Wie klingt die Nordflügel-Baustelle der Burg Posterstein?
Das Ensemble für Intuitive Musik Weimar (EFIM) hat sich die Baustelle des Nordflügels der Burg Posterstein für eine „musikalische Erstbespielung“ ausgesucht. In einer Klangprozession führen die Musiker ihr Publikum am 15. Juni 2025, 15 Uhr, in die neu entstehenden Räume. Den Rohbau tauchen sie in sphärische Klänge und schaffen völlig neue Sinneseindrücke. Der Leipziger Aktionskünstler Adam Noack malt live zur Musik.
Interview mit Michael und Matthias von Hintzenstern
Klingt merkwürdig? – Im Interview erzählen Michael und Matthias von Hintzenstern vom Ensemble für Intuitive Musik aus Weimar, was es mit dem Projekt auf sich hat.
Ein weiteres Interview mit dem Künstler Adam Noack gibt es hier.

Lieber Michael von Hintzenstern, können Sie das Ensemble kurz vorstellen?
Michael: Das Ensemble besteht aus Daniel Hoffmann (Trompete/Flügelhorn), Matthias von Hintzenstern (Violoncello/ Obertongesang), Hans Tutschku (Boston, Harvard Universität; Live-Elektronik) und mir, Michael von Hintzenstern (Klavier/Harmonium/ Orgel). Die Besetzung hat sich im Lauf der Jahre nur minimal geändert, das Ensemble ist aber seit Gründung 1980 immer bestehen geblieben. Das heißt, wir feiern unser 45-jähriges Jubiläum.
Matthias: Uns verbindet unser gemeinsames Interesse an der Musik des Komponisten Karlheinz Stockhausen. Die brachte uns auf die Idee, selbst so ein Ensemble für Intuitive Musik zu gründen. So etwas gab es in der DDR nicht, experimentelle Avantgarde-Musik war tabuisiert und galt als westlich.
Michael: Karlheinz Stockhausen aus Köln war einer der Urväter der elektronischen Musik. Ich hab ihm als 14-jähriger einen Brief geschrieben und er hat auch geantwortet – und dabei stellte sich heraus, dass ich zu derzeit der einzige DDR-Bürger war, der mit ihm in Kontakt stand. Das hat sich später noch intensiviert und er hat uns bei unseren Auftritten sehr unterstützt.
Hier ein Bild aus den 1980er Jahren von der Website Hans Tutschkus:

Eine Prozession zum Klang der Bilder – das hört sich nicht nach einer klassischen Konzertsituation mit Bühne und Stuhlreihen an. Noch dazu im Rohbau des Nordflügels der Burg Posterstein, der sonst noch nicht für Besucher zugänglich ist. Was erwartet die Gäste an diesem Nachmittag?
Michael: Wir werden die Gäste im Eingangsbereich der Burg empfangen und dann leiten wir sie auf die Baustelle in den großen Saal. Dort wird dann der Maler Adam Noack dazukommen und zur Musik aktiv werden.
Was reizt Sie daran, die Baustelle im Schatten des 25 Meter hohen Bergfrieds der Burg Posterstein mit Klängen zu durchdringen?
Michael: Posterstein ist für uns schon lange ein inspirierender Ort gewesen. Mein Bruder Matthias hat schon über ein Jahrzehnt aktiv mitgewirkt in den Museumsaktivitäten. Vor 25 Jahren gab es schonmal eine große Klanginstallation in der gesamten Burg.
Natürlich haben wir das großartige Baugeschehen in Posterstein verfolgt. Jetzt ist es für uns eine Ehre, den neuen Raum erstmals zu bespielen. Das Prinzip der „Erstbespielung“ haben wir uns seit über vierzig Jahren auf die Fahnen geschrieben.
Matthias: Das heißt, an Orten spielen, wo noch nie Musik erklungen ist. Zum Beispiel in einem Salzbergwerk bei Sondershausen 600 Meter unter Tage, im Steinbruch Ehringsdorf oder auf einem Lavafeld bei Mexiko City.
Hier ein Foto von Hans Tutschkus Website:

Michael: Für den Auftritt in Posterstein reist Hans Tutschku extra aus Amerika an, der einzige Thüringer, der in Harvard eine Professur hat und zudem noch ein Vorreiter der Neuen Musik ist.
Wissen Sie schon, wie die Baustelle klingen wird?
Michael: Das werden wir erst ganz kurzfristig feststellen, wenn wir aufbauen. Hans Tutschku ist ein erfahrener Akustiker, der wird das hinbekommen. Live versuchen wir dann, den optimalen Klang zu finden.
Abgesehen davon entsteht Intuitive Musik natürlich im Moment der Aufführung. Die Musiker sind in besonderer Weise dazu angehalten, sich auf eine neue Situation einzustellen. Das Moment der Aufführung ist das Ziel. Es entsteht immer etwas Neues.
Matthias: Das Publikum spielt eine wichtige Rolle dabei: Die Reaktionen der Zuschauer fließen in die Musik ein. Es ist eine Wechselwirkung.

