Das Museum Burg Posterstein erhielt am Samstag, 21. September 2024, Besuch einer Reisegruppe aus lettischen Museen, allen voran aus dem Schloss Rundāle. Der Palast der Herzöge von Kurland wird auch als “Versailles des Nordens” bezeichnet. Anlässlich des 300. Geburtstags des Herzogs Peter von Biron fand dort in diesem Jahr nicht nur eine wissenschaftliche Tagung statt, sondern auch eine umfangreiche Bildungsfahrt durch Deutschland, Polen und Tschechien. Im Mittelpunkt standen dabei die Orte, an denen der Herzog und seine Frau Anna Dorothea sowie deren Töchtern und Nachkommen gelebt und gewirkt haben.
Historischer Exkurs – Ein Herzog mit Geschäftssinn: Herzog Peter von Kurland erlebte alle Höhen und Tiefen, die sich in einem Leben unter der Allmacht der russischen Herrscher ergeben können: Auf eine glanzvolle Jugend folgten eine Zeit der Verbannung mit seinem Vater und 1795 seine durch die russische Krone erzwungene Abdankung und Aufgabe des Herzogtums Kurland. Seit 1769 war er Herzog von Kurland. Zwei Ehen wurden kinderlos geschieden. Erben erhoffte er sich von seiner 1779 geschlossenen Ehe mit Anna Dorothea von Medem. Sein Verhältnis zum kurländischen Adel war geprägt von fortlaufenden Auseinander-setzungen. Durch den Herzogtitel erhielt er Zugang zu den wichtigsten europäischen Adelshäusern, besonders zum Königshof in Berlin. Der Herzog galt als geschäftstüchtig und kunstsinnig. In seiner Residenz in Mitau versammelte er Künstler und Gelehrte und gründete ein akademisches Gymnasium. Er blieb auch nach seiner Abdankung einer der reichsten Männer Europas. Frühzeitig investierte er im Ausland, um Frau und Töchter abgesichert zu wissen. Unter anderem erwarb er Immobilien, wie 1785 das Schloss Friedrichsfelde und das Stadtpalais „Unter den Linden“ in Berlin. Schon 1786 kaufte er das Herzogtum Sagan mit der ausdrücklichen Genehmigung der weiblichen Erbfolge im Hinblick auf seine älteste Tochter Wilhelmine, außerdem die Güter Nachod und Ratiborschitz in Böhmen.
Das Museum Burg Posterstein beschäftigt sich seit fast dreißig Jahren intensiv mit der Geschichte Anna Dorothea von Kurlands, ist international bekannt für seine Forschungsarbeit und pflegt ein überregionales Netzwerk. Seit Jahren ist es im Kontakt mit dem lettischen Museum Schloss Rundāle. So initiierte das Museum Burg Posterstein beispielsweise die Wanderausstellung „Lebensstationen der Herzogin von Kurland“ und verband die historischen Orte in Europa, indem die Exposition nach der Eröffnung in Posterstein (2006) auch in Lettland (Schloss Ruhental 2008), Polen (Schloss Sagan 2009) und Frankreich (Schloss Valencay 2007) gezeigt wurde.
Bei ihrem diesjährigen Besuch im Altenburger Land führte das Museumsteam die kurländischen Kolleginnen und Kollegen zunächst mit Unterstützung der Kirchgemeinde Großstechau durch die dortige Kirche. Diese war die Hauskapelle Anna Dorothea von Kurlands. Sie besaß dort eine Ehrenloge und auch ihre Beerdigung wurde hier gefeiert. Nach einem kurzen Abstecher zum Schloss Löbichau, das in seiner historischen Substanz heute nicht mehr erhalten ist, ging es nach Tannenfeld und von dort aus nach Posterstein.
Unterwegs und in Posterstein ergab sich die Gelegenheit für fachlichen Austausch über beispielsweise neuste Forschungsergebnisse und gemeinsame zukünftige Projekte.
Die Ostereier-Schau, die wir bis 1. Mai 2023im Museum Burg Posterstein zeigen, enthält diesmal einige “Easter Eggs”, die sich auf unsere anderen Ausstellungen, Sammlungen und Forschungen beziehen. Für alle, denen der Begriff nicht so geläufig ist: Unter “Easter Eggs” versteht man versteckte Hinweise und Referenzen in künstlerischen Werken wie Filmen und Büchern, die sich auf andere Werke beziehen. In unserem Fall gibt’s in der Ausstellung mehr oder weniger unauffällige Andeutungen auf Ausstellungsthemen der ständigen Ausstellungen und der nächsten Sonderschau.
Die Ostereier-Schau auf Burg Posterstein
Die Ostereier-Schau „Wenn die Osterglocken läuten“ holt von 1. April bis 1. Mai 2023 den Frühling in die Burg Posterstein. Die Sonderschau zeigt in einem Raum hunderte, von Peter Rehfeld in verschiedenen Techniken gestaltete Ostereier aus der Sammlung des Museums und stellt sie Frühlingsgedichten gegenüber. Die Gedichte schrieben Autorinnen und Autoren, die in der ständigen Ausstellung des Museums eine Rolle spielen.
Was haben Jean Paul, Theodor Körner und Hans Fallada gemeinsam?
In der Ostereier-Schau treffen Besucherinnen und Besucher auf Gedichte von Theodor Körner, Jean Paul, Hans Wilhelm von Thümmel, Elisa von der Recke und Christoph August Tiedge, die allesamt Gäste im Salon der Herzogin von Kurland in Löbichau waren. Auch ein Gedicht, wenn auch kein fröhliches, von Hans Fallada, dem das Museum ab 14. Mai 2023 eine Ausstellung widmet, ist dabei.
Alle Schriftsteller eint, dass sie zu Lebzeiten Gast, vorrübergehend wohnhaft oder beheimatet im heutigen Altenburger Land waren und in der ständigen Ausstellung des Museums Erwähnung finden.
Das Patenkind der Herzogin Dorothea: Theodor Körner
Im Frühling
1810
Morgenduft! Frühlingsluft! Glühend Leben, Muthige Lust, Freudiges Streben In freudiger Brust! Hinauf, hinauf Auf der lichten Bahn Dem Frühling entgegen!
Auf allen Fluren Der Liebe Spuren, Der Liebe Segen. Wälderwärts Zieht mich mein Herz, Bergaus, bergein, Frei in die Welt hinein, Durch des Tages Gluth, Durch nächtlich Grausen!
Jugendmuth Will nicht weilen und hausen. Wie alle Kräfte gewaltig sich regen, Mit heißer Sehnsucht spät und früh, Dem ewigen Morgen der Liebe entgegen, Entgegen dem Frühling der Phantasie!
Aus: Theodor Körner: Gedichte, in: Theodor Körner‘s Werke. Vollständigste Ausgabe mit mehreren bisher ungedruckten Gedichten und Briefen, Berlin 1890.
Theodor Körner (1791–1813) weilte häufiger in Löbichau als Gast seiner Patin, der Herzogin Dorothea von Kurland. Er studierte in Leipzig und Wien, wo er am Burgtheater arbeitete. Bekannt wurde er als Dichter der Befreiungskriege, in denen er 1813 starb. Der Maler Ernst Welker, von dem unsere Podcast-Folge Nummer 9 erzählt, zeichnete sein Grab. Auch Welker war – wenn auch später als Körner – in Löbichau.
Die Halbschwester der Herzogin: Elisa von der Recke
Ebenfalls eine Taufpatin Theodor Körners war die Schriftstellerin Elisa von der Recke (1754–1833), die Halbschwester der Herzogin Anna Dorothea von Kurland. Sie schrieb unter anderem folgendes Frühlingsgedicht:
Frühlingslied
Sieh, der Frühling lacht uns wieder; Bunt geschmückt sind Hain und Flur; Laut erschallen seine Lieder Von den Sängern der Natur; Lichte Silberwolken mahlen Schön sich auf des Himmels Blau, Und die Pracht der Sonnenstrahlen Schmückt mit Glanz die Blumenau‘. Reiche Saat wogt auf den Feldern, Wie ein grünes Wellenmeer; Auf den Bergen, in den Wäldern Lacht um uns die Freude her; Jeder neue Tag entfaltet Neuen Blüthenschmuck der Flur; Und die Schönheit, die veraltet, Wird ein Segen der Natur. Schnell auch welkt der Jugend Blüthe, Gleich dem holden Lenz, dahin! Weisheit, zarte Seelengüte, Sind ein bleibender Gewinn. Lerne du von Mutter Erde, Wie sie Lenz und Sommer braucht! Daß zur Frucht die Blüthe werde, Darum wird ihr Schmuck enthaucht.
aus: Gedichte der Frau Elisa von der Recke, gebornen Reichsgräfin von Medem / hrsg. von C. A. Tiedge. Mit Compositionen von Himmel und Naumann, Halle 1806.
Der ständige Begleiter Elisa von der Reckes: Christoph August Tiedge
Gemeinsam mit dem Schriftsteller Christoph August Tiedge (1752–1841) verbrachte Elisa von der Recke so manchen Sommer in Löbichau. Auch er widmete dem Frühliung Gedichte:
Frühlingslied
Auf die Erde gießt der Himmel Seinen wärmern Sonnenschein, Und ein fröhliches Gewimmel Junger Kräfte rauscht im Hain. Hohe Siegeslieder singend, Winkt die blühende Natur, Ihren vollen Thyrsus schwingend, Dich auf ihre grüne Flur. In den klaren Aether tauchen Sich die Lüft‘, und schwärmen dann Durch die Wiese hin, und hauchen Sanft das erste Veilchen an. Dieses Kind der wärmern Lüfte, Zart und freundlich, wie dein Scherz, O, das Veilchen, Minna, düfte Seine Stille dir ins Herz! Um die frühe Philomele Flattert reges Laubgewühl; Sie erweck‘ in deiner Seele Das melodische Gefühl, Welches in der holden Güte In der Graziengestalt Deiner zarten Lebensblüte Leis‘ und lieblich wiederhallt.
Aus: An Minna von B., 1788, in: Elegien und vermischte Gedichte von C. A. Tiedge, Erstes Bändchen, Halle in der Rengerschen Buchhandlung 1803.
Ab 1804 lebte Christoph August Tiedge mit Elisa von der Recke abwechselnd in Halle und Berlin oder reiste mit ihr durch Deutschland, die Schweiz und Italien.
Der Minister vom Nachbar-Rittergut: Hans Wilhelm von Thümmel
Zu den ständigen Löbichauer Gästen zählte der Geheime Rat und Minister Hans Wilhelm von Thümmel, dem das benachbarte Rittergut Nöbdenitz gehörte. Auch ihm widmeten wir bereits eine Podcast-Folge.
Thümmel wählte die 1000-jährige Eiche von Nöbdenitz zu seiner außergewöhnlichen Grabstätte. Zu Lebzeiten soll er in der Eiche Aphorismen verfasst haben. Frühlingsgedichte aus seiner Feder sind uns nicht bekannt, aber einer seiner Aphorismen hat den Weg in die Ostereier-Schau gefunden:
Aphorismus Nr. 140
Wer für die melodische Stimme des Waldes kein Ohr, wer für die Reize der Natur nur ein flüchtiges Auge, wer bei Erblickung des strotzenden Fruchtbaums und bei den grünenden Saaten, die Reiche und Arme sättigen, keine dankbare Zunge, wer für Millionen duftender Blumen und Kräuter ur stumpfe Nerven hat, der besitzt zwar Thiergefühl, aber keine Empfindung: er mag im Sumpfe ekler Zerstreuung sein Leben hinhauchen.
Aus: Hans Wilhelm von Thümmel: Aphorismen aus den Erfahrungen eines Sieben und Siebzigjährigen, Altenburg 1821.
Der Sommergast der Herzogin: Jean Paul
Einen Sommer verbrachte der bekannte Dichter Jean Paul (1763–1825) auf besondere Einladung der Herzogin von Kurland in Löbichau, wo er die dort herrschende Sprechfreiheit lobte. Davon erzählt unsere Podcast-Folge 1, in der wir Jean Pauls Besuch aus Sicht der Herzogin erzählen. Demnächst (Mai 2023) behandelt Folge 11 des Podcasts noch einmal diesen Besuch aus Sicht des Dichters.
Auch Jean Paul ist nicht für Frühlingsgedichte bekannt. Aber wir zitieren gern eine Stelle aus seinem “Titan”:
Wenn der Mensch vor dem Meere und auf Gebirgen, und vor Pyramiden und Ruinen, und vor dem Unglücke steht und sich erhebt, so strecket er die Arme nach der großen Freundschaft aus. – Und wenn ihn die Tonkunst und der Mond, und der Frühling und die Freudenthränen sanft bewegen, so zergeht sein Herz und er will die Liebe. – Und wer beide nie suchte, ist tausend Mal ärmer, als wer beide verlor.
Aus: Titan, Erstes Bändchen, in: Jean Pauls sämmtliche Werke, XXI, Fünfte Lieferung, Erster Band, Berlin 1827, S. 142.
Der Patient und Lehrling: Rudolf Ditzen
Nicht Gast im Salon der Herzogin von Kurland war der letzte Dichter, den die Sonderschau zitiert, denn er kam erst hundert Jahre später in unsere Gegend. Rudolf Ditzen (1893–1947), der später weltbekannte Schriftsteller Hans Fallada, verbrachte in seiner Jugend, längere Zeit in der Nervenheilanstalt in Tannenfeld. Diese war Jahrzehnte nach der Zeit des Löbichauer Salons im ehemaligen Schlosspark Tannenfeld entstanden. In der ländlichen, idyllischen Umgebung verfolgte der Arzt Dr. med. Arthur Tecklenburg dort ein modernes Klinikkonzept.
In dieser Umgebung verbesserte sich Rudolf Ditzens Zustand sichtlich, auch wenn das hier zitierte Gedicht noch von seiner schweren Depression in Folge seines missglückten Doppelselbstmords zeugt:
Tannenfeld
Vielleicht ist Park hier nichts so sehr wie Leid, Vielleicht ist Baum ein hingeschluchztes Wort, Und jedes Blatt ist einer Schwermut Kleid, Darinnen Lust wie Leid erstickt verdorrt. Vielleicht führt jeder Weg zum Irrsinn hin, Vielleicht ist Teich ein tief erweinter Schmerz, Und jedes Haus steht stets im Dunkel drin, Und nichts ist stumm, eh’s nicht zu Boden fällt Nur Ding ist tot und dies vielleicht auch nicht, Es wehrt sich auch und schreit sein tiefstes Leid, So schreit auch Mensch in Schmerzen jederzeit, Bis man ihm schließlich dunkle Kränze flicht.
Aus: Rudolf Ditzen (Hans Fallada) aus seiner Krankenakte
Nach seiner Entlassung absolvierte der junge Mann auf dem Rittergut Posterstein eine landwirtschaftliche Ausbildung. Anlässlich seines Geburtstags zeigt das Museum Burg Posterstein von 14. Mai bis 12. November 2023 die Ausstellung „Hans Fallada – Familienbilder. Wie aber bestehe ich vor Dir, sehr liebe Verwandtschaft –?!“ der Hans-Fallada-Gesellschaft. Diese schöpft aus den umfangreichen Beständen des Hans-Fallada-Archivs und rückt Erinnerungen, Briefe und Fotos der Familie Ditzen in den Mittelpunkt. In Posterstein zu sehen sein wird eine Kabinett-Ausstellung in einem Raum, die bewusst einen Schwerpunkt auf Rudolf Ditzens Jahre in Tannenfeld und Posterstein legt. Zur Ausstellung wird es ein umfangreiches Begleitprogramm geben.
Nach einer längeren Pause, in der unsere Podcast-Folgen live im Museum stattgefunden haben, gibt es nun Folge 8, die sich einer bekannten Salonnière widmet: Henriette Herz. Die Historikerin Franziska Huberty aus dem Museum Burg Posterstein stellt die geistreiche Dame wie gewohnt zunächst vor und lässt sie im Anschluss in eigenen Worten sprechen. Henriette Herz und die Herzogin Anna Dorothea von Kurland lernten sich über ihren gemeinsamen Bekannten Leopold Friedrich Günther von Goeckingk kennen. Nach einigem Zögern wurde Henriette Herz Englischlehrerin der jüngsten Tochter der Herzogin von Kurland und somit ein Teil des Berliner Salons der Herzogin. Einen Einblick in diesen gab es übrigens bereits in Folge 7 und Folge 5.
Den Titel der Folge spricht diesmal Gunter Auer – vielen Dank! Wie immer können Sie diese Folge als Blogpost lesen oder als Podcast anhören:
Nach unserer letzten weihnachtlichen Episode aus der Feder Gustav Partheys (1798–1872) bleiben wir auch in dieser Folge im winterlichen Berlin der 1810er Jahre und wollen heute eine Frau ins akustische Scheinwerferlicht rücken, die wir schon in der letzten LeseZEIT kurz kennengelernt haben: Die berühmte Schriftstellerin und Salonnière Henriette Herz (1764–1847).
