur Errichtung von Zivilisation. Zivilisation bedeutet Kehren! Die Schöpfungsmythen kennen den Zustand des Nichts. Aus der Ödnis gehen die Dinge plötzlich hervor. Sind sie aber erst einmal erschienen, bleiben sie nicht automatisch sauber. Ist die Schöpfung vollzogen, muss der Besen folgen. Schon Tiere sind nicht in der Lage verschmutzt zu existieren. Sogar einige Pflanzen entwickelten Strategien die Oberflächen ihrer Blätter frei von Staub zu halten. Alle Kreaturen putzen. Der Mensch verwendet einen Großteil seiner Lebenszeit auf diese Tätigkeit. Kultur bedeutet im ursprünglichen Sinn Pflege: Pflege des Bodens (agricultura) und schließlich Körperpflege (der Kulturbeutel). Architektur, Kleidung, Möbel, Gefäße, all dies sind Vorrichtungen die neben vielen anderen Funktionen vor allem die Abwehr des Staubes garantieren. Leider sind diese Staubbarrieren zugleich neue Quellen des Staubes. Wohnen erzeugt Staub. Der Ruß des Kamins, der Küchendreck, Haare und Haut, Schuppen, Läuse, Milben, Wanzen und Wolle und Flusen! Zivilisation ist ein ständiges Dilemma. Täglich durchlebt der Mensch die tragische Illusion des staubfreien Moments.
Das Staubarchiv hat sich in diesem Widerspruch eingenistet und lotet die Möglichkeiten zwischen pflegender Kultur und drohendem Verfall neu aus. Es ist der Versuch dem Staub nicht feindlich zu begegnen. Mittels Katalogisieren und Archivieren des Staubes entsteht eine Wertschätzung gegenüber dem ansonsten nur lästigen Material. Eine Fluse mit Archivnummer und Datum ihrer Auffindung, Staub in Vitrinen und hinter Glas gerahmt, ist kein normaler Staub mehr. Für die nun kommende Ausstellung in Posterstein wurden Partikel der Burg sogar als Malmittel benutzt. Die „Postersteiner Staubportraits“ zeigen die mögliche Schönheit des Staubes. Eigenartig genug, kann Staub plötzlich selbst zur pflegebedürftigen Materie werden, wenn Strategien der Inszenierung und Überhöhung auf ihn angewendet werden.
von Wolfgang Stöcker
Köln, 05.Mai, Wetter sehr kalt, bewölkt, 9.27 Uhr
Die Ausstellung “Zum Wesen des Staubes: Staubexpeditionen auf Burg Posterstein mit Woflgang Stöcker, Köln” ist von 19. Mai bis 18. August 2019 im Museum Burg Posterstein zu sehen. Als Gründer des „Deutschen Staubarchivs“ in Köln sammelt und archiviert Dr. Wolfgang Stöcker Staubproben von bedeutsamen Orten und setzt sie künstlerisch-überhöht in neue Zusammenhänge. 2017 und 2018 ging er auf Staubexpedition in der Burg Posterstein. Seine Fundstücke dokumentierte er sorgfältig und goss sie anschließend in turm- und hausartige Wachsobjekte ein, vermalte sie und archivierte sie in Folien. Die Ausstellung und das zugehörige Buch wollen den sonst unbeachteten Mikrokosmos des „Burgstaubs“ sichtbar machen.