Europa bedeutet für mich bei mir zu sein und doch immer neue Leben zu leben
Christine Büring schickt uns via Facebook noch einen (letzten) Gastblogpost zur Blogparade #SalonEuropa, die heute zu Ende geht. Sie sieht sich als Europäerin, als Weltbürgerin, hadert aber mit dem „Deutschsein“. In ihrem Artikel denkt sie darüber nach, was „Deutschsein“ eigentlich ausmacht.
Deutsch sein. Als ich 15 war, habe ich begonnen, nicht mehr deutsch sein zu wollen. Das war in den frühen 80igern in Westdeutschland. Ich las viel über die deutschen Emigranten, fuhr heimlich mit den älteren Geschwistern meiner Freunde nach Paris, hörte Lucio Dalla, las Hemingway und durfte als Austauschschüler mit 16 nach Amerika.
In Amerika wurde mir bewusst, wie europäisch ich war.
Dort wurde mir bewusst, wie europäisch ich war, denn die Amerikaner kannten nur sich selbst. Sie wussten nichts von uns, unsere Geschichte, erzählten aber alle, sie seien deutsch, polnisch, italienisch. Aber eben vor allem „proud americans“. Alle außer den Schwarzen und den Hispanos. Von denen gab es wenige in meiner Schule.
Zurück in Deutschland war mir peinlich, wie bieder wir waren. Espresso, Baguette, Salz und Pfeffer auf dem Tisch, Cocktails, Music mit Stil. War alles nicht. Also wieder nach Frankreich und Italien Kleider kaufen, Sprache sprechen, Stil haben. Nur nicht deutsch sein.
Als ich in der Schweiz studierte, war ich der Ausländer, musste aufs Ausländeramt. War nicht so schlimm, denn das mussten alle. Es war viel internationaler, aber es gab so ein schweizer Grundrauschen, etwas Selbstbewusstes, wo zwar alle da sein durften, aber in ihren eigenen Blasen lebten, die Schweizer einfach daneben. Mein Ehrgeiz, nicht als Deutsche erkannt zu werden, hat mir fast akzentloses Beherrschen der französischen und englischen Sprache beschert. Mein Spanisch klingt wie das einer Französin. So kleide ich mich auch und bis heute bin ich stolz darauf, dass man mich sogar in Indien als „du bist ja gar nicht wie die Deutschen“ bezeichnet.
Ich will bis heute nicht „deutsch“ sein.
Seit den 90igern Jahren bin ich westdeutsch in Ostdeutschland. Arbeitsmigrant. Immer eine Minderheit. Ich habe mich an Befindlichkeiten gewöhnt, werde immer noch darauf hingewiesen, dass ich doch bitte nicht wie ein Wessi denken und sprechen soll. Gott sei dank fühle ich mich ja nicht deutsch. Da ist das dann keine Kränkung, weil ich für mich ja eher unter „zugereist“ gehe. Meine Kinder? Gute Frage. Die gehören dazu wie die Vietnamesen. Aber eben nur bis zum Lehrergespräch, wo sich oft zwei Welten begegnen.
Woher kommt dieser Stolz auf das Deutschsein? Was haben wir heute, was wir vor nun fast 40 Jahren nicht hatten? Die Wiedervereinigung? Die Weltmeisterschaft im Fußball, die Autos, die Exportüberschüsse. Deutschland macht mich bis heute nicht glücklich, weil es so selten lächelt, lebt, neugierig ist.
Ich bin Rotarier. Das ist eine Gemeinschaft von Menschen, die sich weltweit vernetzt, über das eigene Interesse hinaus für die Gesellschaft engagiert, Frieden durch Völkerverständigung, durch Begegnung erreichen will und für einen hohen Ethos im menschlichen Zusammenleben und Arbeiten steht. Wenn ich Leute suche, die ausländische Rotarier oder Austauschschüler aufnehmen, finde ich unter 100 vielleicht zwei, die sich trauen, anderen zu begegnen. Bestes Argument ist immer „ich spreche die Sprache doch nicht“. Tatsächlich geht es darum, sein Klo nicht mit einer unbekannten Person aus einem unbekannten Land zu teilen.
Deutschland, das sind die Leute, die gerne reisen und alles begucken. Je weiter weg, desto besser. Es sind die Leute, die Angst davor haben, mit jemanden zu sprechen, den sie nicht kennen. Deshalb stellt sich der normale Deutsche auch nicht vor, wenn er mit jemandem spricht, den er nicht kennt. Soweit er überhaupt mit jemandem spricht, der rumsteht und den er nicht kennt. Deutschsein für mich ist die Angst, sich auf Neues einzulassen, auch einmal unperfekt zu versuchen, mit anderen zu reden. Lieber ein Kochbuch über türkische Küche zu lesen, als bei einem Türken zu Hause zu essen. Über Migranten zu reden, nicht den Menschen zu sehen.
In Frankreich gibt es jede Menge Rassismus. Und eine lange koloniale Geschichte mit Erfahrungen von Menschen, deren Familien in anderen Ländern gelebt haben. Ebenso wie in England oder Holland. In Deutschland haben wir es bis heute nicht geschafft, ein Land zu schaffen. Es gibt die Bayern, die Ostdeutschen, Berlin, das Rheinland. Sind wir Schweinebraten und Soße? Socken in Sandalen und Handtücher an Pool-Liegen? Sicher sind wir nicht das Land der Dichter und Denker. Oder doch? Schon Goethe war fasziniert, aber misstrauisch, was Italien betraf. Thomas Mann blieb bis auf die Knochen deutsch, solange er in Amerika war, Brecht eigentlich auch. Ist Deutschsein vielleicht einfach nur die Sprache, die Marin Luther sei Dank, seit 500 Jahren zusammenwächst? Von Bayrisch und Sächsisch mal abgesehen. Deshalb immer erst mal Deutsch lernen und nicht einfach arbeiten gehen.
Ein „german dream“ für alle
Noch eine Sache geht mich um: Wie können wir die Welt mit unseren Produkten beliefern und uns so wenig auf die Welt einlassen? Vielleicht ist das deutsch? Am einfachsten, wir nehmen uns vor, dass jeder Deutsche in den nächsten Wochen einen „nicht-deutschen“ Mitbürger nach Hause einlädt. Und hoffentlich feststellt, dass der genauso viele Probleme mit Wetter, Steuern, seinen Kindern oder seinem Gewicht hat, wie man selbst. Und dass der andere genauso viel Wert auf ein sauberes Klo, eine funktionierende Verwaltung und keine Lust auf Politik hat wie man selbst.
Deutsch ist bis auf weiteres wer in Deutschland lebt, solange es keinen “german dream“ für alle gibt. Der könnte im übrigen auch Ordnung, Sauberkeit, Verlässlichkeit, Ehrlichkeit, Pünktlichkeit, Nachdenklichkeit, Qualitätsbewusstsein, Effizienz und Kompromissbereitschaft sein. Das nämlich schätzen alle anderen an den Deutschen.
Von Christine Büring