Henriette Herz – Begründerin des ersten Berliner Salons
Henriette Herz gilt als Begründerin des ersten Berliner Salons und als Pionierin bei der Etablierung der Salons in Berlin und in ganz Deutschland. Unter ihrem Dach versammelte sie Berühmtheiten wie den Bildhauer Gottfried Schadow (1764–1850), Wilhelm (1767–1835) und Alexander von Humboldt (1769-1859), Friedrich Schleiermacher (1768–1834), August Wilhelm (1767–1845) und Friedrich Schlegel (1772–1829), Rahel Varnhagen von Ense (1771–1833), Friedrich Gentz (1764–1832), Jean Paul (1763–1825) oder David Friedländer (1750–1834). Doch wie immer von vorn!
Henriette Julie Herz wurde 1764 als älteste Tochter des jüdischen Arztes und Leiters des jüdischen Krankenhauses in Berlin, Benjamin de Lemos (1711–1789), und seiner zweiten Ehefrau Esther (1742–1817), einer geborenen Charleville, in Berlin geboren. Ihre Eltern ließen ihr eine umfangreiche, private Ausbildung zukommen. So wurde die junge Henriette zuerst bei Freunden der Familie unterrichtet, wo sie auch Klavierstunden erhielt. Später kam ein Privatlehrer ins Elternhaus. Dabei zeigte sie eine besondere Begabung für Sprachen und so erhielt sie zuerst Unterricht in Französisch, Englisch, Latein und Hebräisch. Später fügte Henriette Herz ihren zahlreichen Sprachkenntnissen noch Italienisch, Portugiesisch, Dänisch, Türkisch, Malaiisch und Sanskrit hinzu.
1777, mit zwölf Jahren, wurde Henriette mit den jüdischen Arzt Marcus Herz (1747–1803) verlobt. Zwei Jahre später folgte die Hochzeit. Der Drang nach Wissen verband das Paar. In ihren Häusern in der Spandauer Straße und ab 1795 in der Neuen Friedrichstraße 22 etablierten sie einen Doppelsalon, der sowohl den wissenschaftlich-philosophischen Kreis um Marcus Herz, als auch den literarischen-künstlerischen Zirkel um Henriette Herz umfasste. Dort trafen Juden und Nichtjuden, Adlige und Bürger, Männer und Frauen, Dichter, Politiker, Beamte und Geschäftsleute zum freien Gedankenaustausch aufeinander, völlig unabhängig von Rang und Stand, Religion oder Geschlecht.
Nach dem Tod ihres Mannes 1803 und dem damit verbundenen Wegfall der Einnahmen aus dessen Praxis, sah sich Henriette Herz gezwungen, ihre Gesellschaften einzuschränken. Sie zog in ein kleineres Haus in die Markgrafenstraße 59. Auf den Vorschlag des Lyrikers und Finanzrats Leopold Friedrich Günther von Goeckingks (1748–1828) hin wurde sie nach einigem Zögern Englischlehrerin für die jüngste Tochter der Herzogin von Kurland und so ein Teil des Berliner Salons der Herzogin.
1810 reiste sie nach Dresden und erfüllte sich dort einen lang gehegten Traum: Sie lernte Goethe, dessen Werke sie sehr verehrte, persönlich kennen.
1817 starb ihre Mutter. Daraufhin ließ sich Henriette Herz taufen und konvertierte zum Christentum. Ihre späteren Jahre sind von Reisen geprägt, u.a. nach Venedig, Florenz und Rom. 1828 diktierte sie ihrem Freund und dem Herausgeber unserer heutigen LeseZEIT-Lektüre, Julius Fürst (1805–1873), ihre Erinnerungen an ihre Salontätigkeit. Am 22. Oktober 1847 starb Henriette Herz mit 83 Jahren in Berlin.
Für alle Neugierigen unter Ihnen, liebe Zuhörende, empfehle ich als kurze, einführende Lektüre zum Leben der Henriette Herz, deren Biografie auf der Website haskala.net der Universität Potsdam. Dieses Online-Lexikon über die jüdische Aufklärung enthält interessante Beiträge, unter anderem den sehr gut recherchierten Abschnitt über diese einzigartige Salonnière.
Leben und Erinnerungen der Henriette Herz
Nun wollen wir Henriette Herz aber selbst zu Wort kommen lassen! Um dem Hauptforschungsthema des Museums Burg Posterstein die Ehre zu geben, richten wir den Blick auf die Beziehung zwischen Henriette Herz und der Herzogin Anna Dorothea von Kurland, was Sie, liebe Zuhörende, natürlich nur dazu animieren soll, auch den Rest dieses interessanten Buches zu verschlingen.
Göckingk war es, welchem ich die Bekanntschaft der trefflichen Herzogin von Kurland verdankte, die Bekanntschaft mit ihm aber verschaffte mir eine Reise nach Leipzig, auf welcher ich wenige Jahre nach meiner Verheirathung eine unserem Hause befreundete Familie begleitete, – denn mein Mann konnte seiner großen ärztlichen Praxis halber sich nicht wohl von Berlin entfernen – und deren eigentlicher Zweck ein Ausflug war, welchen ich von dort aus auf dessen Wunsch nach Halle machen sollte, damit sein Lehrer und Freund Goldhagen mich kennen lerne. Ich erfüllte diesen Wunsch, und es wurde mir bei dieser Gelegenheit in Halle zugleich die Bekanntschaft zweier vielgenannter, aber sehr verschiedenartiger Menschen, des Romandichters Lafontaine, damals noch ein sehr junger Mann, und des mehr berüchtigten als berühmten Theologen Bahrdt. […]
Die befreundete Familie aber, mit welcher ich nach Leipzig gereist war, bestand aus dem Juwelenhändler Levin, seiner Frau, und ihrer Tochter Rahel, später Frau von Varnhagen. Der Vater war der geistreichste und witzigste Despot den man denken kann, und eben deshalb der verletzendste. Aber darum kümmerte er sich wenig, denn in der That war seine größte Lust die an der Unlust. Sein Wille war sein höchstes Gesetz, und unter diesem eisernen Willen litt seine ganze Familie; doppelt aber Rahel, welche auch das Leid mitlitt, welches ihre gute, sanfte, doch etwas geistesbeschränkte Mutter traf. Das etwa fünfzehnjährige Mädchen war in Folge dieser Verhältnisse wirklich sehr unglücklich. Denn neben dem Geiste und der Freiheitsliebe, welche sie schon damals vor allen Mädchen ihres Alters auszeichneten, war sie auch durch ein fühlendes Herz hervorragend, wie sie mir denn überhaupt immer als die schlagendste Widerlegung der Behauptung erschienen ist, daß Herzensgüte nicht neben einem scharfen und kritischen Verstande bestehen könne. Sie war von der regsten Theilnahme für die Ihrigen und für ihre Freunde, und diese Theilnahme war um so wohlthuender und wirksamer, als Rahel tief in die Geschichte der Herzen eindrang. Hülfreich war sie bis zur größten Selbstaufopferung, und dies von jenen frühen Jahren an bis zu ihrem Lebensende.
Der Vater war reich. Er machte in Berlin auf gewisse Weise ein Haus, denn er sah viele Leute bei sich, aber es waren größtentheils Schauspieler, ein Umstand, der auf manche Lebensansichten der Kinder nicht ohne Einfluß blieb. Auch hier in Leipzig lebten wir auf anständigstem Fuße. Wir speisten in den ersten Hotels, und öfter auch in Auerbachs Keller, welcher damals ein von der besten Gesellschaft besuchtes Lokal war, ja wo man sich einfinden mußte, weil es zum guten Ton gehört. Ich glaube, daß ich damals in der That schön war. Hatten sich schon in Halle die Studenten haufenweise meinem Fenster gegenüber versammelt, so konnte es mir nicht minder verborgen bleiben, daß ich in Leipzig große Aufmerksamkeit erregte, ja dienstfertige Seelenverderber sagten mir später, man sei des Morgens eigens nach Auerbachs Hof gegangen, um mich zu sehen, weil ich dann gewöhnlich dort zu finden war.
Ich lernte auf diese Weise viele Leute äußerlich kennen, aber es knüpften sich hier auch zwei Freundschaftsverhältnisse an, die mir für das Leben blieben. Das eine mit dem feinen, geistreichen und vielseitigen Schweden Gustav von Brinkmann, einem Altersgenossen von mir, daß andere mit dem viel älteren Göckingk, welches aber schon deshalb ein viel innigeres wurde, weil ich länger mit ihm als mit Jenem an demselben Orte lebte, und wir uns zu Zeiten fast täglich sahen.
Man darf sich das Aufsehen, welches Göckingk in der Zeit vor dem Auftreten der Koryphäen unserer Dichtkunst bei dem gebildeten Publikum erregte, nicht als ein geringes denken. Die gewandte Form und die Tiefe und Zartheit der Empfindung in seinen „Liedern zweier Liebenden“ hatten sie mir nicht weniger als der ganzen Lesewelt jener Zeit werth gemacht, und seine damals berühmten „Episteln“, in welchen Feinheit und Beobachtungsgabe mit Gefühl und Anmuth wetteiferten, mich geradehin entzückt. Ich hatte mir immer seine Bekanntschaft gewünscht, und nun wurde sie mir durch ein zufälliges Zusammentreffen. Und wunderbar! – ich war gewohnt, mir ein Bild von der Persönlichkeit mir interessanter Menschen zu machen, und nie fand ich es der Wirklichkeit entsprechend wenn ich sie später kennen lernte; ihn allein hatte meine Phantasie mir ganz entsprechend gebildet. Deshalb stand er mir auch vom ersten Augenblicke an näher, als es sonst bei neuen Bekannten der Fall ist. […]
Die Herzogin von Kurland hielt sich Anfangs dieses Jahrhunderts im Winter in der Regel in Berlin auf, und im Jahre 1803 machte mir Göckingk den Vorschlag, ihre jüngste Tochter im Englischen zu unterrichten. Meine pekuniäre Lage machte mir zu jener Zeit, wo die Pensionen aus der Wittwenkasse noch pünktlich gezahlt wurden, diesen Schritt nicht zu einer Nothwendigkeit, und ich war daher wenig geneigt ihn zu thun. Aber Göckingk hatte sehr richtig bemerkt, daß meine geselligen Verhältnisse, welche zu Lebzeiten meines Mannes eine seltene Ausdehnung hatten, nach dessen Tode beschränkter geworden waren, weil sowohl Schicklichkeit als das Versiegen der reichen Einnahmen, welche Dieser aus seiner ärztlichen Praxis gezogen hatte, mir nicht mehr erlaubten, wie bis dahin, selbst ein bedeutendes Haus zu machen, während doch, wie ich nicht läugnen will, und bei der Art der Gesellschaft in welcher ich mich stets bewegte zu läugnen nicht Ursache habe, das Leben in der Gesellschaft mir ein Bedürfnis geworden war. Er legte daher einen besonderen Accent auf die schönen geselligen Verhältnisse, in welche ich durch meine Einführung in das Haus der Herzogin treten würde, und besiegte so sehr bald meinen Widerstand.
In der That kann man sich die Annehmlichkeiten, welche das Haus der Herzogin in dieser Hinsicht bot, nicht groß genug denken. Schon die liebenswürdige, geistvolle Dame des Hauses hätte es zu einem anziehenden machen müssen. Aber die Herzogin war die erste Frau so hohen Standes, und ist vielleicht die einzige in Berlin geblieben, welche die Ansicht, daß in der Gesellschaft der Geringste dem Stande nach dem Höchsten gleichzusetzen sei wenn er den Erfordernissen einer höheren Geselligkeit entspreche, praktisch durchführte, und überhaupt so durchzuführen im Stande war. Denn es war hierzu erforderlich, daß das Haus von Jemandem gemacht wurde, welcher die höchsten Personen zu sich einzuladen berechtigt war. Und dennoch gehörte die Unabhängigkeit, die Energie, der Geist und die taktvolle Humanität der Herzogin dazu, um nicht an dem Unternehmen zu scheitern, und läugnen läßt es sich bei alledem nicht, daß es ihr von manchem eifrigen Kämpfen für das Althergebrachte Anfechtungen und Verkennung genug zugezogen hat. Aber sie hat sich durch dessen Durchführung nicht bloß um die geselligen Verhältnisse Berlins, sondern weit über diese hinaus um die Förderung der Achtung wahren Menschenwerthes Seitens der äußerlich Höhergestellten ein großes Verdienst erworben. Diese Letzteren, und namentlich der weibliche Theil derselben, welche bis dahin selten Personen, welche außerhalb der Hoffähigkeit standen, in engeren Kreisen gesehen hatte, lernten nun auch diese, befreit vom Zwange einer geistbeengenden Etikette kennen, ja sie, die sich bis dahin im außschließlichen Besitze seiner geselligen Formen geglaubt hatten, mußten sich gestehen, daß Geist und Urbanität im Verein sich auch hier zugleich natürlichere, wohlthuendere, mannigfaltigere und bedeutungsvollere zu schaffen wissen. Einladungen an Personen der höchsten Stände waren der Herzogin nie ein Grund, Niederergestellte, welche zu ihrem geselligen Kreis gehörten, uneingeladen zu lassen. Man speiste Abends stets an verschiedenen Tischen, und es herrschte völlige Zwanglosigkeit hinsichts der Plätze welche die Gäste einnehmen wollten, aber mit großer Feinheit wußte die edle Wirthin doch auch hier eine ihr erwünschte Mischung der Stände zu bewirken. So erinnere ich mich öfter meinen Platz am Tische neben der liebenswürdigen Prinzessin Louise von Preußen, Gemahlin des Fürsten Radzivil, gehabt zu haben. – Daß man in diesem Hause zugleich die höchsten geistigen Notabilitäten fand, darf ich wohl kaum versichern.
Der Frau von Staël verhalf ihre Einführung bei der Herzogin zur schnellen Bildung eines geselligen Kreises für ihr Haus. Sie wählte eben die Personen dazu, welche sie im kurländischen Palaste kennen gelernt hatte. […]
Die Herzogin von Kurland hätte bei aller hohen Weiblichkeit Energie genug gehabt, um ein großes Reich zu beherrschen, und ihr politischer Blick machte zuweilen den Gedanken rege, daß eine solche Bestimmung eine ihr angemessene gewesen wäre. Schon als sie eine Frau in den Zwanzigern war, hatten die Stände Kurlands gewünscht, daß sie die Regentschaft übernehme, und an ihr lag es nicht wenn der Herzog, ihr Gemahl, nicht in besserem Einvernehmen mit diesen Ständen war, denn trat ein Solches vorübergehend ein, so hatte eben sie es durch oft schwierige Unterhandlungen vermittelt. Um so höher hatte man die Anspruchslosigkeit der hochbegaben Frau zu schätzen, welche in ihrem Hause nur bestrebt schien, die freundliche Förderin einer schönen Geselligkeit zu sein.
Von ihren Töchtern, alle vier anmuthig und geistreich, mochte vielleicht die Prinzessin Dorothea, später Herzogin von Dino, die hervorragendste gewesen sein. Auch sie war, gleich ihren Schwestern, hübsch, und man hätte an ihrem Gesichte höchstens aussetzen können, daß ihre oberen Zähne etwas hervorstanden. Dieser reichbegabten Prinzessin wurde nun das Loos, einem wenig bedeutenden Manne vermählt zu werden. Denn dafür galt Graf Edmund Talleyrand schon als zuerst von ihrer Verbindung mit ihm die Rede war, und es fehlte daher schon damals nicht an Einwendungen gegen die Partie. Es war deshalb auch nicht zu verwundern, daß die junge Frau sich bald dem geistvollen Oheim ihres Gatten zuwendete, der sie verstand, wie anderseits ihre Anmuth und ihr Frohsinn geeignet waren, dem mehr witzigen als heitern Staatsmanne das Leben zu verschönen.“
Bis 1806 verkehrte Henriette Herz nach ihren eigenen Schilderungen oft im Kurländischen Palais in Berlin. Kontakte unterhielt sie u.a. auch zu Elisa von der Recke (1754–1833), der Schwester Dorothea von Kurlands, und zur Familie Körner, deren berühmter Sohn Theodor (1791–1813) der Patensohn der Herzogin von Kurland war.