Was ist das Spannende daran, mit einem Künstler wie Adam Noack zusammenzuarbeiten?
Michael: Adam Noack gehört zu den jungen, aufstrebenden Künstlern. Ihn kenne ich durch die Galerie Eigenheim in Weimar. Er kann beides: Realistische Zeichnungen von Ort und Publikum anfertigen, aber auch abstrakt malen. Er arbeitet an mehreren Leinwänden gleichzeitig. Das Publikum und die Musiker können das live mitverfolgen. Auch das ist Aktion und Reaktion und es ist sehr unterhaltsam. Unser Ensemble hat das Konzept mit verschiedenen Künstlern probiert.
Die Zeichnung „Trumpet solo“ von Adam Noack stammt von dessen Website:

Matthias: Die Idee ist schon alt und entstand, als ich zu einem Konzert in den 1980ern mit DDR-Diaprojektoren abstrakte, sich verändernde Bilder auf Glasplättchen in den Raum projizierte. Die Idee entwickelte Hans Tutschku weiter – mit 42 Projektoren und über 300 Dias für eine Aufführung im Jenaer Planetarium. Ein kosmisch erscheinendes Bildgeschehen in Bewegung – das ist faszinierend. Seither haben wir schon viele synästhetische Projekte umgesetzt, auch mit Dichtern.
Wie können sich die Konzertgäste am besten auf die Klangprozession vorbereiten?
Matthias und Michael: Ausgeschlafen und gespannt sein. Neugier mitbringen, erstmal gucken und es auf sich zukommen lassen. Man kann auch zwischendurch die Augen schließen und sich fallen lassen. Die Fantasie wird angeregt, Vorurteile abgestellt. Man darf durchaus die Position verändern. Und wegen der Baustelle empfiehlt es sich natürlich, festes Schuhwerk anzuziehen.
Wir danken ganz herzlich für das Interview!
Weitere Informationen zum Ensemble finden Sie hier und hier.
So klingt der Rohbau
Das Ensemble für intuitive Musik Weimar füllte den Rohbau des neuen Nordflügels der Burg Posterstein mit sphärischen Klängen, die mal an Sturm, mal an Regen, mal an Tage voller Sonnenschein erinnerten. Der Künstler Adam Noack hielt das Event live in zahlreichen farbigen Skizzen von Musikern und Publikum sowie abstrakt auf großer Leinwand fest.
Über 50 Gäste waren dabei – wir danken allen, die gekommen sind!












Die Baustelle des neuen Nordflügels der Burg Posterstein
2024 entstand der Rohbau des neuen Nordflügels der Burg Posterstein. Optisch lehnt er sich nah an den 1952 abgerissenen historischen Vorgängerbau an. Der Wiederaufbau des einstigen Repräsentationsflügels der Burg soll das Museum Burg Posterstein in die Lage versetzen, einen ganzen Bereich für moderne Vermittlungsformen bereitzuhalten, die Ausstellungen barrierefrei zu erschließen, den Service zu verbessern und nicht zuletzt die Sammlungen geschützter unterzubringen.

Der Nordflügel-Neubau ist das größte Bauvorhaben der Geschichte des Museums. Den aktuellen Stand der Bauarbeiten finden Sie im digitalen Bautagebuch.
Die Ausstellung „Taktvoll“
Das Konzert findet im Rahmen des Begleitprogramms der Sonderschau „Taktvoll“ statt. Die beschäftigt sich mit der Geschichte der Musik und des Musiklernens von der Zeit der Salons um 1800 bis ins Heute. Sie ist noch bis 17. August 2025 zu sehen. Für diesen Tag ist ein Jazzkonzert mit dem Quartett „Kaisers New World” geplant.

Von Marlene Hofmann / Museum Burg Posterstein