Henriette Herz: Bis heute unvergessen
Noch heute wird das Andenken an Henriette Herz und ihre Pionierarbeit für die Salonkultur in Deutschland hoch geschätzt. Ihre letzte Ruhestätte auf dem Friedhof II der Jerusalems- und Neuen Kirche vor dem Halleschen Tor in Berlin ist ein Ehrengrab der Stadt Berlin. Und am 7. April 2000 erhielt ein Platz nahe des Hackeschen Markts in Berlin den Namen Henriette-Herz-Platz.
Und damit soll unsere erste LeseZEIT-Folge im Jahr 2023 enden. In unserer nächsten LeseZEIT-Folge mit Geschichte und Geschichten aus dem Museum Burg Posterstein bleiben wir der Zeit um 1800 aber treu und begeben uns akustisch auf Reisen durch Deutschland, Österreich und Italien. Bleiben Sie also gespannt!
Informationen zu unseren Ausstellungen erhalten Sie wie gewohnt auf unserer Website www.burg-posterstein.de und natürlich wie immer auch im Blog. Bis zum nächsten Wiederhören!
Von Franziska Huberty (Text und Sprecherin) und Marlene Hofmann (Schnitt)
Der Maler Ernst Welker erhielt schon während seines Studiums an der Wiener Akademie der Bildenden Künste Auszeichnungen für seine Landschaftsmalereien. Bis ins hohe Alter lebte er von seiner Kunst, stellte aus und verkaufte seine Werke zu beachtlichen Preisen. Mit befreundeten Malern wie Johann Christoph Erhard, Johann Adam Klein und den Brüdern Friedrich Philipp Reinhold und Heinrich Reinhold aus Gera begab er sich auf künstlerische Expeditionen nach Salzburg und Berchtesgaden oder in die nähere Umgebung Wiens. Ernst Welker war Lützower Jäger an der Seite Theodor Körners und zeichnete dessen Grab. Mehrere Jahre beschäftigte ihn die Herzogin Wilhelmine von Sagan als Zeichenlehrer und Gesellschafter für ihre Pflegetöchter – darunter die spätere Schriftstellerin Emilie von Binzer. In Gesellschaft der Herzogin von Sagan hielt er sich auf deren schlesischen Gütern Sagan und Ratiborschitz auf und verbrachte den Sommer auf Schloss Löbichau im Salon der Herzogin von Kurland, der Mutter Wilhelmine von Sagans. In Löbichau porträtierte er die anwesenden Gäste als Fabelwesen, halb Mensch, halb Tier oder Gegenstand – diese Aquarelle befinden sich heute in der Sammlung des Museums Burg Posterstein und sind auch in der Europeana zu sehen. Von 1821 an weilte Ernst Welker mehrere Jahre in Italien. Man kann davon ausgehen, dass er sich im Kreis der deutsch-römischen Künstlerkolonie bewegte und namhafte Künstler seiner Zeit persönlich kannte. Im Gefolge Wilhelmine von Sagans reiste er bis Neapel, wovon seine Aquarelle zeugen.
Und trotz alledem blieb Ernst Welker bisher von der Forschung weitgehend unbeachtet. Bis zum Erscheinen der neuen Publikation „Sehnsuchtsziel Italien – Der Maler Ernst Welker auf Reisen und im Salon der Herzogin von Kurland“ des Museums Burg Posterstein stand Ernst Welker noch nie im Mittelpunkt eines Buchs. Viele Kunstkataloge erwähnen ihn lediglich nebenbei. Dabei sind bereits zeitgenössischen Publikationen Fehler unterlaufen – beispielsweise hinsichtlich des korrekten Geburtsortes (Gotha), dem genauen Geburtsjahr (1784), der familiären Herkunft (Sohn des Sachsen-Gotha-Altenburgischen Archivars Philipp Friedrich Welker) und den genauen Reisezielen Welkers (er war vermutlich nie im Nahen Osten). Seinen Lebensweg nachzuvollziehen, glich einer detektivischen Arbeit, die mit dem 2022 erschienenen Buch erst begonnen hat – und lange noch nicht abgeschlossen ist.
Welker porträtierte seine Arbeitgeberin als stolzes Ross
2014 gelang es dem Museum Burg Posterstein mit Unterstützung der Bürgerstiftung Altenburger Land sowie des Freistaats Thüringen, ein außergewöhnliches Konvolut an Zeichnungen anzukaufen. Die Rede ist von den Löbichauer Salongästen als Fabelwesen, die sich lange Zeit im Besitz von Emilie von Binzer befunden haben. Der Salon der Herzogin von Kurland in Löbichau, das nur wenige Kilometer von Posterstein entfernt liegt, ist eines der wichtigsten Forschungsthemen des regionalgeschichtlichen Museums Burg Posterstein. Der Sammlungsteil Salongäste als Fabelwesen besteht aus 47 Aquarellen mit namhaften Löbichauer Gästen und zwei Skizzen, die alle in einer grünen Halblederkassette aufbewahrt wurden. Sie sind bereits digitalisiert und in der Europeana und auf Wikimedia Commons frei zugänglich und nutzbar. (Weitere Infos zur Sammlung Welker)
Die Salongäste der Herzogin von Kurland stellte Ernst Welker als humorvolle Fabelwesen dar. Unter den so Porträtierten befinden sich nicht nur die Herzogin Anna Dorothea von Kurland selbst (dargestellt als treuer Pudel) sowie Welkers Arbeitsgeberin Wilhelmine von Sagan (als stolzes Ross), sondern auch der Sachsen-Gotha-Altenburgische Herzog August (als eitler Pfau – dieses Bild ist derzeit nicht in Posterstein, sondern in der Ausstellung „Luxus, Kunst und Phantasie – Herzog August von Sachsen-Gotha-Altenburg als Sammler“ im Herzoglichen Museum Gotha zu sehen), die Schriftstellerin Elisa von der Recke (als Tintenfass), der Dichter Christoph August Tiedge (als Lehnstuhl), der Archäologe Carl August Böttiger (als Statue) und der Jurist Paul Johann Anselm von Feuerbach (als Nagel). Jedes Aquarell ist mit einem Reim versehen. Emilie von Binzer bezeichnete diese Sprüche unter den Porträts als „Fibelverse“. Schon im 18. Jahrhundert verstand man unter einer Fibel ein bebildertes, mit einzelnen, zum jeweiligen Buchstaben passenden Bildmotiven versehenes Leselernbuch. Eine solche Fibel könnte die Vorlage für Welkers Porträts gebildet haben, denn auch hier gibt es in der oberen linken Bildecke jeweils einen Buchstaben in Groß- und Kleinschreibung – z.B. das „A, a“ des possierlichen Affen Graf Peter von Medem und das „Z, z“ des bunt gefleckten Zebras Gräfin Jeannette Bressler. Tatsächlich kommen alle 26 Buchstaben vor, einige sogar mehrfach. Das Bestreben, das gesamte Alphabet abzudecken, erklärt dann auch eher gewollt klingende Verse wie: „Schwer zu finden ist ein X, / Es fehlt nicht viel, so fanden wir nix.“, der zum Porträt des Staatsrats Christian Gottfried Körner als Scherenstuhl gehört.
Dass sich ein Zeichenlehrer solche Bilder erlauben durfte, die sehr wahrscheinlich in Löbichau gezeigt wurden, unterstreicht die Freiheit und Offenheit, die im Salon der Herzogin von Kurland herrschte. Auch der Dichter Jean Paul rühmte deren Salon in Löbichau für genau diese Redefreiheit und Offenheit. Sich selbst zeichnete Ernst Welker übrigens als Auster, versehen mit dem Spruch: „Die Auster ist von guter Art, das größte an ihr ist der Bart“.
Der zweite Teil der Postersteiner Sammlung Welker umfasst 13 Landschaftsbilder des Malers, die das Museum besitzt bzw. die über Dauerleihgaben an das Haus gebunden sind. Acht Aquarelle und ein Ölgemälde zeigen Landschaften. Bis auf ein Blatt sind alle Werke mit Welker; E. Welker; E.W.; Welker fec.; E. Welker fec.; und Ernst Welker fec. signiert.
Ergänzt wird der kleine Bestand durch Arbeiten von Johann Christoph Erhard, Johann Adam Klein, Johann Christian Reinhart und Carl Trost.
Zu verdanken ist die Kollektion zum Großteil dem Sammler Uwe Buchheim. Er fühlt sich dem Museum Burg Posterstein seit Jahren verbunden und ist Mitglied im Förderverein. Ihn beeindrucken die Forschungen und Ausstellungen zum Salon der Herzogin von Kurland, durch die er begann, sich mit dem Maler Ernst Welker zu beschäftigen. Er setzte sich nicht nur dafür ein, dass die Porträtsammlung Salongäste 2014 vom Museum erworben werden konnte, sondern sammelt seither selbst und stellt die erworbenen Werke dem Museum zur Verfügung. Dafür sind wir sehr dankbar.
Ausstellung und Buch „Sehnsuchtsziel Italien“
Die Sonderschau und das gleichnamige Buch „Sehnsuchtsziel Italien – Der Maler Ernst Welker auf Reisen und im Salon der Herzogin von Kurland“ zeigen nun erstmals alle diese Welker-Arbeiten. Auf 156 Seiten zeichnet das Buch das Leben des Malers anhand der Sammlungen und Forschungen des Museums nach.
Im Lauf der Arbeit daran stießen wir auf neue Informationen und weitere Werke Welkers in verschiedenen internationalen Sammlungen. Besonders freut uns, dass wir erstmals einen bisher noch nicht erschlossenen Teil der Sammlung Biron der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena aufarbeiten konnten. Es handelt sich unter anderem um Salonszenen, Porträts und Skizzen für die Postersteiner Sammlung von Porträts der Salongäste.
Welkers Arbeiten stellen wir im Buch Abbildungen von Werken seiner Malerkollegen gegenüber. Da Welker – außer seinen Zeichnungen – selbst kaum schriftliche Quellen hinterlassen hat, bleiben durchaus Lücken in der Biografie bestehen.
Welker wanted!
Wir möchten deshalb dazu aufrufen, Forschungsdaten zum Maler Ernst Welker zu sammeln und auszutauschen. Über Hinweise sind wir sehr dankbar. Einen Überblick über verschiedene Stationen in Welkers Leben und über Sammlungsbestände weltweit möchten wir auf unserer Website salon-europa.eu bündeln und langfristig pflegen. Über Ergänzungen freuen wir uns sehr.
Im Anschluss an die Ausstellung planen wir, die Wikipedia-Seite zu Ernst Welker durch die neuen Informationen zu ergänzen.
Von Marlene Hofmann
Zum Weiterlesen
Infos zur Ausstellung:
Sehnsuchtsziel Italien – Der Maler Ernst Welker auf Reisen und im Salon der Herzogin von Kurland, 17. Juli bis 13. November 2022, Museum Burg Posterstein
Infos zum Buch:
Sehnsuchtsziel Italien – Der Maler Ernst Welker auf Reisen und im Salon der Herzogin von Kurland Museum Burg Posterstein, 2022 156 Seiten, farbig Preis: 25,00 Euro
Eine neue, umfangreiche Würdigung der Herzogin Anna Dorothea von Kurland ist 2018 auf Lettisch und 2021 auf Französisch erschienen. Monika Diedrich aus Ponitz, ausgebildete Französischlehrerin und Mitglied des Museumsvereins Burg Posterstein, hat das 400 Seiten starke Werk ehrenamtlich ins Deutsche übersetzt.
Im Jahr 2018 hatte das Schlossmuseum Rundāle das Buch „Dievinātā Doroteja“ als späte Widmung zum 250. Geburtstag der Herzogin Dorothea von Kurland (1761-1821) auf Lettisch veröffentlicht. Im September 2021 erschien im französischen Verlag Lacurne anlässlich ihres 200sten Todestages nun eine französische Fassung dieser ausführlichen Würdigung der letzten Herzogin von Kurland. Verfasser ist der langjährige Direktor des Schlossmuseums Rundāle in Lettland, Dr. Imants Lancmanis. Die französische Ausgabe wurde um neue Fakten und Bilder erweitert. Die Übersetzung des Textes aus dem Lettischen ins Französische stammt von Dita Podskočija.
Monika Diedrich aus Ponitz, ausgebildete Französischlehrerin und Mitglied des Fördervereins Museum Burg Posterstein e.V., hat das opulente, über 400 Seiten umfassende Werk nun ehrenamtlich ins Deutsche übersetzt.
Lancmanis, einer der bedeutendsten lettischen Wissenschaftler und verdienter Kulturmanager, ist es gelungen, zahlreiche, bislang unveröffentlichte Abbildungen aus Museen und Privatsammlungen der ganzen Welt zusammenzutragen. Er benutzt Forschungsergebnisse aus Frankreich, Lettland, Tschechien und Deutschland.
Der Weg der letzten Herzogin von Kurland führte von Kurland nach Rom, Berlin, Paris und Wien. Und natürlich geht der Autor in seiner Biografie nicht nur darauf oder auf den gesellschaftlichen und politischen Einfluss der schönen, charmanten und reichen Herzogin ein, sondern er beschreibt auch ausführlich ihren Salon in Löbichau. Dabei würdigt Lancmanis ausdrücklich die Forschungen und Ausstellungen des Museums Burg Posterstein, die nach seiner Meinung wesentlich zum internationalen Verständnis und zur Kenntnis über die Herzogin beigetragen haben.
Vorerst kann man das schöne neue Buch und seine Übersetzung nur in der Museumsbibliothek in Posterstein benutzen. Wir möchten uns jedoch dafür einsetzen, dass das Werk auch auf Deutsch erscheinen kann. Das Gespräch darüber mit Imants Lancmanis und dem Schlossmuseum Rundāle dürfte leicht zustande kommen, denn der Museumsverein Burg Posterstein arbeitet schon seit den frühen 1990er Jahren mit dem lettischen Museum zusammen. Schon mehrmals fanden gegenseitige Austausche und Besuche statt. 2011 erschien die umfangreiche Postersteiner Biografie „Die Herzogin von Kurland im Spiegel ihrer Zeitgenossen“, zu der Imants Lancmanis neben weiteren, internationalen Autoren, zwei Kapitel beisteuerte. Das Buch ist im Museumsladen der Burg Posterstein erhältlich.
In der Weihnachtszeit möchten wir Sie in Folge 7 unseres Podcasts LeseZEIT mitnehmen in den Berliner Salon der Herzogin von Kurland. Anhand von Gustav Partheys Jugenderinnerungen reisen wir ins Jahr 1806 in die stimmungsvollen Räume des kurländischen Palais Unter den Linden.
Wie immer können Sie diese Folge als Blogpost lesen oder als Podcast anhören:
„Markt und Straßen stehn verlassen, Still erleuchtet jedes Haus, Sinnend geh ich durch die Gassen, Alles sieht so festlich aus.“
aus: “Weihnachten” von Joseph von Eichendorff (1788–1857)
Und mit diesen berühmten Worten aus der ersten Strophe des Gedichtes „Weihnachten“ des Lyrikers Joseph von Eichendorff (1788–1857) beginnt unsere weihnachtlich-winterlichen siebten Folge der LeseZEIT mit Geschichte und Geschichten aus dem Museum Burg Posterstein.
Passend zur Jahreszeit tauchen wir heute gemeinsam in eine winterliche Geschichte ein, die uns Gustav Parthey (1798–1872) in seinen Jugenderinnerungen beschreibt. Vielleicht erinnern Sie sich an unsere dritte LeseZEIT-Folge, in der wir schon einmal mit dem Altertumsforscher und Buchhändler Gustav Parthey (1798–1872) im Jahr 1812 von Berlin zur Herzogin von Kurland nach Löbichau reisten?
Heute wollen wir mit dem jungen Parthey einen Winter in Berlin verbringen und besuchen dabei auch die Herzogin Anna Dorothea von Kurland in ihrem Salon, den Sie seit 1805 im „kurländischen Haus“ führte. Dort, im Palais Unter den Linden Nummer 7, verbrachte Sie oft die Wintermonate. Das Haus wurde um 1734 erbaut und diente im 18. Jahrhundert u.a. Prinzessin Amalie, der Schwester Friedrichs II., als Wohnstätte. 1805 ging es in den Besitz der Herzogin Anna Dorothea von Kurland über. Während der französischen Besatzung Berlins unter Napoleon I. bewohnte der französische Stadtkommandant das Palais. 1837 verkaufte die jüngste Tochter der Herzogin von Kurland, Dorothée, das Haus an Zar Nikolaus I., der dort die Russische Botschaft zu Berlin einrichtete. Nach nationalsozialistischer Nutzung seit 1942 wurde das Kurländische Palais im Februar 1944 bei den alliierten Luftangriffen auf Berlin zerstört. An seiner Stelle befindet sich aber noch heute die Botschaft der Russischen Föderation in Berlin.
Da wir in der dritten Folge der Lesezeit unseren heutigen Autor Gustav Friedrich Konstantin Parthey bereits vorgestellt haben, möchte ich Ihnen an seiner statt, kurz die Protagonisten unserer heutigen Episode nennen. Zu einigen der Personen liefert Parthey selbst eine Erläuterung. Zu anderen möchte ich gern noch ein paar Worte verlieren.
Neben dem Erzähler Gustav, um dessen Erinnerungen aus Jugendzeiten es schließlich geht, treten dessen Eltern – Hofrat Friedrich Parthey (1745–1822), einstiger Gesellschafter der Herzogin von Kurland, und seine Frau Charlotte Wilhelmine (1767–1803), älteste Tochter des Buchhändlers Friedrich Nicolai, auf. Zudem wird Gustav fast immer von seiner Schwester Lili Parthey und seinem Pflegebruder Fritz begleitet.
Fritz von Piattoli (1800–1849) war der uneheliche Sohn Johannas, der dritten Tochter Dorothea von Kurlands. Sein Vater war der Musikdirektor Arnoldi aus Sagan. Im Alter von zehn Jahren wurde er von der Baronesse Julie Vietinghoff, einer Hofdame und Begleiterin der Herzogin von Kurland, adoptiert. Seit 1808 wurde Fritz schließlich als Pflegekind in die Familie Parthey aufgenommen und lebte bis 1818 in deren Haus.
Auf Seiten der Kurländer finden neben der Herzogin Dorothea selbst, auch ihre Töchter Wilhelmine, Pauline, Johanna – hier Jeanette genannt – und Dorothée – im Laufe der Geschichte gern als „Prinzeßchen“ bezeichnet – Erwähnung. Besonderes Augenmerk sollte hier auf Prinz Konstantin, den Sohn Paulines geworfen werden. Konstantin oder besser vollständig: Friedrich Wilhelm Konstantin Hermann Thassilo von Hohenzollern-Hechingen (1801–1869), war das einzige Kind des Fürsten Friedrich von Hohenzollern-Hechingen (1776–1838) aus dessen Ehe mit Prinzessin Pauline Biron von Kurland (1782–1845), der zweiten Tochter Dorotheas. Der Bericht Partheys bezieht sich auf die Jahre nach 1806. Noch in der Obhut der Mutter, müssen wir uns den Erbprinzen des Hauses Hohenzollern-Hechingen also im zarten Alter von sechs oder sieben Jahren vorstellen.
Zum krönenden Schluss soll noch Madam Herz hervorgehoben werden. Bei dieser Dame handelt es sich um keine Geringere als Henriette Julie Herz (1764–1847), die einen der bekanntesten jüdischen Salons in Berlin führte. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Arzt Marcus Herz (1747–1803), etablierte Henriette Herz einen Doppelsalon in ihrem Hause, der sowohl den wissenschaftlichen Kreis um ihren Mann, als auch ihren eigenen literarischen Zirkel umfasste. Nach dem Tod ihres Mannes musste Henriette Herz ihre Gesellschaften einschränken und schloss sich u.a. dem Kreis um Rahel Varnhagen an. Auf den Vorschlag des Lyrikers und Finanzrats Leopold Friedrich Günther von Goeckingks (1748–1828) wurde sie nach einigem Zögern Englischlehrerin für die jüngste Tochter der Herzogin von Kurland und so ebenfalls Teil der Gesellschaft Dorotheas in Berlin.
Nun aber genug der Vorrede! Kommen wir zum eigentlichen Höhepunkt: Ein Winterbericht mit weihnachtlichen Episoden aus der Feder Gustav Partheys.
„Einen grellen Gegensatz zu den dunkeln einförmigen Winterabenden beim Grosvater Nicolai bildeten die glänzenden Gesellschaften bei der Herzogin von Kurland, wohin mein Vater uns nur in sehr seltnen Fällen mitnahm, weil er den richtigen Grundsatz hatte, daß für einfache, bürgerlich erzogene Kinder eine solche fürstliche Pracht nichts tauge.
Die Herzogin hatte sich nach dem Tode des Herzogs in Deutschland niedergelassen; sie lebte den Winter in Berlin, den Sommer auf ihrem Landgute Löbichau bei Altenburg. Ihr Mann, der letzte Herzog von Kurland, hatte sich entschlossen, da sein einziger Sohn gestorben war, sein Herzogthum i. J. 1795 an Rußland zu verkaufen. Der Preis war auf eine Million Dukaten festgesetzt worden, allein nach dem Tode des Herzogs (i. J. 1800) gerieten die russischen Abzahlungen allmälig in’s Stocken; alle Reclamationen waren umsonst; im Wege des Prozesses blieb gar nichts zu erwarten, und so erhielten denn die Erben, wie ich dies später aus dem Munde der Herzogin selbst erfuhr, statt eines Dukaten nicht mehr als 17 Silbergroschen.
Schon früher hatte der Herzog in Deutschland große Güterankäufe gemacht; in Schlesien erwarb er das Herzogthum Sagan, in Böhmen die Herrschaft Nachod, in Sachsen das Landgut Löbichau. In Berlin besaß die Herzogin ein schönes Haus unter den Linden No. 7, das in meiner Jugend allein mit dem Namen des kurländischen Hauses bezeichnet wurde. Sie richtete sich darin auf das geschmackvollste ein, und versammelte einen Kreis von allen Berliner Notabilitäten um sich.
Von den vier Töchtern der Herzogin erhielt die älteste, Wilhelmine, das Herzogthum Sagan; sie war zuerst an den französischen Prinzen Rohan, dann an den russischen Fürsten Trubetzkoi verheirathet. Die zweite Tochter Pauline heirathete den regierenden Fürsten von Hohenzollern-Hechingen, die dritte, Jeanette, den neapolitanischen Fürsten Acerenza-Pignatelli. Die vierte Tochter Dorothea lebte bei ihrer Mutter; sie war im Jahre 1806, als wir Kinder anfingen in das herzogliche Haus zu kommen, 13 Jahre alt und von wunderbarer Schönheit. […]
Wir Kinder verkehrten bei der Herzogin meist in einem Zimmer neben dem Salon. Eines Abends belustigte uns Fritz durch die Nachahmung der verschiedensten Thierstimmen, worin er eine große Virtuosität besaß. Er krähte wie ein Hahn, bellte wie ein Hund und miaute wie eine Katze. Dies alles wußte er anfangs so geschickt zu mäßigen, daß er hoffen konnte, im Salon nicht gehört zu werden; allein beim Blöken des Kalbes vergaß er sich so sehr, daß der unharmonische Ton weithin durch die Zimmer schallte. Ganz entrüstet und mit gerunzelter Stirn eilte mein Vater herein; er wurde aber bald durch Prinzeßchens [Dorothée] Schmeichelworte begütigt.
Eines Abends fanden wir bei Prinzeßchen eine nicht mehr ganz junge Frau von hoher Gestalt und von wahrhaft wunderbarer Schönheit. Wir erfuhren, es sei eine arme Jüdin, Madam Herz, von der die Prinzessin englischen Unterricht erhielt. Nie werde ich den Glanz dieser Erscheinung vergessen. Wenn die Prinzessin eine ideale jugendliche Figur, eine Hebe oder Venus darstellte, so konnte man Madam Herz einer Juno oder Proserpina vergleichen. […]
Eines Winters erhielt die Herzogin den Besuch ihrer zweiten Tochter, der Fürstin von Hohenzollern-Hechingen mit den Erbprinzen Konstantin, der ungefähr in meinem Alter war (geb. 1801, ⴕ 1869). Anfangs hatte ich einen großen Respekt vor ihm, und wagte bei meiner angebornen Zurückhaltung kaum, ihn anzureden. Als ich sah, daß er ein Mensch sei, wie alle andern, so faßte ich bald mehr Muth, und wir spielten sehr vergnügt zusammen. Weil aber allen Knaben die Kampflust angeboren ist, und sie ihre Kräfte gegen einander versuchen wollen, so kam es auch zwischen uns sehr bald zum Balgen und Ringen, das ich in der Schule zwar weniger als andre, aber doch geübt hatte. Dabei galt es nun als höchst unwürdig, gegen alles Kriegs- und Völkerrecht verstoßend, einander in den Haaren zu raufen. Ich setzte dies als stillschweigende Bedingung bei meinem fürstlichen Gegner voraus; da er indessen, als ich einmal im Vortheil war, mir in die Haare fuhr, so that ich dasselbe mit solcher Vehemenz, daß er in ein fürchterliches Geschrei ausbrach. Der ganze Salon eilte herbei, die Fürstin von Hohenzollern fand ihren Thronerben in Thränen, ich stand, einen Flausch seiner blonden Haare haltend, sehr verlegen daneben, und erwartete ein schreckliches Strafgericht. Aber o Wunder! nachdem ich die Sache wahrheitsgetreu erzählt, und der Prinz nicht läugnen konnte, daß er mir zuerst in die Haare gefahren sei, so ward ich von seiner Mutter mit Liebkosungen überhäuft, dafür, daß ich ihrem ungezogenen Sohn gezeigt, wie er sich nicht alles gegen andre erlauben dürfe. „Siehst du wohl, Konstantin“, so schloß sie ihren Sermon an den zerzausten Erbprinzen, „wer ausgiebt, der muß einnehmen!“
In diesem Winter schickte der galante Kaiser Alexander von Rusland der Herzogin zwei gewaltig große Spiegel aus einem Stücke mit prachtvollen goldnen Rahmen, vielleicht um sie über die ausbleibenden Geldzahlungen zu trösten. Mein Vater besorgte das Auspacken, und ließ sie vorläufig in einer Entrée des kurländischen Hauses aufstellen. Dies gab dem Prinzen Konstantin und mir die schönste Gelegenheit, uns recht oft und recht lange davor zu bewegen, und in Rüstungen aus Pappe gehüllt, davor zu exerciren. Als aber mein Vater eines Tages bemerkte, daß der Prinz mit seinem blechernen Säbel den kostbaren Platten in eine gefährliche Nähe kam, so fanden wir das nächste Mal das Zimmer verschlossen, und alle Bitten um Einlaß wurden von dem an Gehorsam gewöhnten Haushofmeister abgewiesen.
Zu Ehren des Besuches der Fürstin von Hohenzollern wurde in jenem Winter das Weihnachtsfest im kurländischen Hause mit besonderem Glanze gefeiert; ich erinnere mich sehr wohl, daß nur auf ganz besonderes Bitten der Herzogin mein Vater darin willigte, uns mitzubringen. Es ereignete sich dabei ein Unfall, der mich, wenn ich daran denke, noch immer mit Schrecken erfüllt. In den hellerleuchteten Sälen waren viele Tische mit bunten Weihnachtspyramiden und Geschenken aufgestellt, eine froh bewegte Gesellschaft wogte auf und ab. Die Herzogin Mutter, ja sogar –Großmutter strahlte im Schimmer einer unverwelklichen Schönheit, und konnte in vieler Hinsicht die Vergleichung mit ihrer Tochter wohl aushalten. Nie werde ich die seelengewinnende Freundlichkeit vergessen, mit der sie uns drei, meine Schwester, Fritz und mich zu den für uns bestimmten Tischchen hinführte, die mit allerhand werthvollen Geschenken bedeckt waren. Als Hauptstück stand auf meinem Tische ein kleines zweirädriges Wägelchen, inwendig mit einem Uhrwerk versehn. Wurde dieses aufgezogen, so fuhr der Wagen von selbst in der Stube herum. Diese eigne Bewegung eines unbelebten Körpers hatte für die Kinder etwas wunderbares, beinahe übernatürliches, und wurde von allen Seiten angestaunt. Jeder wollte das Uhrwerk aufziehn, um den Wagen noch einmal laufen zu lassen, und als zuletzt Prinz Konstantin etwas unsanft damit umging, so versagte die Feder und das schöne Spielzeug war verdorben.
Indem wir noch damit beschäftigt waren, gerieth mitten im Saale eine von den großen Weihnachtspyramiden in Brand; die Flamme, von dem leichten Holzwerk genährt, stieg mächtig leuchtend empor, und ein dicker brauner Qualm wälzte sich an der hohen Decke entlang. Das unmittelbare Hereinbrechen der Gefahr in die heiter geordneten und festlich geschmückten Prachtgemächer hatte etwas schauerliches, aber anfangs konnte der Gedanke, daß nicht allein die schönen, so eben erhaltenen Geschenke, sondern auch die Räume selbst vom Untergange bedroht seien, von der kindlichen Seele kaum gefaßt werden. Ich stand, den zerbrochenen Wagen haltend, ruhig neben meinen Aeltern, und betrachtete das überraschende, nie gesehene Schauspiel mit Erstaunen.
Indessen wurde das Uebel, noch ehe die Kunde davon in die andern Säle gelangen konnte, durch rasche Hülfe beseitigt. Der Haushofmeister war gleich mit den Lakaien zur Hand, die durch einige Flaschen Wasser das Feuer dämpften, und sehr bald die schwarz verkohlten, rauchenden Reste der Pyramide aus dem Saale forttrugen. Hatte der herrliche, rasch vorüberrauschende Anblick der auflodernden Flammen uns erfreut, so war die Verwüstung desto widerwärtiger, die durch Nässe und Schmutz auf dem schöngetäfelten Fußboden entstand. So oft nachher bei uns das Weihnachtsfest im frohen Familienkreise gefeiert ward, so verging selten ein Jahr, wo jenes frühen Jugendereignisses nicht gedacht worden wäre, indem wir den Vater oder die Mutter mit sorglicher Stimme sagen hörten: daß nur keine Pyramide in Brand geräth! […]
Von solchen Vorkommnissen erzählte ich ganz unbefangen meinen Freunden und Schulkameraden. Es fiel mir nicht ein, etwas besonderes daraus zu machen, daß unser Weihnachten bei der Herzogin von Kurland gefeiert sei, oder daß ich den Prinzen von Hohenzollern in den Haaren gerauft, aber bald wurde ich zurückhaltender, als ich hörte, daß ein Mitschüler beim Nachhausegehn zu einem andern sagte: der Parthey weiß sich recht viel mit seinen vornehmen Bekanntschaften! und der andre erwiederte: es wird wohl die Hälfte davon erfunden sein! Seitdem hütete ich mich wohl, jemals wieder etwas aus dem herzoglichen Zirkel mitzutheilen.“
Und die Moral von der Geschicht‘: Behalten Sie immer ihre brennenden Kerzen im Auge! Ein Rat, der damals genauso praktisch und aktuell war, wie heute noch. Und was lernen wir noch aus dieser kleinen Episode? – Kinder haben schon vor gut 200 Jahren Unsinn getrieben, waren auch einmal laut und haben nie das „Wesentliche“ an Weihnachten aus dem Blick verloren: Die Geschenke!
Und mit diesen Erkenntnissen möchte ich mich für dieses Jahr von ihnen, liebe Zuhörende, verabschieden. Sollten sie noch nicht gänzlich in Weihnachtsstimmung sein, empfehle ich ihnen einen Blick in unsere Weihnachtskrippenausstellung. In diesem Jahr unternehmen wir mit ihnen eine kleine Weltreise mit Weihnachtskrippen – von Europa nach Amerika, Asien und Afrika, zurück in hiesige Gefilde. Begleitet wird unsere diesjährige Auswahl an Exponaten von persönlichen Geschichten aus heutiger Zeit, aber auch von historischen Berichten. Und natürlich finden sie auch unseren Gustav Parthey dort wieder.
Das gesamte Team des Museums Burg Posterstein wünscht ihnen und ihren Familien eine besinnliche und schöne Weihnachtszeit und einen gesunden Start ins neue Jahr!
„Das Buch Parthey’s ist aus einem so edlen, milden Gemüthe hervorgegangen, daß, wenn es veröffentlich würde, Niemand dadurch verletzt werden könnte, und Allen denen es zugänglich gemacht würde, ein edles Beispiel in der anmuthigsten Form vor Augen stünde.“
(Emilie von Binzer: Drei Sommer in Löbichau, Stuttgart 1877, S. IV.)
Mit diesen Worten aus dem Buch „Drei Sommer in Löbichau“ der Schriftstellerin Emilie von Binzer (1801-1891), heiße ich Sie, liebe Zuhörende, herzlich willkommen zur dritten Folge der „LeseZeit“ mit Geschichte und Geschichten aus dem Museum Burg Posterstein. Es begrüßt Sie heute im Burgstudio wieder die Historikerin Franziska Engemann.
Sie können auch diese Folge als Blogpost lesen oder als Podcast anhören.
In Folge 2 unserer „LeseZEIT“ haben wir Emilie von Binzer und ihre Lebenserinnerungen „Drei Sommer in Löbichau“ kennengelernt. Heute soll es in der LeseZEITum den – man könnte sagen – Verursacher dieses Buches gehen: um den Altertumsforscher und Buchhändler Gustav Parthey (1798–1872).
1871 hatte er seine selbstverfassten „Jugenderinnerungen“ als Handschrift für Freunde an seine alten Bekanntschaften gesendet. Ein Exemplar erhielt auch Emilie von Binzer. Sie nahm es als Inspiration für ihren eigenen Rückblick auf die bewegten Jahre im Salon ihrer Großmutter, der Herzogin Anna Dorothea von Kurland (LeseZEIT – Folge 1), in Löbichau.
Emilie von Binzer gehörte als Pflegetochter der Herzogin Wilhelmine von Sagan der engeren kurländischen Familie an. Das ist der Grund, warum sie einzigartige Einblicke aus erster Hand in das Leben dieser Salondamen und deren Gäste geben konnte. Anders, aber nicht weniger interessant, verhält es sich bei Gustav Parthey, dem Sohn eines Berliner Hofrates und Buchhändlers. Mit anderen Worten: eines gutbürgerlichen Mannes.
Wie konnte ein damals junger Mann Anfang 20 aus bürgerlichem Haus wie Gustav Parthey Eintritt in die Salon-Gesellschaft der Herzogin von Kurland finden?
Gustav Friedrich Konstantin Parthey wurde 1798 im Haus des Großvaters in der Brüderstraße in Berlin geboren und war damit nur 3 Jahre älter als Emilie von Binzer. Er stammte aus der ersten Ehe des Hofrates Friedrich Parthey (1745–1822) mit Charlotte Wilhelmine (1767–1803), der ältesten Tochter des Buchhändlers Friedrich Nicolai. Sowohl Vater Parthey als auch Großvater Nicolai verfügten über weitreichende Kontakte zu Dichtern, Denkern und Politikern ihrer Zeit.
Gustavs Vater, Friedrich Parthey, hatte in Leipzig studiert und sich bei Kapellmeister Johann Adam Hiller musikalisch ausbilden lassen. Auf dessen Empfehlung wurde Parthey Musik- und Hauslehrer der Familie Medem in Kurland. Seit dieser Zeit verband ihn eine tiefe Freundschaft mit der späteren Herzogin Anna Dorothea von Kurland, die seine Schülerin war. Auch deren Schwester Elisa von der Recke blieb Parthey und seiner Familie lebenslang sehr zugetan und übernahm sogar die Patenschaft für den Sohn Gustav.
1797 heiratete Friedrich Parthey Charlotte Wilhelmine Nicolai. Deren Vater Friedrich Nicolai führte einen berühmten Buchhandel und Verlag in Berlin und war selbst schriftstellerisch tätig. Gemeinsam mit Friedrich Gedike und Johann Erich Biester zählt er zu den Hauptvertretern der Berliner Aufklärung. Nach seinem Tod 1811 übernahm sein Schwiegersohn Parthey die erfolgreiche Nicolaische Buchhandlung.
Oft erwähnt Gustav Parthey in seinen Erinnerungen die umfangreiche Bibliothek des Großvaters. Doch er erhielt nicht nur zu Hause eine hervorragende Ausbildung. Er besuchte in Berlin zuerst die Hartung‘sche Privatschule und bis 1818 das Gymnasium zum Grauen Kloster. Danach wandte er sich Studien in Berlin und Heidelberg zu. Er wurde 1820, mit 22 Jahren, zum Doktor der Philosophie promoviert. Nach dem Tod des Vaters 1825 übernahm er die erfolgreiche Nicolaische Buchhandlung und stiftete den Bibliotheken in Berlin, Flensburg und Straßburg reichhaltige Bestände. Er veröffentlichte selbst mehrere kunst- und kulturgeschichtliche Werke. 1872 starb Gustav Parthey während einer seiner Studienreisen nach Rom.
„[…] ihn umschwebte eine Atmosphäre inneren Werthes; er hatte bei so jungen Jahren schon einenSchatz von Wissen gesammelt, alle jungen Leute wußten, daß er ihnen darin weit überlegen war, wie auch in der Reinheit seiner Sitten. Als Besitzer eines großen Vermögens war er so unabhängig, daß er sich vor keinem Menschen und keiner Behörde zu beugen brauchte, es lag aber so viel Bescheidenheit in seinem Charakter, daß er sich dieser Vortheile nie überhob.“
(Emilie von Binzer, S. 91)
So beschrieb ihn Emilie von Binzer schon in seinen Jugendjahren. Beide hatten sich 1820 in Löbichau kennengelernt. Allerdings war Gustav Parthey schon viele Jahre vorher zu Besuch im Salon der Herzogin von Kurland in Berlin oder auf ihren Schlössern in der Altenburger Region. Zum ersten Mal unternahm er im Sommer 1812 eine Reise nach Löbichau. Friedrich Parthey hatte eine Einladung der Herzogin erhalten und nahm seinen Sohn Gustav und seinen Pflegesohn Fritz von Piattoli, der seit 1808 im Hause Parthey lebte, mit auf die Reise. Fritz von Piattoli war zwei Jahre jünger als Gustav und ein uneheliches Kind Johannas, der späteren Herzogin von Acerenza, und der dritten Tochter der Herzogin von Kurland.
In der heutigen LeseZEIT hören Sie Auszüge dieser ersten Reise nach Löbichau, die Gustav Parthey damals im zarten Alter von 14 Jahren unternahm. Die Erinnerung daran schrieb er erst im Alter von fast 74 Jahren nieder.
Im Sommer 1812 machte ich mit Bewußtsein meine erste Reise, die zwar nur bis Leipzig und Dresden ging, mir jedoch von einer unendlichen Ausdehnung schien. Mein Vater war von der Herzogin von Kurland nach ihrem Landsitze Löbichau eingeladen worden. Er benutzte die Ferienzeit, um Fritz und mich mitzunehmen. Welch‘ ein großes freudiges Ereigniß, als uns angekündigt ward, wir würden 14 Tage oder 3 Wochen ausbleiben. Die Reise wurde mit Extrapost gemacht, ging aber bei dem Mangel aller Chausseen sehr langsam. Die Abreise verzögerte sich um einige Stunden, wir fuhren daher in den Abend hinein, um das erste Nachtquartier zu erreichen.
Es war ein angenehm-schauriges Gefühl, als wir, behaglich in die Wagenecke gedrückt, die Sonne verschwinden sahen, und als die unabsehbare kahle Ebne vor uns in immer dunkleren Schatten versank. Schon wollte Morpheus seine Mohnkörner ausstreuen, als plötzlich der Postillon mit dem Sattelpferde stürzte, weil er ein Loch in dem elenden, holprigen Wege nicht bemerkte; er kam mit dem Fuße unter das Pferd zu liegen, und schrie erbärmlich, sein Fuß sei gebrochen.
Wir stiegen erschreckt aus dem Wagen, und mein Vater sah, was zu thun sei. Er wurde auch hier von seinem guten Glücke nicht verlassen: denn schon hörte man ein uns entgegenkommendes Fuhrwerk. Die Bauern leisteten hülfreiche Hand; es galt, das Pferd in die Höhe zu bringen, ohne den Postillon zu beschädigen. Als mein Vater ihn eifrig bemüht sah, seinen Fuß unter dem Thiere hervorzuziehen, sagte er halb lachend und ihn ermuthigend: Sei froh, Schwager, daß du noch ziehen kannst, dann ist der Fuß nicht gebrochen! Alles gelang auf das beste; weder Roß noch Reiter hatten Schaden genommen. Nach kurzem Aufenthalte saß der Postillon wieder im Sattel, und brachte uns in dunkler Nacht zur nächsten Station. Noch sehe ich, wie er, sehr vergnügt über das reiche Trinkgeld, dem Stalle zuhumpelte. […]
Eine kleine Tagereise brachte uns von Leipzig nach Löbichau in der Nähe von Gera. Beim Eintritte in das Herzogthum Altenburg fanden wir die schönsten, mit Bäumen eingefaßten Chausseen, auf denen der Wagen wie auf einer Tenne hinrollte. Dies war das Verdienst des Ministers von Thümmel, der darin allen Nachbarstaaten mit gutem Beispiel voranging. Die Lage des Schlosses Altenburg auf hoher Felskuppe setzte mich in Entzücken, und das Interesse an dem Orte ward noch vermehrt, als mein Vater uns die Geschichte des Ritters Kunz von Kaufungen erzählte; die beiden geraubten sächsischen Prinzen hatten in eben diesem prächtigen Schlosse gewohnt.
In Löbichau war an Fürstlichkeit kein Mangel, wir fanden die Herzogin von Kurland mit ihren beiden ältesten Töchtern, der bildschönen Herzogin von Sagan und der äußerst lebhaften Fürstin von Hohenzollern; der Herzog von Altenburg kam auf einen Tag zum Besuche herüber; ein Prinz von Biron, dem kurländischen Fürstenhause verwandt, sprach auf der Durchreise ein. Das gab ein unaufhörliches Ankommen und Abfahren von Equipagen und hochbepackten Reisewagen; die lustigen Fanfaren der Postillone hörten nicht auf, über den Schloßhof zu tönen. Aber alle diese Herrlichkeit ging nur wie im Traume an mir vorüber: denn ich war noch immer so schüchtern, daß ich kaum wagte, die Augen aufzuschlagen. Fritz dagegen, obgleich 2 Jahre jünger als ich, bewegte sich ganz unbefangen in den glänzenden Sälen. Durch sein drolliges Wesen wurde er bald der Liebling der vornehmen Damen; die Fürstin von Hohenzollern hörte nicht auf, ihn zu necken, und lachte über seine komischen Antworten.
Mein Vater ließ uns volle Freiheit, den Tag über im Park, im Dorfe und in der Umgebung uns zu ergehn, doch mußten wir um 6 Uhr zur Mittagstafel in tadellosen Anzügen erscheinen. Das Schloß Löbichau, vom letzten Herzoge von Kurland am Ende des 18. Jahrhunderts erbaut, war äußerlich sehr unscheinbar, aber im Inneren mit fürstlichem Luxus an Marmorvasen, Spiegeln und Teppichen ausgestattet; der sehr ausgedehnte Park bot eine Menge der freundlichsten Spaziergänge; hier hielten wir uns jedoch niemals lange auf, sondern eilten in das nahegelegene Dorf Löbichau, wo Fritz sehr bald mit allen Bauerjungen Bekanntschaft machte; oder wir gingen auf einsamen Waldwegen nach dem nahe gelegenen Schlosse Tannenfeld; dies gehörte ebenfalls der Herzogin, und wurde zur Aufnahme von fremden Gästen benutzt. Von dem flachen Dache genoß man einer herrlichen Aussicht über das fruchtbare altenburgische Ländchen; fern im Osten weckte die lange Kette der böhmischen Berge das unnennbare Gefühl des Hinausstrebens in die weite unbekannte Welt. […]
Der Pächter des herzoglichen Gutes, ein reicher Bauer, Namens Schnabel, war uns sehr freundlich gesinnt, und wir verkehrten viel in seinem Hofe. Sein Sohn Michel, etwas älter als wir, half schon in der Wirtschaft. Da geschah es eines Tages, daß Michel einen Mistwagen ausführte, und Fritz einlud, zu ihm vorn aufzusteigen, was dieser sich nicht zweimal sagen ließ. Allein das Unglück wollte, daß am Ende des Dorfes die Fürstin von Hohenzollern, von einer Spazierfahrt zurückkehrend, Fritzen auf dem Mistwagen und mich, ehrbar daneben gehend erblickte. Seitdem verging selten ein Tag, ohne daß sie ihn fragte: Fritz, willst du spazieren fahren? Soll ich Michel Schnabeln anspannen lassen? Noch mehr wurde er geneckt, als er eines Tages, schon völlig zum Essen angekleidet, noch schnell in den Stall ging, und darauf einen penetranten Pferdegeruch mit in den parfümirten Salon brachte. Fritz, rief ihm die Fürstin zu, ich sehe, daß du nichts anderes werden kannst, als Postillon! O, erwiederte er keck, das würde mir auch recht lieb sein! Michel Schnabel bewirthete uns zuweilen mit einem trefflichen Quarkkuchen, dem wir so tapfer zusprachen, daß nachher die delikatesten Schüsseln der herzoglichen Tafel unberührt vorübergingen.
Einige Regentage benutzten wir dazu, um alle Räume des weitläufigen Schlosses vom Keller bis zum Dachboden, insofern dies thunlich war, zu durchkriechen. Fritz diente bei diesen Entdeckungsreisen als Steuermann; er wurde nicht müde, auf den langen dunklen Korridoren, die durch alle Stockwerke führten, eine Thür nach der anderen aufzuklinken, um in neue unbekannte Gegenden zu gelangen. Diese Streifzüge führten uns auch in die Bibliothek. Hier ging ich alsbald vor Anker, und ließ Fritzen seine Reisen allein fortsetzen. Für’s erste zogen mich die prachtvollen Einbände an, die in der Bibliothek des Grosvaters Nicolai fast gänzlich fehlten, dann fesselten mich einige schöne landschaftliche und architektonische Kupferwerke; die gröste Bewunderung erregte eine zierliche Stehleiter in Form einer schmalen Wendeltreppe auf Rädern; oben angelangt fand man einen bequem gepolsterten Sitz mit Rückenlehne, und konnte in behaglicher Ruhe die oberen Bücherreihen durchmustern.
Das nahe liegende Gut Nöbdenitz gehörte dem schon genannten altenburgischen Minister von Thümmel, einem Bruder des Dichters Moritz von Thümmel. Von der segensreichen Wirksamkeit des Ministers, der damals, wie ich glaube, schon den Geschäften entsagt hatte, zeugte der blühende Wohlstand des glücklichen Ländchens. Der Bau seiner Chausseen, als eines theuern und unnützen Luxusartikels, fand anfangs vielen Widerspruch, doch er beschämte die Tadler durch das reiche Einkommen des Chausseegeldes und den gesteigerten Absatz der Landesprodukte.
Der nachbarliche Verkehr zwischen Löbichau und Nöbdenitz war ein recht lebhafter; mit den Töchtern des Ministers, obgleich sie mehrere Jahre älter waren als wir, wurden genußreiche und weite Spaziergänge in der Umgebung ausgeführt. Schloß Nöbdenitz, in heitrer ländlicher Umgebung, erfreute durch seine wohnliche Einrichtung. Allerlei sinnreiche Wunderlichkeiten des Hausherrn erregten das Erstaunen der jugendlichen Besucher. In der Bibliothek zeigte er uns einige Leitern, die, um Raum zu ersparen, ganz in die Wand hineingeschoben wurden. An der Außenseite des Gartenhauses führte eine frei in der Luft schwebende Wendeltreppe bis zum Dache hinauf. Mit Ehrfurcht betrachteten wir eine mitten im Dorfe stehende Eiche von ungeheurem Umfange. Der Volksglaube machte sie zu einem Druidenbaume der heidnischen Germanen, und die Schätzung der Botaniker gab ihr ein Alter von 2000 Jahren. In der Höhlung des Stammes konnten 10-12 Menschen neben einander stehn. Der Minister hatte angeordnet, daß man ihn im Innern der Eiche begraben solle, damit seine irdischen Ueberreste unverweilt als sprossende Zweige und grüne Blätter an die freie Himmelsluft hinausgelangen möchten.“
Tatsächlich wurde der Minister Hans Wilhelm von Thümmel nach seinem Tod 1824 in dieser noch heute so genannten 1000-jährigen Eiche in Nöbdenitz beigesetzt – so wie er es sich gewünscht hatte. Solche „Gräber im Grünen“ waren vor allem in Adelskreisen zur Zeit der Aufklärung sehr beliebt. Auch, wenn Thümmel mit seiner Beisetzung in einem Baum ein besonders ausgefallenes Beispiel für diese Grabkultur ist, lassen sich ähnliche Begebenheiten im engeren Umfeld des Ministers finden: Herzogin Anna Dorothea von Kurland ließ sich im Hain nahe ihres Schlosses Löbichau beerdigen und Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha und Altenburg, unter dem Thümmel lange Jahre gedient hatte, ließ sich ganz schlicht ohne Gedenkstein auf der Grabinsel im Schlosspark in Gotha beisetzen.
Vom Rittergut Nöbdenitz, wie Gustav Parthey es beschrieb, und auch von dessen weitläufigem Garten sind heute kaum mehr Reste geblieben. Ein Schicksal, das viele Rittergüter und Gärten im Altenburger Land ereilt hat. 2021 wollen sich vier Museen des Altenburger Landes dennoch – oder gerade deshalb – den historischen und modernen Gärten der Region zuwenden. Die gemeinsame Ausstellungsreihe trägt den Namen „Grünes im Quadrat – Historische Gärten im Altenburger Land” und ist eine Kooperation zwischen dem Lindenau-Museum Altenburg, dem Residenzschloss Altenburg, dem Naturkundemuseum Mauritianum und dem Museum Burg Posterstein.
Doch zurück zu Gustav Parthey und seinen Jugenderinnerungen. 1812 war zwar das erste, aber nicht das letzte Mal, das Parthey zu Besuch in Löbichau war. Sein zweibändiger Bericht endet im Jahr 1821, nachdem er in Begleitung der Herzogin von Kurland einige Zeit in Paris verbracht hatte.
Es sind tatsächlich seine Erinnerungen an seine Jugendzeit, die er niederschrieb und die auch nur für seine Familie und Freunde, nicht für eine Veröffentlichung gedacht waren. Doch auch Emilie von Binzer lag mit ihrer Einschätzung nicht falsch: Partheys Absicht war es nie, jemanden in diesem Buch zu diskreditieren und so wurde das Werk postum und mit Einwilligung der Familie veröffentlicht. Im Übrigen: Die Nicolaische Verlagsbuchhandlung, die Gustav Parthey nach dem Tod seines Vaters weiterführte, existiert bis heute und gilt als die älteste Buchhandlung Berlins.
Und damit verabschiede ich mich von Ihnen, liebe Zuhörende, und hoffe, Sie auch in der nächsten Folge der LeseZEIT mit Geschichte und Geschichten aus dem Museum Burg Posterstein begrüßen zu dürfen!
Herzlich Willkommen, liebe Zuhörende, zur zweiten Folge unserer „LeseZEIT“ aus dem kleinen Studio des Museums Burg Posterstein. Mein Name ist Franziska Engemann und ich bin Historikerin.
Sie können auch diese Folge als Blogpost lesen oder als Podcast anhören.
Die Zeit um 1800, der Salon der Herzogin Anna Dorothea von Kurland, ihr Leben, Wirken und natürlich ihre Gäste in Löbichau und Tannenfeld, bilden einen Schwerpunkt unserer musealen Arbeit, Forschung und unserer Ausstellung hier in Posterstein. Daher beschäftigen wir uns auch in der zweiten Folge der „LeseZEIT“ mit den Zeitgenossen der Herzogin und ihren Berichten über das Leben auf dem Musenhof dieser bedeutenden Frau.
Neben den Tagebüchern der Herzogin von Kurland sticht vor allem ein Werk heraus, das ein erhellendes Licht auf diese Geschichte wirft und aus erster Hand das Leben auf den Schlössern Löbichau und Tannenfeld beschreibt: Emilie von Binzers Erinnerungen „Drei Sommer in Löbichau“. Das Buch ist eine Rückschau der Verfasserin auf die Ereignisse in Löbichau und Tannenfeld aus den Sommern 1819, 1820 und 1821. Auf 136 Seiten beschreibt sie anschaulich und mit viel Humor die dortigen Gäste. Lange galt das Werk neben der 1823 erschienen Biographie der Herzogin von Kurland von Christian August Tiedge (1752–1841) und den Erinnerungen Gustav Partheys (1798–1872) und Elisa von der Reckes (1754–1833) als wichtigste Quelle zum Leben im Löbichauer Salon.
Doch wie gelang es Emilie von Binzer, diese tiefgründigen Eindrücke zu gewinnen?
Emilie Henriette Adelheid von Binzer, 1801 als Emilie von Gerschau in Berlin geboren, war die Tochter eines illegitimen Sohnes des Herzogs Peter von Kurland. Sie wuchs bei ihrer viel bewunderten und temperamentvollen Tante, Wilhelmine von Sagan, der ältesten Tochter der Herzogin und des Herzogs von Kurland, auf und wurde von ihrer Pflegemutter in das Salonleben eingeführt. Gemeinsam mit zwei weiteren Pflegetöchtern Wilhelmines – der jung verstorbenen Klara Bressler und Marie Wilson von Steinach – trat Emilie schon früh in die höchsten gesellschaftlichen Kreise ihrer Zeit ein und lernte viele Persönlichkeiten kennen. Sie erhielt eine hervorragende Ausbildung und reiste viel. Einige Sommer verbrachte sie gemeinsam mit ihrer Tante auf Schloss Löbichau. Im Salon ihrer Großmutter traf sie neben dem Dichter Jean Paul (1763–1825) unter anderem die Familien Körner und Feuerbach, den Verleger Brockhaus (1772–1823), die Schriftsteller Tiedge und Elisa von der Recke sowie den Archäologen und Schriftsteller Carl August Böttiger (1760–1835). Auch den Burschenschaftler, Schriftsteller und Journalist August Daniel Freiherr von Binzer (1793–1868), den sie 1822 im Schloss Sagan heiratete, lernte sie in Löbichau kennen. Nach der Hochzeit begann für das Paar ein unstetes Reiseleben durch viele Teile Europas, bis sie sich 1845 in Wien und später in Linz niederließen.
In Emilie von Binzers literarischen Werken, die sie unter dem Pseudonym Ernst Ritter veröffentlichte, spiegeln sich vor allem Personen und Erlebnisse der Zeit des Wiener Kongresses wider. Ihre Dramen „Die Gauklerin“ und „Die Neuberin“ wurden 1846 am Wiener Burgtheater aufgeführt. Zwischen 1849 und 1870 unterhielt sie in ihren Häusern in Linz und Altaussee musische Kreise. Freundschaften verbanden sie mit den österreichischen Schriftstellern Adalbert Stifter (1805–1868), Franz Grillparzer (1791–1872) und besonders mit dem Dichter Christian von Zedlitz (1790–1862). Nach dem Tod ihres Mannes zog Emilie von Binzer zu ihrem Sohn nach München, wo sie 1891 starb.
50 Jahre nach den eigentlichen Geschehnissen beschreibt Emilie von Binzer in ihrem Buch „Drei Sommer in Löbichau“ Auszüge aus ihrer Jugendzeit, spricht über ihre Familie und über die Löbichauer Gäste, über besondere und weniger besondere Situationen des Salonalltags und gibt auf humoristische, unterhaltende und nicht selten ironische Weise einen ganz speziellen und persönlichen Einblick in das Leben der damaligen Zeit.
Warum erst nach so langer Zeit, fragen Sie sich vielleicht?
Auf den ersten Seiten wird diese Frage von der Verfasserin selbst beantwortet:
„Als ich im Sommer 1871 auf meinem Landhause in Aussee (Steiermark) anlangte, fand ich auf dem Tische zwei dicke Bände liegen mit der Aufschrift: ‚Jugenderinnerungen von Gustav Parthey, Handschrift für Freunde.‘ Das Packet war unter meiner Adresse mit der Post angekommen. Bei diesem Anblick durchzuckte es mich freudig, denn der Name auf dem Titelblatte gehörte nicht nur einem in weiten Kreisen geachteten Manne und gründlichem Gelehrten, sondern auch einem theuren Jugendfreunde, den ich viele Jahre nicht gesehen hatte, und mit dem ich überhaupt nur als junges Mädchen in regem Verkehr gewesen bin. Daß er mich nicht vergessen hatte, bewies mir dieses Buch – und welch ein Buch!“
Angeregt durch die Memoiren ihres alten Freundes, begann auch Emilie von Binzer sich mit ihren Erlebnissen auseinanderzusetzen, war sich dabei aber immer bewusst, dass die lange Zeit ihre Erinnerungen und Ansichten verklärt haben könnten. Dennoch versucht sie ein objektives Bild der Personen und Ereignisse zu zeichnen, wobei sie ihre eigene Meinung stets als solche kennzeichnet. Die Eigenarten und Charaktere beschreibt sie von verschiedenen Standpunkten und ist dabei nicht gewillt, zu beschönigen. Mit Kritik, einer guten Portion Selbstironie, aber immer mit Feingefühl, gibt sie ihre Eindrücke wieder.
All diese Umstände machten es mir sehr schwer, aus diesem unbedingt lesenswerten Buch, einige Auszüge für unsere „LeseZEIT“ auszuwählen. Die Sammlung des Museums gab schließlich den entscheidenden Anstoß. 2014 gelang es dem Museum Burg Posterstein mit finanzieller Unterstützung des Freistaats Thüringen und der Bürgerstiftung Altenburger Land ein Konvolut Zeichnungen zu erwerben. Aufbewahrt in einer grünen Halblederkassette, entpuppte sich der Inhalt als ausgesprochene Rarität: eine Sammlung von Portraitblättern, hautsächlich von der Hand des Malers Ernst Welkers (1784/88–1857), der den Sommer 1819 als Zeichenlehrer Emilie von Binzers in Löbichau verbrachte. Die von Ernst Welker portraitierten Personen gehören alle zum engeren Umfeld der Herzogin von Kurland und treten als Fabelwesen auf. Meist wählte der Künstler eine Tiergestalt aus, deren Kopf er durch ein Portrait der entsprechenden Person ersetzte. Doch: Mindestens eine der Zeichnungen stammt von Emilie von Binzer selbst. Sowohl die Bilder als auch einige der Personen sind in Binzers Werk erwähnt und so hören wir genau diese Auszüge aus Emilie von Binzers „Drei Sommer in Löbichau“, erschienen 1877 in Stuttgart beim Verlag von W. Spemann. Die Auszüge befinden sich auf den Seiten 81 bis 100.
Sommer 1820:
„Die Reisegesellschaft nach Löbichau war diesmal bedeutend vergrößert. Bei der Herzogin [Wilhelmine von Sagan] lebte seit vielen Jahren eine alte Französin, vielleicht war sie nicht alt, aber sie wurde immer so betrachtet. Ihr Mann hieß Graf Trogoff, und war wie seine Frau aus der Basse-Bretagne, was genug andeutet, welcher politischen Partei sie angehörte. […] sie ist mir immer eine „problematische Natur“ geblieben, ich wußte nicht, sollte ich sie lieb haben oder nicht, neigte mich aber zu Letzterem; ich kannte sie schon sehr lange.
Als ich in Prag ein paar Jahre in Pension war, lebte sie dort und übte die Funktion einer Art Oberrichters in Fällen flagranter Unarten über mich aus, doch that sie mir nie etwas zu Leide. Sie war eine starke Tabakschnupferin und hatte, so lange ich sie gekannt habe, immer einen Hund um sich, der ihr Freund, Bruder und Sohn war, auch war er stets männlichen Geschlechts. Der in Prag hieß „Wartele“, und war damals zweiundzwanzig Jahre alt, und das Scheußlichste, was ich je von dieser Gattung gesehen habe; ihre dritte Leidenschaft war das Kartenspiel, ihre vierte die Arzneikunde; das waren aber wirklich alles Leidenschaften, die ‚Leiden schafften‘, wenn sie sie entbehren mußte, was am meisten mit der dritten der Fall war, da der Sommer wenig Gelegenheit zum Spielen bot. Wenn man in ihr Zimmer trat, fühlte man sich gleich in der Mitte der Dinge, die ihr Leben ausfüllten: der Hund bellte einen an – gottlob nicht mehr Wartele! – auf dem Tisch lag ein Todtenkopf und ein aufgeschlagenes medizinisches Werk, daneben die Schnupftabaksdose und Patiencekarten, die benutzt wurden, wenn sich keine Mitspieler fanden […].“
„Nächst ihr [Gräfin Trogoff] wurde der Reisezug durch unseren Zeichenlehrer, Herrn Ernst Welker, Vetter der beiden berühmten Welker, vermehrt. Er war aus Suhl gebürtig und Sachse vom reinsten Wasser; längere Zeit hatte er sein Fortkommen in Wien gefunden, von wo ihn die Herzogin als unseren Lehrer, gerne gesehenen Gast und guten Gesellschafter mitgenommen hatte. Er war eben über der Zwergengröße, was ihn nicht hinderte, den Freiheitskrieg im Lützow’schen Corps als Freiwilliger mitzumachen; man nannte ihn dort: ‚den Stabszwerg‘, und Peter Heß stellte ihn einst dar, wie er mit einer Maus hinter einem Kürbiß Verstecken spielt. Er besaß Theodor Körner’s Profil, das er auf der Bahre abgezeichnet hat, und war ein gebildeter Mann von guter Erziehung, aber daß er so klein doch einen Mann vorstellte, gab ihm einen Anstrich von Lächerlichkeit, den er dadurch vermehrte, daß er immer in eine von uns entsetzlich verliebt war. Sein blondes Köpfchen hatte kaum mehr Haare als sein großer Schnurrbart, der, obgleich er erst 35 Jahre zählte, einen fast zahnlosen Mund verbarg; damals aber waren die Menschen noch nicht so schnell bei der Hand auszubessern, was die Natur verwüstete, jetzt hätte ihn ein Ratelier sehr verschönt. Sein Talent war nicht der Art, daß die Welt davon Kenntniß genommen hätte, aber doch achtungswerth; noch schmücken zwei hübsche Aquarelle von ihm mein Wohnzimmer. Es stellte sich ein ganz vertrauliches Verhältniß zwischen ihm und allen Hausgenossen her, er begleitete uns auf unseren Spaziergängen und erzählte uns allerlei aus seinem Leben, was wir gerne anhörten. Mir, für die er nur einige kurze Liebesanfälle gehabt hatte, vertraute er wohl auch, wie wenig er sich von Louise und Marie verstanden fühlte; Louise war eigentlich seine Hauptflamme; die Boshafte vergalt ihm dies, indem sie behauptete, daß wenn er ihr die Hand küsse, es ihr sei, als ob man eine verfaulte Melone auf diesem edlen Gliede zerdrücke.“
Auch auf die eingangs erwähnte Kassette mit den von Welker gezeichneten Portraits Löbichauer Gäste kommt Emilie von Binzer in ihrem Buch zu sprechen. Es ist vorstellbar, dass sie diese Zeichnungen nach langer Zeit wieder zur Hand nahm, als sie ihre Jugenderinnerungen niederschrieb, so detailreich sind die Motive in den Text eingeflochten.
„Ich besitze eine Mappe, die klein Welckerchen in Löbichau mit Porträts der ihm zugänglichen anwesenden Gäste, meist in Thiergestalt, füllte; darunter stehen Fibelverse, die sich mehr durch gute Laune, ja Uebermuth, als durch Witz auszeichnen; die Mappe enthielt siebenundvierzig Blätter, die gelegentlichen Besucher aus der Nachbarschaft sind nicht darunter, nur solche, die wirklich in Löbichau wohnten; ich sondere diejenigen Personen aus, die erst nach den Universitätsferien eintrafen, mische dann die Blätter und nenne der Reihe nach einige der Gäste.“
„Der Archäologe Böttiger war keine anziehende Erscheinung; so wenig er Tieck gefallen hatte, ebenso wenig gefiel er Goethe. Dieser sagte einst Jemanden, der es mir wieder erzählt hat: ‚Ich sah auf der Wiese in Karlsbad eine Gestalt, und dachte bei mir: welche Aehnlichkeit mit Böttiger! Endlich kommt sie näher, und ich sehe, daß er es selbst ist. Gottlob, rief ich aus, so existiert er doch nur einmal.‘ Frau von der Recke und Tiedge aber waren nicht der Ansicht und hielten ihn hoch und des Morgens hielt er im alten Schlößchen bei Elise Vorlesungen, die sehr schön gewesen sein sollen, aber von denen ich keine gehört habe; doch weiß ich, daß er über die Arabesken las.“
„Graf Schönfeld, ein hübscher, etwas sentimentaler Wiener von sächsischer Herkunft, den ich von Kindheit an kannte; sein Sohn hat Louise Neumann geheirathet, die unersetzte Schauspielerin des Burgtheaters, die man nicht vergessen kann, wenn man sie je gesehen hat. Ihre Franziska in Minna von Barnhelm spielt ihr Niemand nach. Der Graf, der sie ihrem Beruf entrückte, hat ihr später Gelegenheit gegeben, ihren gediegenen Charakter in schwierigen Lagen zu bewähren.
Baron Rönne aus Kurland, ein hübscher Mann rauhen Wesens, aber wenn er wollte liebenswürdig. Das interessanteste an ihm war eine Fistel, die Folge einer Wunde, in der linken Brust; er hatte sich diese in einem Duell geholt und sie war schlecht geheilt worden; wir hörten, daß täglich eine große Menge Baumwolle in diesen geheimnißvollen Gang gestopft werden mußte, und diese immer wiederholte Operation durchaus nicht schmerzlos sei; wahrscheinlich wäre unser Mitleid für Herrn von Rönne stärker gewesen, wenn wir uns nicht vor ihm gefürchtet hätten. Uebrigens steht unter Welckers Bildchen, der ihn als Bär dargestellt hat:
‚Seht tanzen hier den wilden Bär,
Er ist so zahm als irgend wer.‘“
„Im Anfang September traf ein Besuch ein, dessen Erscheinung keinen geringen Rumor in Löbichau machte, es war der Herzog von Gotha. Die jungen Herren fürchteten die Langeweile des Tages und wurden nach Altenburg geschickt. Im Handumdrehen war das idyllische Leben in Löbichau in eine Hofhaltung verwandelt; die Herzogin[von Kurland] und ihre Töchter warfen sich in Staat, wir zogen unsere kleidsamsten Gewänder an, denn sonst nannte man Löbichau mit Unrecht einen Hof; die Herzogin von Kurland und meine Pflegemutter hatten sogar Toquen aufgesetzt, ein Kopfputz, der nur bei großen Gelegenheiten angewendet wurde; […]Der Herzog August von Gotha war ein sehr eigenthümlicher Herr, bei dem irgend eine Schraube im Gehirn los war, aber nicht ohne Witz. Welcker wusste eine Menge Anekdoten von ihm, die uns als Prolog zu seiner Erscheinung dienten; als er sah, wie ein Fräulein sich abmühte, einen Torso nachzuzeichnen, sagte er ihr: ‚Was machen Sie da für ein hübsches Nierenstück!‘ – Man überreichte ihm eine jener altmodischen Tassen, wo auf der Obertasse steht: ‚Wandle auf,‘ dann eine Rose gemalt ist, während auf der Untertasse ein Vergißmeinnicht zu sehen ist. Er las den Rebus so: ‚Wandle auf Ober- und Untertassen.‘ Auf seinen Kammerherrn Seebach machte er die Charade: ‚Mein erstes ist naß, mein zweites ist naß, und mein ganzes so trocken!‘ […] Mehr in Erstaunen als sein Witz setzte uns aber die Mähr, daß der Herzog in seiner Häuslichkeit gewöhnlich Frauenkleider trage, und in Karlsbad am Brunnen im weißatlassenen Weiberschlafrock seinen Sprudel getrunken habe – den anderen Tag aber in einem Lila u. s. f. […]
Altenburg gehörte damals noch zu Gotha, es war daher der Landesherr, der erwartet wurde. Ihm zur Seite stand Fräulein Sidonie von Diesgau, eine Verwandte Schulenburgs, sie war des Herzogs Freundin und er trennte sich nie von ihr. Nicht etwa das, was man oft unter einer Fürstenfreundin versteht, über diesenVerdacht erhob sie des Herzogs Individualität und ihre eigene: sie war alt, und von einer so ausgesuchten Häßlichkeit, daß Welcker sie als Fledermaus darstellte mit dem Vers:
‚Erschrecket nicht vor diesem Graus,
Es ist nur eine Fledermaus.‘
Ihr Geist aber ward allgemein gerühmt, auch sieht man es oft, daß Fürsten Freunde haben, die sich durch dick und dünn für sie enthusiasmiren, ihre Schwächen nicht sehen, ihre guten Eigenschaften in dem griechischen Feuer ihrer Einbildungskraft verklären, und jeden Augenblick bereit sind, für sie zu sterben. Eine solche war Sidonie von Diesgau, und ihr war das Glück geworden, ein antwortendes Echo in der Seele ihres Erwählten gefunden zu haben. Dies seltsame Paar, der trockene Seebach und noch ein paar Herren stiegen aus den Reisewagen; Thümmel empfing sie am Schlage. Der Herzog trug an diesem Tage eine gelbblonde Lockenperücke (er hatte deren, wie man sagt, gegen zwanzig von verschiedener Beschaffenheit und Farbe), einen blauen Frack mit mehreren Ordenssternen und Bändern, ein Hemd mit Spitzenjabot, das so weit offen stand, als es der Anstand irgend erlaubte und eine schneeweiße, fette Brust durchschimmern ließ; er war groß und wohlgenährt, mit hochgeschminkten Wangen und Lippen, und dadurch, obgleich nicht häßlich, eine der allerwidrigsten Erscheinungen, die man sich vorstellen kann; Fräulein Sidonie fiel ordentlich angenehm neben ihm auf; sie war von natürlicher Häßlichkeit, ganz mausgrau gekleidet, und behielt ihren grauen Hut auch bei Tische auf, aber Fledermausflügel hatte sie, die Wahrheit zu sagen, nicht. Das Ganze war ein Phantasiestück in Callot’s Manier, und zog wie ein Geisterspuk vorüber. Tagelang erzählten wir unseren Freunden von diesen beiden Masken; Welcker traf den Herzog vortrefflich als Pfau.“
In diesem Konvolut an Karikaturen befanden sich auch Zeichnungen der beiden Künstler. Emilie von Binzer ist als Spargel, Ernst Welker als Auster dargestellt. Schülerin und Lehrer nahmen also auch sich selbst aufs Korn. Ohnehin scheint Ernst Welker viel Humor gehabt zu haben, ist er doch auch Mitglied der „Unsinnsgesellschaft“ gewesen, die in Wien 1817 ein Archiv des menschlichen Unsinns herausgab.
Die einzelnen Zeichnungen aus Emilie von Binzers Besitz sind sehr lichtempfindlich und werden daher nur abwechselnd und einzeln in der Ausstellung des Museums Burg Posterstein gezeigt. Den größten Teil des Jahres werden sie im Depot des Museums verwahrt.
Alle Karikaturen können Sie aber auch jederzeit im Katalog „Salongeschichten. Paris – Löbichau – Wien“ nachschlagen. Dieser ist im Museum Burg Posterstein erhältlich. Alle Infos zur Sammlung Welker gibt es hier.
Damit verabschiede ich mich bis zum nächsten Wiederhören in der „LeseZEIT“ mit Geschichte und Geschichten aus dem Museum Burg Posterstein.
Von Franziska Engemann / Museum Burg Posterstein Fotos & Schnitt: Marlene Hofmann / Museum Burg Posterstein
Herzlich willkommen zur ersten Folge unserer Reihe „LeseZEIT“ mit Geschichte und Geschichten aus dem Museum Burg Posterstein. In unserem Podcast stellt Franziska Engemann, Historikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, historische Persönlichkeiten vor.
Sie können die Folge als Blogpost lesen oder als Podcast anhören.
Zu allererst aber die entscheidende Frage: Worum geht es in hier überhaupt?
Historische Berichte, Urkunden und Tagebücher bilden die Grundlage der Museumsarbeit genauso wie Briefe, Zeitungsartikel und jedwede Art schriftlicher Überlieferung. Je nach Zeit und Thema entdecken wir dabei immer wieder spannende, persönliche, traurige oder unglaublich skurrile Geschichten, die mehr oder weniger bekannte Persönlichkeiten über sich oder ihre Zeitgenossen erzählen. Nicht immer sind diese Geschichten wahr, nicht immer falsch, aber immer sind sie persönliche Sichtweisen auf die jeweilige Zeitgeschichte und geben uns Aufschluss über Ereignisse oder Denkweisen vergangener Zeiten.
Viele dieser Geschichten und Berichte landen höchstens indirekt in einer Ausstellung, einem Buch oder einem wissenschaftlichen Beitrag. So schlummern sie weiter in Archiven, oft vergessen zwischen den Zeilen und weitgehend unsichtbar. Schade – sagen wir und möchten Ihnen diese einzigartigen Berichte zu Ohren bringen! Und genau hier beginnt unsere „LeseZEIT“.
In jeder Folge stellen wir Ihnen eine Persönlichkeit unserer musealen Arbeit vor, ordnen sie ihrer Epoche zu und lesen Originaltöne aus dem Leben oder über das Wirken der Person vor. So erwachen die vergessen geglaubten Zeilen zu neuem Leben.
Erraten Sie, um wen es heute geht? Sie notierte 1819 in ihr Tagebuch:
„Der Tag verging übrigens sehr froh. Es wurde zwar recht schön Musick gemacht – dann getanzt wir alten nahmen theil daran, auch Jean Paul.“
Richtig erkannt! Den Anfang macht eine Frau, über die das Museum Burg Posterstein seit Jahrzehnten forscht und die kaum zwei Kilometer von der Burg entfernt Weltgeschichte schrieb: Die Herzogin Anna Dorothea von Kurland. 1761 in Kurland als Anna Dorothea von Medem geboren, machte die agile Adlige mit ihrem Salon in den Schlössern Löbichau und Tannenfeld die verträumte Region nahe Altenburg zu einem Zentrum europäischer Geschichte und Kultur.
Doch: Wie kam Dorothea von Kurland nach Löbichau?
Aus den Pariser Salons des 18. Jahrhunderts, in denen sich Mitglieder des Hofes, Gelehrte sowie Künstler begegneten, ging eine Kultur hervor, die sich über ganz Europa ausbreitete. Der Salon entwickelte sich im Zeichen der Aufklärung zu einem sichtbaren weiblichen Machtbereich, in dem man sich umfassend mit Literatur, Philosophie, Naturwissenschaften, Geschichte, Kunst und aktuellen politischen Fragen auseinandersetzte. Den gesellschaftlichen Mittelpunkt bildete stets eine Frau, die weltoffen und geistreich, gleichsam als Vermittlerin von Kultur, Politik und Lebensart, Konversation und Erotik inbegriffen, agierte. Ihr Salon bildete für sie oft die einzige Möglichkeit, an dem von Männern dominierten gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und Einfluss zu gewinnen. Durch ihre Bekanntschaft mit vielen Politikern konnte sie an der Gestaltung nationaler oder europäischer Geschichte mitwirken.
Als sich die 34jährige Anna Dorothea von Kurland 1794 in Löbichau nahe Posterstein niederließ, hatte sie sechs Kinder geboren, Europa kennengelernt und mit ihrem 37 Jahre älteren Ehemann Herzog Peter von Kurland gebrochen. Wo einst eine Wasserburg stand, ließ die schöne, begehrte und vor allem reiche Adlige ein klassizistisches Schloss mit englischem Garten errichten. Dem „Musenhof Löbichau“ hauchte sie pulsierendes Leben ein, das Politik, Literatur, Malerei, Musik und Wissenschaft vereinte.
Löbichau, günstig gelegen an den damals wichtigen Reiserouten von Berlin nach Wien und von Paris ins schöne Karlsbad, avancierte zu einem der wichtigsten Salons um 1800. Anna Dorothea von Kurland unterhielt erstklassige Beziehungen in die höchsten gesellschaftlichen Kreise Europas, was auch die Löbichauer Gästeliste widerspiegelt: Zar Alexander I., die Schriftsteller Johann Wolfgang von Goethe, Jean Paul, Elisa von der Recke, der Verleger Friedrich Arnold Brockhaus und der Freiheitskämpfer Theodor Körner reisten dorthin. Der Tagesablauf am Musenhof war zwanglos und den Höhepunkt des Tages bildete der Abend, der alle Gäste zur Teestunde im großen Saal des Schlosses versammelte. Es wurde geplaudert, philosophiert, gedichtet, getanzt und musiziert. Manchmal spielten die Gäste auch selbst Theater.
Die Freiheit der Sprache bildete das grundlegende Element dieses Salons. Jeder Anwesende durfte seine Meinung äußern, gleichermaßen, ob Mann oder Frau, Bürger oder Adliger, Künstler oder Politiker. Einzige Bedingung war, dass dies in höflichem Tonfall und respektvollem Umgang mit allen Beteiligten geschah.
„An keiner Fürstentafel ist solche Freiheit“, schreib 1819 der Dichter Jean Paul in einem Brief über die Löbichauer Gesellschaft. Und damit sind wir auch beim heutigen Thema unserer Lesezeit.
Jean Pauls Besuch in Löbichau
1819 reiste der bekannte Schriftsteller Johann Paul Friedrich Richter, besser bekannt als Jean Paul, begleitet von seinem Pudel, nach Löbichau. Anna Dorothea von Kurland hatte ihn auf ihrer Reise nach Bayreuth im Mai desselben Jahres persönlich auf ihren Landsitz eingeladen. Jean Paul folgte dieser Einladung gern. Am 31. August reiste er über Gera an und verließ die Gesellschaft erst am 17. September 1819. In ihrem Tagebuch berichtet die Herzogin von diesen besonderen Begegnungen.
3. Mai 1819
„Ich langte gestern gegen 3 Uhr in Baireuth an und schickte zu den Legationsrath Richter oder Jean Paul – […] und dan gab ich diesem ausgezeichneten Schriftsteller ein paar Stunden. Sein Äußeres hat nichts Aesthetisches – groß, stark und roth im Gesichte, Obzwar er sich der Brille bedient, so sind seine Augen verständig und Lebendig. Er scheint mir gemüthlich, seine Sprache ist schön, man möchte ihn hundert zungen goennen um alle seine Gedanken die sich drängen und viel Seitig sind auszudrücken. – es ist so viel Lebendigkeit in seinem Geistigen Wesen er spricht wie er schreibt, man hat dabey den Gewinn daß er zugleich die belege zu seine ansichten giebt und ihn gleich faßt und verstehet, in seinen Schriften muß man manche Stelle wiederholt Lesen um ihn fassen zu können. Er schien sich bey mir zu gefallen, und versprach mich diesen Sommer in Loebichau zu besuchen“
31.August
„[…] reisen Pauline, die Ende […] und Marheinecke – Jean Paul bis Gera entgegen. […] Der Abend verging, u. Jean Paul war ganz Geist, so daß er sich späth abends müde fühlte.“
September 1819, Loebichau
1ter, Mitwoch:
„Nach dem Frühstück war die Unterhaltung mit Jean Paul recht Lebendig über den Zeit Geist und den Zeit Bedrängtnissen, über Politik und über die Empfindung, die Unterhaltung allgemein interessierte, und meine, und seine Ansichten begegneten sich. – Als die Gesellschaft auseinander gegangen war ging ich zu Julien und Elise, woselbst das Gespräch mit Marheinecke und Feuerbach gleichfals Interesse hatte. Das Condordat zu Bayern, und die Art wie die Protestanten zu einer Sicherheit gelangten gleiche Rechte mit den Catholichen zu haben war der Gegenstand des Gesprächs. Während dem Diner war Jean Paul sehr Liebenswürdig,[…]“
3ten, Freitag:
„Jean Paul nahm Theil an der blinden Kuh – Vorstellungen von Charaden und Sprichwörter fanden auch statt.“
5ten, Sontag:
„Der Tag verging übrigens sehr froh. Es wurde zwar recht schön Musick gemacht – dann getanzt wir alten nahmen theil daran, auch Jean Paul. nachher wurden im Chor frohe Lieder gesungen. Feuerbach froh gestimmt sang das Seinige mit declamation sehr gut es war ein gar Lustiges Lied. Jean Paul war ergoetzt und ganz Empfindung, der frohsinn, das Unbefangene hat sein ganzes Wesen zu Lauter poesie gemacht.“
6ter, Montag:
„Jean Paul dem die Liebe bey den Frauen das vorzüglichste ist hat uns alle heute zur Beichte aufgefordert – doch er wurde nicht ganz befriedigt, Einige mögen sich nicht mit ihren Geheimnißen bekannt machen, andere halten ihre besten Gefühle zu heilig um darüber zu sprechen. Den Abend wurde Musik gemacht, auch der junge Feuerbach, und die ältere Tochter der Eberhard spielten das piano.“
8ter, Mitwoch
„Den Nachmittag nach dem diner hatten wir eine Feyerlichkeit für Schink der uns in seinen vielen Gedichten stets Besingt und uns vorgestern ein schönes zartes Gedicht Frauenlob übereicht hatte. […] mein Saal war sehr erleuchtet – auf einer Anhöhe mit einem Teppich belangt saß ich in meinem Arm Stuhl […]“
9ter September
„Es ist heute für mich ein Erinnerungs fest, daß seit 15 Jahren stets war […] Wir frühstückten auf der Insel – nachher fuhren wir nach Tannenfeld. Nach dem diner promenirten wir im Garten u. auf der Insel die Magisch erleuchtet war – frohe Lieder wurden angestellt. – Jean Paul war über die Erleuchtung entzückt die seine fantasie noch mehr belebte, er nennt sie Geister Insel denn die wankelnden Gestallten schien aus einer fernen Welt. Die Unsichtbaren“
13. September
„ Jean Paul und Tiedge lasen diesen Abend einiges vor.“
17. September
„Täglich verringert sich die Zahl der Gesellschaft. Jean Paul verließ uns nach dem Frühstück.“
Im selben Jahr reiste Herzogin Anna Dorothea von Kurland noch einmal über Schleiz nach Bayreuth und traf dort am 11. Oktober 1819 Jean Paul und seine Familie wieder.
Zwei Jahre später verstarb Anna Dorothea nach langer Krankheit in Löbichau. Einige ihrer Tagebücher sind in der Thüringer Landes- und Universitätsbibliothek in Jena in der Sammlung Biron erhalten und in Teilen bereits digitalisiert. Viele Dokumente wurden noch von der Herzogin selbst vernichtet und sind der Nachwelt nicht mehr erhalten geblieben. Die Aufzeichnungen allerdings, die noch existieren, gehören zu den wichtigsten Zeugnissen ihres Lebens.
Sonderschau zum 200. Todestag der Herzogin von Kurland
Anlässlich des 200. Todestages der Herzogin von Kurland im Jahr 2021 zeigt das Museum Burg Posterstein eine Sonderausstellung über den Maler Ernst Welker, der mit einem Konvolut an Zeichnungen und Karikaturen das Leben in Löbichau und Tannenfeld zu Zeiten der Herzogin dokumentierte. Die Schau „Der Maler Ernst Welker im Salon der Herzogin von Kurland“ ist vom 1. August bis 14. November 2021 geplant. Weitere Informationen und Hintergründe zur Herzogin von Kurland, ihrem Leben und Wirken und zur Sonderschau 2021 können Sie im Museum Burg Posterstein erleben oder jederzeit auf unserer Website und im Blog entdecken!
Ich bedanke mich für Ihr Interesse und verabschiede mich bis zur nächsten Folge in der „LeseZEIT“ mit Geschichte und Geschichten aus dem Museum Burg Posterstein.
Von Franziska Engemann / Museum Burg Posterstein Fotos & Schnitt: Marlene Hofmann / Museum Burg Posterstein
Ob Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen, Schriftstellerinnen, in der Geschichte oder der Moderne: Frauen spielen im kulturellen Gedächtnis eine wichtige Rolle, jedoch viel zu oft noch immer eine untergeordnete. Die Münchner Stadtbibliothek Monacensia im Hildebrandhaus lädt gerade zur Blogparade #femaleheritage, um die Rolle von Frauen in der Erinnerungskultur zur Diskussion zu stellen und herausragende Frauen in den Mittelpunkt zu rücken. Das Museum Burg Posterstein beteiligt sich mit Freude daran, denn ein großer Teil unserer Forschungsarbeit beschäftigt sich mit starken und kreativen Frauen des 18. und 19. Jahrhunderts, allen voran der Herzogin Anna Dorothea von Kurland (1761–1821). Dieser Beitrag widmet sich einer ihrer Weggefährtinnen: Der Schriftstellerin Emilie von Binzer (1801–1891), deren ganz eigene Erinnerungen noch heute eine wichtige Quelle unserer Arbeit sind.
Starke Frauen im Museum Burg Posterstein
Aus den Pariser Salons des 18. Jahrhunderts entstand in der Zeit der Aufklärung eine Kultur, die sich über ganz Europa ausbreitete. Sowohl adlige als auch gebildete bürgerliche Damen versammelten gewichtige Gäste um sich. Den Mittelpunkt dieser Musenhöfe und Salons bildete stets die Gastgeberin.
Berühmt ist der gesellschaftliche Zirkel um die Weimarer Herzogin Anna Amalia (1739–1807). Weitere bekannte Gastgeberinnen waren Madame de Staël (1766–1817) oder Madame Récamier (1777–1849) in Frankreich sowie Henriette Herz (1764–1847), Rahel Varnhagen (1771–1833) oder Dorothea Schlegel (1764–1839) in Berlin.
Ende des 18. Jahrhunderts entwickelte sich Löbichau – nur zwei Kilometer von Posterstein entfernt – zu einem solchen Zentrum des geistig-kulturellen Lebens in Deutschland. Der dortige Salon der Herzogin Anna Dorothea von Kurland gehörte zu den bekanntesten seiner Art. Die gebildete und agile Herzogin verfügte über ein erstklassiges Netzwerk in die höchsten gesellschaftlichen Kreise Europas und schaffte es, Künstler, Politiker und Gelehrte zusammenzuführen. Bedeutende Staatsmänner kannte sie persönlich. In der bewegten Zeit zwischen Französischer Revolution, Napoleonischen Kriegen und Wiener Kongress ermöglichte ihr dieses Netzwerk einen einzigartigen Einblick und Einfluss auf das Geschehen in einer Gesellschaft, in der selbst eine reiche Frau wie sie einen rechtlichen Vormund benötigte.
Aber nicht nur die Biografie Anna Dorothea von Kurlands ist beeindruckend. Die Lebensläufe ihrer ebenso weltgewandten Töchter, Enkelinnen und Pflegekinder und ihre vielfaltigen Kontakte, deren Ansichten, ihr Werk und ihr Wirken faszinieren gleichermaßen. Eine von ihnen ist die Schriftstellerin Emilie von Binzer.
Emilie von Binzer oder: Die Frau, die unter dem Pseudonym „Ernst Ritter“ schrieb
In diesem Beitrag soll nicht die Herzogin von Kurland im Mittelpunkt stehen, sondern ihre Enkelin Emilie von Binzer. Die spätere Schriftstellerin wurde als Emilie von Gerschau in Berlin geboren und war die Tochter eines illegitimen Sohnes des Herzogs Peter von Kurland (1724–1800). Ihr Vater Peter von Gerschau (1779–1852) erbte nach dem Tod des Herzogs ein ansehnliches Vermögen.
„Er heirathete, noch ehe er 21 Jahre alt war, ein unbemitteltes Mädchen von 15 Jahren, und die beiden Kinder wirthschafteten so gut zusammen, daß schon im Jahr 1806 das ganze Vermögen in den Wind gegangen war“, schreibt Emilie von Binzer später in ihrem Erinnerungsbuch “Drei Sommer in Löbichau” (S. 2) über ihre Eltern.
Die Familie entschloss sich nach Kurland zu ziehen. Ihre Tochter Emilie ließ sie aber in der Obhut Wilhelmine von Sagans (1781–1839), der ältesten Tochter der Herzogin von Kurland. Emilie von Gerschau wuchs mit ihren beiden Pflegeschwestern Klara Bressler (die bereits 1818 starb) und Marie Wilson von Steinach (1805–1893) bei ihrer bewunderten und temperamentvollen Tante auf. Sie erhielt eine hervorragende Ausbildung, reiste viel und wurde so in das Salonleben und die höchsten Gesellschaften ihrer Zeit eingeführt. Schon in jungen Jahren lernte Emilie von Gerschau bedeutende Persönlichkeiten wie Fürst Metternich (1773–1859), Talleyrand (1754–1838) oder Zar Alexander I. (1777–1825) persönlich kennen.
Einige Sommer verbrachte sie gemeinsam mit ihrer Tante auf Schloss Löbichau. Im Salon ihrer Großmutter traf sie neben dem Dichter Jean Paul (1763–1825) unter anderem die Familien Körner und Feuerbach, den Verleger Brockhaus (1772–1823), die Schriftsteller Tiedge (1752–1841) und Elisa von der Recke (1754–1833) sowie den Archäologen und Schriftsteller Carl August Böttiger (1760–1835). Auch den Burschenschaftler, Schriftsteller und Journalist August Daniel Freiherr von Binzer (1793–1868), den sie 1822 im Schloss Sagan heiratete, lernte sie in Löbichau kennen.
Durch den Altenburger Hoforganisten Johann Christian Barthel (1776–1813) erhielt der Freiherr Zugang zum Löbichauer Salon. Unter anderem ist er Autor des bekannten Grablieds der Burschenschaft „Wir haben gebauetein stattliches Haus“. Seine Teilnahme am Wartburgfest 1817 verdarb Binzer eine möglicherweise grandiose Laufbahn und bereitete ihm ein Leben lang Schwierigkeiten. Durch die Gunst des Weimarer Herzogs litt er jedoch keine finanzielle Not. In Altenburg bearbeitete der Schriftsteller den ersten Band des „Enzyklopädischen Wörterbuches“, des späteren „Piererschen Universal-Lexikons“. Beim zweiten Band verwehrte man ihm die Arbeit jedoch aus politischen Gründen.
Nach der Hochzeit begann für das Paar ein unstetes Reiseleben durch viele Teile Europas, bis sie sich 1845 in Wien und später in Linz niederließen.
Auf Emilie von Binzers literarische Werke, die sie unter dem Pseudonym Ernst Ritter veröffentlichte, übten vor allem Personen und Erlebnisse der Zeit des Wiener Kongresses Einfluss aus. Ihre Dramen „Die Gauklerin“ und „Die Neuberin“ wurden 1846 am Wiener Burgtheater aufgeführt. Zwischen 1849 und 1870 unterhielt sie in ihren Häusern in Linz und Altaussee musische Kreise. Freundschaften verbanden sie mit den österreichischen Schriftstellern Adalbert Stifter (1805–1868), Franz Grillparzer (1791–1872) und besonders mit dem Dichter Christian von Zedlitz (1790–1862). Der musische Kreis um Emilie von Binzer in Linz und Aussee ermöglichte vielen Künstlern ihrer Zeit, eine kulturelle und soziale Atmosphäre zu erleben, die sich in schwierigen Umbruchszeiten erleichternd auf ihr Leben und Werk auswirkte. Nach dem Tod ihres Mannes zog Emilie von Binzer zu ihrem Sohn nach München, wo sie 1891 starb.
Zwischen Revolution, Biedermeier und „Drei Sommern in Löbichau“
Obwohl Emilie von Binzer nicht zu den bekanntesten Schriftstellerinnen ihrer Zeit gehörte, ist ihr Werk vielfältig und bildet die volle Breite der Themen und Einflüsse auf einen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts ab.
„Das Leben und Schaffen der Binzer umspannte die literarischen Epochen der Klassik, Romantik, Junges Deutschland, Biedermeier, Vormärz und Realismus“, schreibt Traute Zacharasiewicz in ihrer Monografie „Nachsommer des Biedermeier. Emilie von Binzer. Eine Freundin Adalbert Stifters“ (S. 107.)
Emilie von Binzers Werk thematisiert Freundschaft, Liebe und Leidenschaft, ebenso wie die sozialen und politischen Umwälzungen ihrer Zeit und frauenemanzipatorische Gedanken. Ihr Schaffen reicht von Erzählungen und Theaterstücken bis hin zu ihren Memoiren. In Bezug auf Frauen, Erinnerungskultur und auch im Hinblick auf den Forschungsschwerpunkt unseres Museums sind diese tatsächlichen Erinnerungen der Emilie von Binzer am interessantesten.
„Als ich im Sommer 1871 auf meinem Landhause in Aussee (Steiermark) anlangte, fand ich auf dem Tische zwei dicke Bände liegen mit der Aufschrift: ‚Jugenderinnerungen von Gustav Parthey, Handschrift für Freunde.‘ Das Packet war unter meiner Adresse mit der Post angekommen. Bei diesem Anblick durchzuckte es mich freudig, denn der Name auf dem Titelblatte gehörte nicht nur einem in weiten Kreisen geachteten Manne und gründlichem Gelehrten, sondern auch einem theuren Jugendfreunde, den ich viele Jahre nicht gesehen hatte, und mit dem ich überhaupt nur als junges Mädchen in regem Verkehr gewesen bin. Daß er mich nicht vergessen hatte, bewies mir dieses Buch – und welch ein Buch!“
Emilie von Binzer, Drei Sommer in Löbichau, Vorwort
So beginnt Emilie von Binzers Buch „Drei Sommer in Löbichau“, das 1877 in Stuttgart veröffentlicht wurde. Dabei handelt es sich um ihre verschriftlichten Erinnerungen der Jahre 1819, 1820 und 1821, die sie mit ihrer Pflegemutter und Tante Wilhelmine von Sagan im Sommerschloss ihrer Großmutter Anna Dorothea von Kurland verbracht hatte. 50 Jahre nach den eigentliche Geschehnissen beschreibt sie Auszüge aus ihrer Jugendzeit, spricht über ihre Familie und über die Löbichauer Gäste, über besondere und weniger besondere Situationen des Salonalltags und gibt auf humoristische, unterhaltende und nicht selten ironische Weise einen ganz speziellen und persönlichen Einblick in das Leben der damaligen Zeit.
Den Anlass dafür beschreibt sie im Vorwort des Buches selbst: Die Jugenderinnerungen ihres alten Freundes Gustav Partheys, der oft selbst mit seiner Familie Gast der Herzogin war und wie Emilie damals zur eigenwilligen Jugend gehörte.
Emilie von Binzer ist sich in ihren Beschreibungen sehr wohl bewusst, dass Erinnerungen trügen können und ein Autor oft dazu neigt, dem Leser Dinge zu erzählen und zu erklären, die so nie gewesen sind. Sie versucht ein objektives Bild der Personen und Ereignisse zu zeichnen, wobei sie sich ihrer eigenen Meinung immer bewusst ist. Die Eigenarten und Charaktere beschreibt sie von verschiedenen Standpunkten und ist dabei nicht gewillt, zu beschönigen. Mit Kritik, einer guten Portion Selbstironie, aber immer mit Feingefühl gibt sie ihre Eindrücke wieder. Oft benutzt sie Zitate aus den Schriften anderer Autoren oder gibt Dialoge wieder, so gut sie sich daran erinnert. Entstanden ist ein persönlicher Rückblick auf drei Jahre einer erfüllten Jugendzeit und eine ehrliche Würdigung ihrer großen weiblichen Vorbilder: der Herzogin Anna Dorothea von Kurland und ihrer Tante Wilhelmine von Sagan.
Emilie von Binzers Werk galt lange Zeit – neben der 1823 erschienenen Biografie von Christoph August Tiedge und den Erinnerungen Gustav Partheys und Elisa von der Reckes – als wichtigste biografische Quelle zur Herzogin von Kurland.
„Den Spargel jeder gerne iszt, Emilie gar zu länglich ist.“ – Löbichauer Gäste in Karikaturen
Was Emilie von Binzers „Drei Sommer in Löbichau“ so wertvoll für die Forschung zum Salon der Herzogin von Kurland macht, ist ihre Nähe zur Realität. Ihre Beschreibungen sind zeitlich korrekt und decken sich mit denen anderer Quellen – natürlich immer mit Blick auf die persönliche Sicht Emilie von Binzers.
Im Jahr 2014 gelang es dem Museum Burg Posterstein mit finanzieller Unterstützung des Freistaats Thüringen und der Bürgerstiftung Altenburger Land ein Konvolut Zeichnungen zu erwerben. Aufbewahrt in einer grünen Halblederkassette, entpuppte sich der Inhalt als ausgesprochene Rarität: eine Sammlung von Portraitblättern, hautsächlich von der Hand des Malers Ernst Welkers (1784/88–1857), der den Sommer 1819 als Zeichenlehrer Emilie von Binzers in Löbichau verbrachte. Die von Ernst Welker portraitierten Personen gehören alle zum engeren Umfeld der Herzogin von Kurland und treten als Fabelwesen auf. Meist wählte der Künstler eine Tiergestalt aus, deren Kopf er durch ein Portrait der entsprechenden Person ersetzte. Doch: Mindestens eine der Zeichnungen stammt von Emilie von Binzer selbst. Nachweislich befanden sich diese kleinen kolorierten Zeichnungen, die immer in einem humoristischen Vers enden, 1871 noch in ihrem Besitz.
„Ich besitze eine Mappe, die klein Welckerchen in Löbichau mit Porträts der ihm zugänglichen anwesenden Gäste, meist in Thiergestalt, füllte; darunter stehen Fibelverse, die sich mehr durch gute Laune, ja Uebermuth, als durch Witz auszeichnen; die Mappe enthielt siebenundvierzig Blätter, die gelegentlichen Besucher aus der Nachbarschaft sind nicht darunter, nur solche, die wirklich in Löbichau wohnten; ich sondere diejenigen Personen aus, die erst nach den Universitätsferien eintrafen, mische dann die Blätter und nenne der Reihe nach einige der Gäste.“
Emilie von Binzer, Drei Sommer in Löbichau, S. 86
Auf den folgenden Seiten berichtet Binzer nicht nur über die dargestellten Personen, auch die Zeichnungen selbst werden beschrieben und stimmen mit den Originalen im Detail überein.
Momentan befindet sich ein Großteil dieser einzigartigen Zeichnungen im Depot des Museums. In hoher Auflösung sind sie auf Wikimedia Commons zu finden. Für 2021 plant das Museum Burg Posterstein eine Sonderschau zu Ernst Welker, seinem Leben und seinem Werk. Im Zuge dieser Ausstellung werden nicht nur der Künstler und die Herzogin von Kurland thematisiert, auch Emilie von Binzer wird eine wichtige Rolle spielen.
Zum Weiterlesen:
Emilie von Binzer: Drei Sommer in Löbichau, Stuttgart 1877.
Klaus Hofmann (Hrsg.): Salongeschichten. Paris-Löbichau-Wien, Posterstein 2015.
Traute Zacharasiewicz: Nachsommer des Biedermeier. Emilie von Binzer. Eine Freundin Adalbert Stifters, Linz 1983.